Vor einiger Zeit bekam dieser kleine Nischenblog eine Menge Aufmerksamkeit, weil ich über Falschmeldungen geschrieben hatte: Alles falsch – kleine textile Hoaxsammlung. Der Artikel wurde viel geteilt, am Ende gab ich dann ZDFinfo auch noch ein Interview zum Thema (mit dem schönen Kostümverleih in Adlershof als Kulisse).
Das ist jetzt ein Jahr her und wenn ich zurückblicke, kann ich es kaum glauben, wie sehr der Umgang mit gefälschten Bildern oder irreführendem Kontext zum Alltag geworden ist. Wo ich damals immer noch versuchte, die Fehler aufzuzeigen, habe ich lange resigniert – ja, ich scheue sogar davor zurück, als Besserwisserin den anderen den „Spaß“ zu verderben.
Hier zum Beispiel juckte es mir eigentlich in den Fingern, dem Tweet von Women’s Art zu widersprechen. Der Teppich von Bayeux wurde von Frauen gestickt?
Nein, oder jedenfalls nicht nur. Wahrscheinlich ist, dass die beauftragten Stickwerkstätten sowohl Männer als auf Frauen beschäftigten (siehe auch die Erfindung der Handarbeiten als Weiblich und Heißbegehrter Teppich von Bayeux ). Aber spielt dieses kleine Detail für die Fans der Sammlung von Women’s Art eine Rolle? Ist das wichtig? Eigentlich nicht, es geht ja nur um das große Anliegen, vergessene Kunst von Frauen wieder ins Bewusstsein zu rufen. Hinter dem stehe ich ja auch.
Die folgende Bildüberschrift ist kompletter Quark: „1921 zogen sich frühe Suffragetten oft Badeanzüge an und aßen in großen Gruppen Pizza, um Männer zu nerven“
Diese Frau essen weder Pizza noch sind sie (schon gar keine frühen) Suffragetten oder wollen Männern nerven. Das war im Original einfach nur ein Wettbewerb im Pie-Essen!
Ach, waren die Passanten doch früher viel besser angezogen! denkt man beim Anblick des Regenfotos.
Ist das hier ein gut gestyltes Paar im Regen? Ja, aber kein Schnappschuss, sondern ein gestelltes Modefoto für Mary Quant im Seventeen Magazine.
Auch das hier ist nicht Coco Chanel 1913, sondern eine Schauspielerin 2008 in einem Film von Karl Lagerfeld:
via Twitter
Und ist das hier ist auch nicht die echte Marie Curie.
via Twitter
Nein, das Foto von 2001 zeigt ebenfalls eine Schauspielerin. Sie spielt Marie Curie in einem Theaterstück. Das falsch betitelte Foto ist so beliebt, dass mehrere afrikanische Länder es sich als Vorlage für Briefmarken genommen haben.
Die gestellten Fotos und Verwechslungen mit Schauspielerinnen sind harmlos im Vergleich zu mit politischem Kalkül manipulierten Fotos.
Besonders T-Shirtaufdrucke lassen sich ganz wunderbar abändern. Dem Sänger der Gruppe Rammstein wurde hier ein Putin auf die Brust gephotoshopt.
via gizmodo
Auf dem Originalfoto dieser Trumpanhängerinnen steht auf dem Shirt der mittleren Frau nicht WHITE sondern GREAT.
via Twitter
Keine Seite der Aktivisten ist mit solchen Mitteln zimperlich. Schnell lässt sich mit Photoshop manipulieren, wer die amerikanische Flagge mit Füßen tritt.
via gizmodo
Bei mir ist es so weit, dass ich keinem solcher Fotos, ja keiner Extremmeldung mehr auf Anhieb glaube. Was mir wirklich wichtig ist, dem gehe ich nach und überprüfe es selbst. Die Seite Snopes ist meine regelmäßige Anlaufstelle. Dort werden populäre Behauptungen auf den Prüfstand gestellt und mein innerer Empörungsmensch wird ständig zurückgepfiffen. So las ich dort gerade, dass das angebliche Leninisten-Zitat von Steve Bannon nur auf einer vagen Erinnerung eines Journalisten beruht und von keiner weiteren Quelle gedeckt ist. Auch die Behauptung, Trump habe im Weißen Haus einen Dresscode für Frauen vorgegeben, ist unbewiesen. Mir ist klar, dass die Gegenseite noch viel schlimmere Propaganda verbreitet. Aber heiligt der Zweck die Mittel?
Eigentlich möchte ich meinen bevorzugten Nachrichtenquellen trauen können, leider machen auch die nun oft überstürzt beim Lauffeuer mit. Johnny Haeusler schreibt dazu jetzt fangen auch noch die Linken mit den Fake News an und bestätigt, dass es (wie bei allen von mir gezeigten Falschinformationen) eigentlich um Klicks und Geld geht:
Wenn sich gerade also viele Menschen über Trump oder Bannon aufregen, dann gibt man diesen Menschen Klick-Futter. Je unglaublicher, sensationeller und aufregenswerter, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir klicken. Nur darum geht es.
- Snopes
- Mimikama
- Google Bildersuche, zur Bildüberprüfung rückwärts verwenden
- Youtube mit dem Data Viewer von Amnesty International überprüfen
- Hoax of Fame /Tumblr – Picture Pedant – Hoax Eye – Museum of Hoaxes
Danke für diesen Artikel.
Herzliche Grüße von Tally
Die Geschichte um das Foto von Marie Curie erinnert mich an Portraits von früher, aus dem 16. Jhdt zum Beispiel. Von der Königin Elisabeth von England, der Opponentin Maria Stuarts gab es viele Abbildungen, aber die Vorlage war durchgepaust mit kleinen Löchern, sog Punzen. Niemand wusste, wie sie aussah. Und in meinem Kopf sehe ich sie immer als Vanessa Redgrave oder Tilda Swinton. Die Verschleierung der Realität war schon immer da. Aber aus irgendeinem Grund sind wir drauf gekommen, wenn es ein Foto ist, muss es real sein. Wenn es gedruckt ist, muss es wahr sein. Was für ein Irrtum. Danke für diese schönen Beispiele. Pizzaessende Suffragetten. Wers glaubt!
Toller Artikel!
… wie gut, dass es solche Spürnasen wie dich gibt, deine Liste werde ich mir hinter die Ohren schreiben, danke!
Vielen Dank für den interessanten Artikel, die vielen Beispiele, und vor allem die Links! LG Christa
Ich finde es gut, dass du nicht alles, was als Bilder unterwegs ist nicht hinnimmst, sondern „mit Hirn“ hinsiehst und dann erst entscheidest, ob das sein kann oder nicht. Mir war garnicht bewusst, dass auch in Sachen Textil/Mode so viel Quatsch kursiert. Und ich fände es super, wenn du ab und an mal ein Beispiel zeigen würdest, vielleicht sogar als neues Unterthema im Blog?
Das gehört ja auch irgendwie zu textilen Geschichten.
Vielen Dank für deine Recherchen und den Pedantismus, bleib wie du bist.
Ich hoffe auch immer noch darauf, dass Fakes und „alternative Fakten“ *grusl* nicht endgültig für immer die Macht erlangen. Aber vermutlich bekommen wir eher Spitzohren und grünes Blut, wie die Vulkanier (deren Denkweise rein auf Logik basiert).
Ich hoffe doch sehr, dass wir auch eine Nummer drei von dir zu lesen bekommen, denn nur wenn man ab und zu auch richtig mit der Nase draufgedrückt wird, sieht man sich achtsamer in der Bilderflut um. Gerade schraube ich meinen Online-Konsum stark zurück, um diese Klickmanipulation nicht zu erhöhen und den Geist zu verwirren. Zeitung geht langsamer, aber etwas sicherer.
Die Dreistigkeiten der Bildunterschrift beim Wettessen ist schon starker Tobak.
Die Politischen Manipulationen natürlich auch (Fahnengeschichte dilletantisch gemacht, daran kannn man es sogar erkennen), aber wie schon Scherbensammlerin schrieb, wir glauben Bildern einfach, daran ändert das wissende Hirn wenig, sicher weil die Natur kein Fake ist und wir auf die Bilder reagieren müss(t)en, die wir wahrnehmen, um zu überleben.
Leider wieder ein Fakt, der zur allgemeinen Verunsicherung der Menschen beiträgt. Wem oder Was traue ich noch? Dieser Wert Vertrauen geht weitesgehend flöten…
Ja, das ‚Net‘: mitunter bis meist verlogenener und betruegender als alles bis dato Dagewesene und f. ‚Ernstfaelle‘ und zur Meinungsbildung wohl wirklich abzuschreiben ?!
Laeuft bei mir fast ueberwiegend nur noch unter ‚Entertainment‘ und den Gelegenheitsfunden bzgl. ‚kann ich irgendwo irgendwas neues, alltaeglich Brauchbares lernen‘.
Heisst aber zumindest: real life hat damit wesentlich weniger ‚Konkurrenz‘.
In Umkehr jedoch: ‚passende Volltrotteln*‘ sind unter sich; wer als Unschuldiger in solche Kreis geraet haengst sich wohl ueber Kurz oder Lang ueber die dort gebrachten gelogenen und getricksten ‚moeglichen Unmoeglichkeiten‘ irgendwann verzweifelnd an der vermeintlichen ‚Boesheit der Welt‘ auf?
* ausgenommen mM, die ‚Clubs‘, welche sich wenigstens gegenseitig brauchbare Dinge lehren und darin helfen
Ich bin gerade wieder so im Jahrhundertwende-Modus und frage mich, ob dieser Drang nach schönen Geschichten bevorzugt in bestimmten historischen Situationen auftaucht. Wenn scheinbar alles Chaos ist, ist es schön, solche kohärenten Geschichten zu haben, die das eigene Weltbild bestätigen und in denen alles einen Sinn ergibt. Um 1900 raunte man etwas verschwiemelt vom Wesen der Dinge, vom Geist der Völker etc. also von irgendetwas Unfassbaren, das für Auserwählte (und wer möchte das nicht sein!) unter der Oberfläche zu erkennen sei. Jetzt sind es scheinbar durch Fotos gut belegte Ereignisse der Vergangenheit, in denen die Vergangenheit einem Bild angenähert wird, das wir gerne von ihr hätten.
Heute ist in der Berliner Zeitung ein interessanter Artikel von Adrian Lobe (wenn der Text morgen online sein sollte, liefere ich den Link nach), der das 140-Zeichen-Internet als Anzeichen einer Post-Schrift-Gesellschaft sieht. Das sei sozusagen ein „Rückfall“ in eine orale Kultur voller Redundanz, der ein Wissensspeicher fehle und in der das Argument keine Bedeutung mehr hat. Ich finde das gut beobachtet – die neueren sozialen Medien nähern sich mehr und mehr an die Flüchtigkeit des gesprochenen Worts an. Während man nach alten tweets immerhin noch suchen kann und auch was findet (und Politiker z.B. da auch immer wieder mit ihren alten Aussagen konfrontiert werden, die jemand ausgegraben hat) ist es bei instagram im Grunde unmöglich, gezielt nach alten Bildern zu suchen, und bei snapchat gehört es zum Prinzip, dass die Nachrichten gelöscht werden. Wenn es keine Überlieferung mehr gibt, wer kann dann noch wissen, was früher einmal war? Man kann nur noch behaupten, wie etwas war, aber es nicht mehr belegen. Veränderungen sind nicht mehr sichtbar, wir leben in einer ewigen Gegenwart, und die Vergangenheit wird im Sinne dieser Gegenwart manipuliert. Und wer mit dieser Gegenwartsblase aufwächst, dem ist das vielleicht auch egal. Oder vielleicht ist die menschliche Aufnahmefähigkeit auch einfach überfordert. Schließlich hat unsere Welt eine enorme Ausdehnung in räumlicher Hinsicht erfahren. Ich kann durch instagram in Echtzeit erfahren, was jemand in Kuala Lumpur zum Frühstück gegessen hat und wie das Wetter da ist (und hätte ich snapchat, könnte ich quasi dabei sein). Vielleicht geht es nicht anders, dass die zeitliche Ausdehnung unserer Welt im Gegenzug schrumpft.
Danke für eure Rückmeldungen und guten Gedanken. Hier ist der Link zu dem Artikel, den Lucy nennt
http://www.berliner-zeitung.de/kultur/soziale-medien-auf-dem-weg-in-eine-post-schrift-gesellschaft-25696744
Leider sind mir gerade schon 140 Zeichen zu viel, habe mir die rechte Hand verknackst. Echte orale Kultur ist angrsagt :/
Bitte unbedingt weitermachen mit diesen Hinweisen! Wie KaZe so schön schreibt: Man muss immer wieder mal mit der Nase drauf gestoßen werden. Superspannend. lg, Gabi
Und die Rückwärts-Bildersuche kannte ich gar nicht! Total spannend, was man so alles erfährt, danke dafür! lg, Gabi
Hallo,
für alle Interssierten, es gibt in der zdf-Mediathek einen Beitrag (von 3sat) zu Bildermanipulation (Fotos und Videos) und wie einfach sie sein kann. Bzw. wie man die Menschen mit solchen Fakes gezielt hinters Licht führt/führen kann. „Das manipulierte Bild“ Link: https://www.zdf.de/dokumentation/3sat-dokus/dasmanipuliertebild-102.html
Bis 24.3.2017 ist das Video verfügbar.
Ich denke es bleibt wirklich nur die Wahl nicht zu verstummen als „Besserwisser“, sondern immer und immer und immer wieder dagegen anzukämpfen.
Vielen Dank für den Link, gucke ich mir heute abend an. Und bleibe trotz allem am Ball ;)
Unglaublich, an was man sich alles gewöhnt. Unsere Zeit mit den vielen Mediendaten ist glaubwürdiger zu fälschen als eine Zeit, aus der es nur Text und Statuen gibt. Man kommt nicht dagegen an, die Flut ist gewaltig. Alleine dem Weg des Geldes und der Interessen kann man folgen um zu ahnen, was dahinter steckt. Dazu kommt zunehmende Oberflächlichkeit durch schnelle Medien.
LG Ute
Ich fände es trotzdem gut, du würdest auch einen Teil 3 schreiben. Ich finde immer noch, dass das viel zu wenig thematisiert wird. Es ist anstrengend, nach der Wahrheit zu suchen.
[…] Aber nix da, hätte ich nur kurz auf die Antworten gleich unter dem Tweet geschaut, hätte ich gesehen: Das war nur ein Fake, in Wirklichkeit hat Elon Musk sich brav beim Präsidenten bedankt. Ich ärgere mich sehr, dass ich nicht wachsam war. Schließlich sammle ich hier doch regelmäßig Falschmeldungen und sollte es besser wissen. (2016: Alles falsch – kleine textile Hoaxsammlung und 2017: Falschmeldungen ein Jahr später – Hoaxsammlung II.) […]