Stoffspielerei: Duftige Nachthemdpasse aus den 30ern

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„Handarbeiten, Freude bereiten“ steht auf diesem Anleitungsheft, Herausgeber ist der Reichsbund des Textil-Einzelhandels. Zitat von Seite 20: „Wir wollen Ihnen hier klar machen, wie leicht es doch ist, eine Hemdenpasse zu häkeln“. Fein, das passt gut zum heutigen Termin für die Stoffspielerei*.   Ines  von den Nähzimmerplaudereien hat das Thema “Ecken und Kanten” vorgegeben, bei mir wird also nun eine Passe als Ausschnittkante daraus. (Übrigens: Bei Wikipedia fehlt noch ein Artikel zum Thema Passe am Kleidungsstück, falls jemand Lust hat, sich darum zu kümmern.)

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So sieht das Häkelstück im Heft aus, an ein seidiges Hemd angenäht.

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Die Anleitung dafür ist erstaunlich einfach. Auf der Häkelgrafik stehen die Punkte für Luftmaschen und die Striche für Stäbchen, das Muster wiederholt man immer rundum von Reihe 1 bis zur Reihe 15.

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Die Reihe 15 habe ich leider nie erreicht, denn das schön alte cremefarbene Häkelgarn ging vorher aus und ich fand keins mit demselben Farbton, um weiterzumachen. Ohnehin muss das Original noch viel feiner gehäkelt sein als meins, denn meine Passe ist  größer geworden als in der Vorlage. Dennoch tränten meine Augen vor Anstrengung, mit der Nadel immer die kleinen Maschen zu treffen.

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Auf dem Blumenkleid wirkt der Häkelkragen zwar authentisch, aber auch ziemlich mopsig. Also habe ich ein Nachthemd genommen, dessen Ausschnitt schon ein bisschen durchgescheuert war.

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Die Passe passte gut hinein – mal sehen, wie es sich trägt. Laut Heft soll man lange Freude daran haben. „Obwohl sie so duftig aussehen, sind sie doch sehr dauerhaft und halten viele Wäschen aus.“

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Den Reichsbund des Textil-Einzelhandels gab es in den 1920er und 1930er Jahren. Angesichts der Mode tippe ich auf die 30er Jahre, aus der Zeit sind auch einige andere Zeitschriften, die bei dem Konvolut waren.

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Hat alles ein ziemliches Nazi-Feeling an sich, beim Nachhäkeln hatte ich ein mulmiges Gefühl. Das Frauenbild im Heft ist dementsprechend – Frauenfleiß eben, Mutters Nadel, Mutters Hände, Schönheitssinn und Ordnungsliebe. Wie ganz anders wirkte da noch kurz vorher die Berliner Frauen-Illustrierten von 1928,  hier schon einmal Thema – der gesellschaftliche Rückschritt kann schnell und extrem sein.

Auch Modedetails aus meinem Heft sind heute wieder aktuell, die klobigen schwarzen Schuhe zum Beispiel, oder die dicken Zopfsocken und das Teufelsmützchen.

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Die anderen Dinge – naja. Bei dem Strickkleid pillt es schon auf dem Foto so sehr, dass es gruselt. Und der Herrenpullover mit Logo könnte heutzutage als Nerd-Mode bzw. Geek-Chic wieder Abnehmer finden. Mädchen mit Hornbrillen und viel zu großen filzigen Mänteln vom Flohmarkt sind hier gerade Trend.

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Soweit für heute – vielen Dank an Ines, die die Links sammelt. Schaut bei ihr vorbei – ich bin gespannt, was andere aus dem Thema gemacht haben.

Im nächsten Monat, am 26.2. (der Sonntag vor Rosenmontag) ist das Thema “Kopfputz”, Gastgeberin ist Gabi von Made with Blümchen.

Nun bastle ich noch an einer anderen Kragenkante. Mal sehen, mit welchen der beiden Seidenstoffreste aus Japan ich die Bluse verschönere, ich kann mich noch nicht entscheiden. Schönen Sonntag allen!

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Die monatliche Stoffspielerei ist eine Aktion für textile Experimente. Sie ist offen für alle, die mit Stoff und Fäden etwas Neues probieren möchten. Der Termin soll Ansporn sein, das monatlich vorgegebene Thema soll inspirieren. Jeden letzten Sonntag im Monat sammeln wir die Links mit den neuen Werken – auch misslungene Versuche sind gern gesehen, zwecks Erfahrungsaustausch.

16 Kommentare

  1. Danke für Deinen Blick in die alten Zeitschriften. Und Deine Häkelborte kommt am Nachthemd sehr gut zur Geltung. Ich habe in den 80er einen Kragen gehäkelt, in den ein Samtband oben rum eingefädelt wurde und über einem Pulli getragen wurde. Der Kragen war sehr lange haltbar – Baumwollgarn eben. Erstaunlich mit welch feinem Garn früher gehäkelt wurde, ein Mützchen mit Stärke Nr. 2 zu häkeln wäre heute fast undenkbar.
    Gute Entscheidung für die nächste Kragenkante!
    Liebe Grüße
    Ines

  2. Ich bin froh, dass du den Versuch gewagt hast, es irgendwo einzusetzen, ich finde so kommt das Feine an der Spitze ganz toll zur Geltung. Das hält bestimmt auch länger.
    Ja, solch alte Hefte sind schon gruselig. Man hat fast schon Angst, sich mit der Denkweise anzustecken!
    LG frifris

  3. Die Optik der Kante gefällt mir gut und ich könnte mir vorstellen, dass das Garn so fein war,wie für die Taschentücher.So ein Seidennachthemd würde ich wahrscheinlich tragen. Sie sieht auf dem Foto so irre gleichmäßig aus, dass man fast an maschinelle Spitze denkt.
    Mopsig? was meinst du damit, das kenne ich nur für dicklich.
    Gerade, weil man bemerkt, wie anders in der Zeitschrift das thematisch Ähnliche gezeigt wird, ist es auch aufhebenswert, nicht nur wegen des Handwerks.
    Die Bluse sieht aus wie Seide, sehr schön wie ich finde. Das dunkle Band finde ich passend.
    Viele Grüße, Karen

    • Mopsig heißt in meiner nordwestdeutschen Heimatfamilie so viel wie „langweilig, spießig“
      Sehr interessant, dem muss ich mal nachgehen.

  4. Interessant, der Blick in die alten Zeitschriften, und ja, man kann das leise Unbehagen nachvollziehen. Die Häkelpasse ist nichtsdestotrotz schön geworden, selbst wenn sie etwas zu kurz geworden sein soll. Toll, wenn man verschiedene Techniken kombinieren kann!
    Liebe Grüße!

  5. Die Häkelpasse finde ich sehr stimmig und fein zum Nachthemd – und auch überraschend zeitgemäß, tauchen doch Häkel-Einsätze in den letzten zwei Jahren sogar regelmäßig im Straßenbild auf. Aber ich kann Dein Schaudern beim Häkeln nachvollziehen. „Frauen-Fleiß“ ist ja ganz furchtbar, da gruselt es mich! Obwohl die Frau mit den blonden Locken links direkt auch aus einer heutigen Zeitschrift lächeln könnte.
    Meine Mutter hat letztens aussortiert und mir einen Stapel Burda- und 3-Pagen-Hefte aus den 1970ern vermacht. Ich bin ganz vernarrt und muss bald das eine oder andere Gustostückerl daraus zeigen!
    Japanische Kragenkante: Mir gefällt die hell mit Blümchen besser, eh klar. ;-)
    Danke auch auf den Hinweis mit Rosenmontag – bei uns ist der Faschingsdienstag tatsächlich wichtiger als der Tag der Umzüge und Feiern in Schulen, Kindergärten und Lokalen.
    Einen schönen Sonntag-Abend noch, Gabi

  6. Deine Häkelanleitung-Fundsache ist wirklich zeitlos, an einer weißen Bluse wäre sie auch schön.
    Übrigens sammle ich historische Handarbeitszeitschriften, u.a. auch Frauenfleiß (ein paar fehlen mir). Mit unserem zeitlichen Abstand merkt man deutlich, wie politisch Handarbeitszeitschriften sein können. Ganz deutlich sind sie Spiegel ihrer Zeit. An Frauenfleiss mag ich die Sticksachen und die Anleitungsbögen, mitunter ist auch ein Hauch der 20er dabei, das war ja eine Zeit mit vielen Umbrüchen in Mode und Design. Die Vielen Anleitungen zur Wiederverwendung zeigen die Situation der Versorgung.
    LG Ute

    • Das ja toll, zum Glück habe ich die Zeitschriften gezeigt – ja, sie sind ein gutes Zeitdokument aber ich dachte bisher nicht, dass sich auch andere dafür interessieren :) Ich schaue gleich mal, welche Ausgaben das bei mir sind.

  7. Liebe Suschna,
    diese gehäkelte Passe gefällt mir gut, vor allem als Ersatz für einen abgenutzten Halsausschnitt. Ähnliche Häkelpassen habe ich schon mehrfach angefertigt, zum Teil für Nachtwäsche, teilweise für T-shirts, die ich bei der Hausarbeit trage. Aus 2 T-shirts, die mein Mann beim Sport an den Kanten abgenutzt hat und die ich, wenn ich sie mir mal ausleihe, „ausbeule“ (sonst hat er nichts gegen die Beulen), nähe ich mir ein neues T-shirt in femininer Schnittform und garniere den Ausschnitt mit einer Häkelpasse.
    Die Allure der 30-er Jahre sollte Dich nicht so sehr stören, denn die Designerinnen damals haben sich auch schon aus der Mottenkiste bedient! http://www.antiquepatternlibrary.org/
    Meine Empfehlung lautet, da erst zu stöbern, wenn man die täglichen Pflichten erledigt hat.
    Liebe Grüße und vielen Dank für die interessante Seite
    Tyche

  8. Die Zeitschriften finde ich Klasse,
    hab früher auch Taschentücher umhäkelt
    mit einer ganz winzigen Häkelnadel.
    Ich hab noch eine 0,75er, die ist aber um einiges dicker, als die Alte.
    Die Teufelsmützchen kenne ich auch noch, hab aber keine Anleitung mehr.
    Selbst getragen und auch noch vor 36 Jahren meinen Kindern gestrickt.
    Liebe Grüße
    Nähoma

  9. Vielen Dank für diesen inspirierenden Beitrag.
    Ich habe als Kind mit Großtante Hertha zusammen Taschentücher umhäkelt. Was so filigran aussah, stellte sich ebenfalls als Wiederholung einfachster Maschen heraus, nur erforderte es eben Geduld und auch einige Sorgfalt.
    Die Zeitschriften meiner Mutter aus den 50er Jahren sind leider dem Aufräumwahn zum Opfer gefallen (nicht meinem – ich kenne so etwas nicht). Denen trauere ich immer noch nach, hatte ich sie mir doch als Kind x-mal angesehen und war immer wieder schon vom zeichnerischen Design fasziniert, gar nicht erst zu reden von den s-w-Fotos.

  10. Vielen Dank für eure Tipps und Erinnerungen! Und auch die Ermutigung, es mit dem Gruselfaktor nicht so eng zu sehen. Tatsächlich hatte ich etwas Skrupel, dieses Projekt zu nehmen und zu zeigen, weil vor Jahren einmal jemand bei mir so einen ‚leichtherzigen‘ Umgang mit Materialien aus der Nazizeit unangemessen fand. (Ich weiß gar nicht mehr wo und weshalb, aber es ist mir haften geblieben). Eigentlich sehe ich das ja auch ganz pragmatisch.

  11. Wunderbar dein Kragen, wieviel Mühe und Geduld darin steckt obwohl ich ehrlich zugeben muß, daß ich mich bei solchen Sachen wie umhäkelten Taschentüchern etc. eher unwillkürlich schütteln muß. In meinem Kleiderschrank also undenkbar. Trotzdem genieße ich immer den Einblick in verschiedene Techniken und Stiele.
    LG Karen

  12. Hallo Suschna,
    die Denkweise, die hinter den Beiträgen steht, kann man heute nur noch mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen. Aber man kann sagen, was man will, die schöneren Muster hatten sie! Wenigstens gefallen mir die alten Sachen besser als die neuen. Die Passe ist sehr schön!
    Liebe Grüße
    Annelies

  13. Hi meine Liebe,

    das glaube ich, dass du da ein mulmigen Gefühl hattest. „Alles ganz einfach“ kann ich mir gar nicht vorstellen, schon allein, wie du sagt, von der Feinheit des Garns und des Häkelhakens. Immer wieder interessante Sachen gibt’s bei dir zu lesen, danke…

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