Nachdem ich euch Am Rockzipfel vorgestellt habe, will ich auf einige inhaltliche Dinge einzugehen. Bei der Recherche für das Buch hat mich immer wieder umgetrieben, dass über die Herkunft einiger Redensarten scheinbar unausrottbare Legenden kursieren. Von Sammlung zu Sammlung werden die – meist unterhaltsamen – Geschichten weitergegeben, ohne dass sich offenbar jemand die Mühe macht, sie zu überprüfen.
Eine dieser Legenden habe ich gerade wieder gehört, daher kommt sie hier nun zuerst auf den Prüfstand. Und zwar geht es um „Dumm aus der Wäsche gucken“.
Der Ausdruck soll aus der Soldatensprache kommen. Die Geschichte dazu geht ungefähr so: Im Zweiten Weltkrieg gab es sogenannte „Wäschesoldaten“, deren Aufgabe es war, durch die Linien zu fahren und schmutzige Wäsche einzusammeln. Da für diese einfache Arbeit eher einfältige Männer ausgesucht wurden, schauten diese dann dumm aus den Wäschebergen.
Die Erklärung konnte ich aber nicht mit in mein Buch aufnehmen:
- Für die Existenz sogenannter „Wäschesoldaten“ fand ich keine Belege.
- Der Ausdruck „dumm aus der Wäsche gucken“ ist erst ab 1980 wirklich verbreitet (edit: in gedruckten Publikationen. Mündlich schon früher, z.B. in einem Buch von 1950 als wörtliche Rede. 1976 ist die Wendung im Buch „Moderne deutsche Idiomatik“ gelistet). Gleichzeitig gibt es auch Varianten wie „fröhlich aus der Wäsche schauen“.
- Standardwerke zu Redensarten enthalten die Wendung oft nicht – vielleicht weil der Ausdruck so relativ neu ist?
Ich wette, bei euch ist die Geschichte aber nun nach meinen Worten schon so im Kopf verankert, dass ihr die Wäschesoldaten nicht vergessen werdet. Die langweiligere Erklärung, die ich plausibel fand, und die deshalb so ein mein Buch gewandert ist, kommt dagegen nicht an:
Dumm aus der Wäsche gucken
Bei Verblüffung oder Enttäuschung guckt man dumm aus der Wäsche, bei Niedergeschlagenheit auch mal traurig. Weitere Varianten wie ›dumm aus dem Anzug gucken‹ zeigen, dass die Wäsche hier allgemein für Kleidung steht. Der verblüffte Mensch versinkt quasi vor Überraschung in seiner äußeren Hülle. Er könnte auch vor Verblüffung aus den Latschen kippen.(aus: Am Rockzipfel, S. 116)
Die schmutzige Soldatenwäsche habe ich im Text absichtlich nicht erwähnt – auch auf die Gefahr hin, dass nun jemand mit Besserwisserlust in das Buch schauen und sagen wird: Ha, das stimmt nicht! Das kommt von den Wäschesoldaten! Mythen zu bekämpfen ist nämlich unglaublich schwer, wie wir es ja in Medien und Politik im Moment überall erleben. In dem Moment wo man sagt: „Es stimmt nicht, dass…“ muss man ja die falsche Behauptung erst einmal wiederholen, und – zack – verfestigt sie sich im Kopf des Gegenübers.
Ausrüstung eines englischen Soldaten im 1. WK (mit niederl. Beschriftung)
Davon unabhängig wollte ich aber nun natürlich wissen: Wie lief Wäschewaschen denn im Weltkrieg ab?
Mein Großonkel Heinz, der 1938 als Abiturient zum Dienst eingezogen wurde, schickte seine schmutzige Wäsche immer im Paket nach Hause und bekam dann saubere von dort zurück. Das weiß ich aus seinen Feldpostbriefen. Als ich sie vor ein paar Jahren transkribierte, ließ ich diese ganze Wäschekorrespondenz weg, sie schien mir belanglos. Dabei ist das Gegenteil der Fall! Wer hätte gedacht, dass mitten im Zweiten Weltkrieg massenweise Wäschepakete hin- und hertransportiert wurden, die offenbar auch genauso schnell ankamen wie Pakete heute.
1943 liegt Heinz in einem Lazarett in Buer/Westfalen (wegen einer Beinverletzung aus einem ganz normalen Motorradunfall an einer Straßenkreuzung) und schreibt am 17.10.1943:
Ich danke Euch für den Brief vom 14. und für das Paket mit der Wäsche. Ich brauche die Hemden noch nicht, liebe Mutter; schicke mir bitte in Zukunft nur dann Wäsche, wenn ich darum bitte. Ich möchte nicht zuviel Wäsche hier herumliegen haben. Ich habe heute morgen ein kleines Paket mit Wäsche abgeschickt. Ich möchte nicht mehr so viel Wäsche im Lazarett waschen lassen, da ich zu leicht die Übersicht darüber verliere und niemand bei Verlust verantwortlich machen kann, da es allgemein als große Gefälligkeit angesehen wird, die man mir mit dem Waschen hier erweist.
Heinz mit Krücken
1944 geht es dann endlich ostwärts in die von ihm heiß ersehnte Frontnähe (ja tatsächlich, der 25jährige Leutnant langweilt sich). Im September schreibt er aus der Provinz Posen (heute Polen):
Ich bitte Euch also um folgendes:
1 Pullover (nicht die Pelzweste!)
1 Paar Handschuhe, den schwarzen Schal
1 Paar Hosenträger
1 Butterdose
Etwas Warmes zum Trinken!
Etwas zum Rauchen.
1 Paket Waschpulver
Ich glaube, das wäre wohl alles. Wäsche brauche ich noch nicht. Ich habe noch 6 saubere Unterhosen, genug Oberhemden und auch die langen Unterhosen. Ich will außerdem sagen, daß ich meine Wäsche hier waschen lassen kann, denn auf die Entfernung ist das Nachhauseschicken doch nichts. Habt Ihr übrigens das Paket schon von mir erhalten mit meinem Anzug? Ich habe es noch am letzten Tag von Buer abgeschickt. –…..Schickt das Paket bitte an: Amsee, Kr. Hohensalza, Warthegau. Am besten ist wohl per Expreß.
„Dass ich meine Wäsche hier waschen lassen kann“ – es gab also auch eine Möglichkeit, vor Ort zu waschen. Waschpuler brauchte er aber dennoch.
Bilder zum Thema habe ich eher aus dem Ersten Weltkrieg gefunden, so zum Beispiel dieses Foto von Neuseeländern in Frankreich, die offenbar zentral die Socken waschen.
Bei so einer Kollektivwäsche bekam dann jeder Soldat irgendwelche sauberen Socken ausgehändigt – also nicht sein eigenen. Socken waren wichtig, denn sie dienten dem Schutz der Füße, dem lebensnotwendigen Transportmittel. Ansonsten zeigen die Fotos immer Männer, die ihre Sachen selbst waschen, sei es wie hier in einer Schüssel oder in einem Fluss oder See.
Auch heute noch läuft das so ab, hier z.B. eine Wäscheleine britischer Soldaten in Afghanistan.
Das alles gibt ein falsch-friedliches Bild ab und bezieht sich natürlich nicht auf hart umkämpfte Frontlinien. Dort war an Dinge wie Wäschewechseln, geschweige denn Wäschewaschen, nicht zu denken. In einem Armeeforum erinnert sich ein US-Veteran an das Leben im Krieg:
„Everything except what you were there to do, became very secondary, so secondary you can hardly remember doing it!“
Wichtig war auch die Bekämpfung von Ungeziefer, wie auf diesem Foto von ca. 1910. In Döberitz/Brandenburg wird laut Bildtitel Kleidung „desinfiziert“.
Eine Art Wäschesoldaten habe ich am Ende doch noch gefunden. In den USA gab es im Zweiten Weltkrieg „laundry men“, die auch an der Front Wäsche einsammelten und verteilten. Das waren dann sehr gefährliche Jobs, wie in diesem Artikel beschrieben.
Wer Spezialwissen zu diesen Themen hat, wie immer gern her damit. Das Terrain scheint noch ganz unerforscht.
Vor 200 Jahren löste die österreichische Militärführung das lästige Problem übrigens so:
Ein Theil der Commandierten kann verheirathet seyn, damit ihre Weiber für die Compagnie die Wäsche besorgen.
Das ist wirklich spannend! Wenn man erstmal anfängt darüber nachzudenken, wird es erst deutlich, wie viele Forschungslücken in Sachen Alltagskultur es gibt. Die Wäschesoldaten-Legende kannte ich nicht. Der Transport von Briefen und Päckchen, selbst an die Front, hatte wohl ziemlich hohe Priorität, weil das die Moral aufrechterhielt. Ich meine, dass das in Kriegsromanen (Arnold Zweig, Norman Mailer) immer mal wieder vorkommt: Wann die Post kommt, ob Post kommt, warum keine Post kommt…
Spannender Artikel, danke dafür.
Solange ein Tross mit der Familie des Soldaten (30jKrieg)in den Krieg mitzog, besorgten sicherlich die Wäsche wie noch Anfang des 19. Jahrhundert. In der Garnison wurde die Wäsche auch von den Soldatenfrauen besorgt. Dass die Wäsche in Paketen hin- und hergeschickt wurde, war neu für mich…
Zu dem Sockenbild aus dem 1. WK: das die Strümpfe gewaschen und vor allem trocken an die Füße kamen, war überlebenswichtig: so entstanden Infektionen an Füßen und Beinen der Sodaten, die tagelang in den Stiefeln im Graben verbringen mussten.
Ein wunderbarer kulturgeschichtlicher Beitrag zum remembrance sunday- zum Volkstrauertag, der hier aber irgendwie völlig untergeht.
Ja stimmt, der Zusammenhang ist mir auch erst hinterher aufgefallen.
Diese Redewendung kenne ich schon von Kindheit an. Bin in Sachsen geboren und werde bald 60 Jahre.
LG Bettina
In den gedruckten Quellen (Zeitungen, Bücher) gibt es Hinweise ab den 70er Jahren, ab 1990 taucht die Redensart dann immer häufiger auf. Für die gesprochene Sprache ist das Aufkommen schwieriger zu belegen, das kann/wird durchaus vorher gewesen sein.
Edit: Jetzt habe ich sogar ein Buch aus den 50er Jahren gefunden, in dem der Ausdruck (als wörtliche Rede) vorkommt.
Ich werde mal darauf achten, wenn ich alte Filme sehe.
Ich kenne die Redensart auch bereits aus meiner Kindheit und habe mir dabei immer eher Bettwäsche vorgestellt, also dass jemand eine Veränderung verpennt hat und dann dumm aus der (Bett-)Wäsche schaut.
Vielen Dank für Deine Betrachtungen, es ist immer sehr spannend zu lesen, was Du geschrieben hast.
Henriette