Was macht die Hand in der Weste? Männer mit Napoleongeste.

Napoleon I

Warum ließen Männer sich so oft mit einer Hand in der Jacke portraitieren? Was soll das? Ist das eine geheime Geste?

Besonders von Napoleon Bonaparte ist die Haltung bekannt.

Jacques-Louis David - The Emperor Napoleon in His Study at the Tuileries - Google Art Project

Zwei Knöpfe der Weste geöffnet, die rechte Hand am Bauch.

Erklärungsversuche gibt es viele:

  1. Napoleon hatte ein Magenleiden
  2. Napoleon juckte die Haut
  3. Napoleon spielte mit seiner Uhr
  4. Napoleon verbarg dort ein duftendes Taschentuch
  5. Hände malen ist schwierig, der Maler verlangte mehr Geld…

Das ist alles Unsinn. Zumal die Geste gerade zur Zeit Napoleons in vielen Ländern sehr beliebt war und sich auf zahlreichen Portraits wichtiger Männer findet. Männer, die sicherlich genug Geld hatten, sich sämtliche Finger und Zehen malen zu lassen.

10th Earl of Dundonald Thomas Cochrane

Die Haltung war schon lange vor Napoleons Zeit beliebt. Mal ist es die rechte, mal die linke Hand, die im Revers verschwindet.

Commodore the Honourable Augustus Keppel by Sir Joshua Reynolds 17491749

1790

Und auch lange nach Napoleon ließen sich Männer so darstellen.

Karl Marx 001Karl Marx

Verschwörungstheoretiker glauben, die Geste sei ein geheimes Erkennungszeichen der Freimaurer. Sie lassen sich auch durch hundertfache Gegenbeweise nicht beirren. Bei Stalin zum Beispiel geraten sie in Erklärungsnot.

Josef Stalin, 1948

Eigentlich ist alles viel simpler, wie das Handbuch der politischen Ikonographie   erklärt. Es geht um eine vornehme Haltung. Es geht darum, die Arme nicht einfach schlaff herunterhängen zu lassen, sondern eine selbstbewusste und gleichzeitig ruhige Position einzunehmen. Schon in der Antike galt es für Redner als ideal, die Hand in der Toga zu verstecken. Im 18. Jahrhundert wurde die Pose richtig modern.

1785 spricht ein Buch über Körperhaltungen der Figur „Würde, Macht, höhere Geisteskraft, höheres Verdienst jeder Art“ zu.  Der Mensch reckt das Haupt, steht aufrecht, zeigt „Selbstgenügsamkeit“.

Napoleons berühmte Portraits wollen ihn als würdigen Staatsmann zeigen – bedächtig aber gleichzeitig entschlusskräftig.  Die Bilder haben die Hand in der Weste erst richtig bekannt gemacht. Im 19. Jahrhundert lassen sich viele Männer quer durch die Gesellschaft so fotografieren.

Eine beliebte Pose für die sogenannten Cartes de Visite, kleine Fotografiekarten für Familie und Freunde.

Die Haltung ist auch in der Normalbevölkerung verbreitet, inklusive der Männer aus erkennbar einfachen Verhältnissen. Sogar bei den Fahndungsfotografien von Heimatlosen  findet sich die Geste.

Anton Vollmann - CH-BAR - 30314001um 1852

(Mehr über diese seltene Sammlung früher Polizeifotos im Beitrag „Heimatlose und Fahrendes Volk vor 150 Jahren„.)

Louis Klempke - CH-BAR - 30313896

Friedrich Ackermann - CH-BAR - 30313811

Hier noch ein kleiner bürgerlicher Junge, dem Ende des 19. Jahrhunderts das Händchen in die Jacke drapiert wurde. Vielleicht spielte ja auch eine Rolle, dass die Hand so ruhig blieb, passend zur langen Belichtungszeit der Kameras.

Wenn man die Fotos aus der Zeit durchschaut sieht man, dass sich viele andere Positionen für die Hände finden. Seit es Hosentaschen gibt, werden diese genutzt. Mehr und mehr geht es darum, durch die Haltung eine gewisse Lässigkeit zu zeigen.

Dazu zitiere ich Karens Kommentar unten:

Ich denke aber auch, dass es natürlich etwas mit der Kleidung selbst zu der Zeit zu tun hat. Die Taschen an Hosen, wir wir sie heute kennen , in denen man später lässig die Hand versenkte (ich denke an ganz viele Bilder von Gerhard Schröder als Bundeskanzler) waren an anderen Stellen bzw. so verdeckt durch Überkleidung, dass man nicht dort die Hand einstecken konnte, ohne das Outfit zu ruinieren! Also blieb herabhängen, etwas halten oder in die Knopfleiste schieben.
Da Frauen viel weniger Taschen hatten in der Kleidung bzw. wenn, dann an ganz geheimem Stellen, die sich erst recht nicht eigneten, sind Hände der Frauen noch viel schwieriger unterzubringen gewesen. Wie gut, dass sie oft etwas zur Beschäftigung hatten!

Die Frauen? Ich habe lange gesucht, aber sie haben eigentlich alle ihre Hände im Schoß, auf der Stuhllehne, auf einem Buch oder einer Handarbeit.

Eva Gonzalès CdV album Gallica

Wer weiß, vielleicht wird eines Tages die Merkel-Raute ein ikonisches Bild für eine mächtige Frau?

Fanny Lewald, die im 19. Jahrhundert enorm erfolgreiche Schriftstellerin, Freidenkerin und emanzipierte Salondame zeigt sie schon fast, die Raute!Fanny lewald stahr

Ein Portrait aus jungen Jahren, ohne Hände:
Lewald Fanny

Fanny Lewald ist in Gedichte, Geschichten mit Nadel und Faden gleich zweimal vertreten:

Viel Spaß beim Weiterlesen, eine Hand hält das Buch, die andere blättert :)

5 Kommentare

  1. Eine tradierte Geste, die man wie selbstverständlich nachahmt, gewiss. Aber warum gerade diese Geste? Es drängen sich Deutungen auf wie:

    Ich hab da noch etwas, was du nicht siehst. Glaub bloß nicht, du hättest jetzt alles erkannt. Ich kann da jederzeit noch unerwartet was herausziehen. Falls nötig, eine Waffe.

    Dagegen könnten die Gesten der Frauen signalisieren: Seht her, ich bin ungefährlich. Ich spiele mit offenen Karten. Von mir hat niemand etwas zu befürchten

    Wer sich zeigt, fühlt sich verletzlich. Die Männer schützten sich mit einer latenten Drohung, die Frauen hinter einer Maske der Unschuld.

    • Ja, das stimmt. Zu Napoleon heißt es auch, die Portraits sollten seinen Übergang vom Feldherrn zum Staatsmann nachvollziehen. Die versteckte Hand als Hand am Degen – passt gut.

    • Es ist doch ganz einfach ! Sie müssen im Netz nach „Hidden Hand“ suchen. Und selbstverständlich hat diese Geste eine Bedeutung. Gehen Sie den Dingen bitte immer auf den Grund. Selbstverständlich kann auch mal jemand „einfach so“ weil es bequem ist oder zufällig „gewisse Gesten“ machen. ABER nicht bei so hoch gestellten Persönlichkeiten ! Die sind IMMER organisiert in Logen, Clubs, Bruderschaften.

  2. Habe ihn gleich gelesen, deinen herrlichen Beitrag, schön die vielen Beispiele!
    Ich denke aber auch, dass es natürlich etwas mit der Kleidung selbst zu der Zeit zu tun hat. Die Taschen an Hosen, wir wir sie heute kennen , in denen man später lässig die Hand versenkte (ich denke an ganz viele Bilder von Gerhard Schröder als Bundeskanzler) waren an anderen Stellen bzw. so verdeckt durch Überkleidung, dass man nicht dort die Hand einstecken konnte, ohne das Outfit zu ruinieren! Also blieb herabhängen, etwas halten oder in die Knopfleiste schieben.
    Da Frauen viel weniger Taschen hatten in der Kleidung bzw. wenn, dann an ganz geheimem Stellen, die sich erst recht nicht eigneten, sind Hände der Frauen noch viel schwieriger unterzubringen gewesen. Wie gut, dass sie oft etwas zur Beschäftigung hatten!
    viele Grüße, Karen

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