Nur noch kurze Zeit: Bretterbude mit rostiger Tapete #SchlossGenuss

„Da ist ein Schloss drin? Ich dachte immer, das ist nur ein Attrappe.“  Ja, das dachte ich auch von dem weißen Gebäude auf der Pfaueninsel in der Berliner Havel, das aus der Nähe eher an die Außenhaut einer Geisterbahn erinnert, als an ein preußisches Refugium.

Im Kulissenschloss gibt es aber tatsächlich Räume zu besichtigen, Räume die seit der Zeit Königin Luises unverändert geblieben sind. Um diese Seltenheit zu sehen muss man jetzt schnell hin, denn ab dem 20. August 2018 wird das Gebäude zur Restaurierung für unbestimmte Zeit geschlossen. Durch die abgeschiedene Lage auf der Insel blieb die Innenausstattung mehr als 200 Jahre von Zerstörungen, Plünderungen und Renovierungen verschont, nur der Zahn der Zeit hat ihr zugesetzt. Alles hat so einen morbiden Charme, dass ein Besucher auf Tripadvisor schrieb: „Bretterbude mit rostiger Tapete…muss man gesehen haben“. Ein anderer beklagt den „völlig heruntergekommenen Zustand“. Mir war schon lange klar, genau das muss ich noch einmal sehen. Heruntergekommener Zustand, rostige Patina, alles original – genau mein Ding.

Eine Blogparade des Vereins SGD (Schlösser und Gärten Deutschland) hat mich angespornt, nun wirklich hinzufahren. Unter dem Titel #SchlossGenuss sammeln die Veranstalter Blogbeiträge rund um Schlösser, Burgen, Tischkulturen.

Ja, die vermeintlich mittelalterliche Burg ist tatsächlich mit Holzbrettern verkleidet, die Steine sind nur aufgemalt.

Und diese Holzfassade ist wirklich renovierungsbedürftig!

Innen im Treppenhaus bröckelt es ebenfalls. Für den Blick hinauf in das Turmzimmer sind die Kassetten nur gemalt, schönste Augentäuscherei, Trompe-l’oeil.

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Das Innere der Schlossillusion ist nur mit Führung und in Filzpantoffeln zu besichtigen.

Feines Parkett, zum Beispiel aus den „vaterländischen“, also einheimischen Hölzern Birne, Apfel und Ahorn zusammengesetzt.

Papiertapeten aus Berliner Produktion mit, wie erhofft, jeder Menge Patina.

Ich liebe Tapetentüren!

Herzerwärmend eine Bastelei von Königin Luises sieben Kindern: Sie schnitten Figuren aus und beklebten damit einen Wandschirm.

Hüte der Königin.

Mit Tropenszenen bemalt sind die Wände in diesem runden Zimmer, dem sogenannten «Otaheitische Kabinett» (Otaheite=Tahiti), in dem man sich in Südseewelten hinwegträumen konnte, als säße man in einer Bambushütte unter Palmen.

Im Obergeschoss liegen die vom Königspaar bewohnten Räume. Es gibt sogar einen Konzertsaal mit Holzmaserungen an der Wand, die wie Marmor wirken.

Die Rosshaarbespannung auf den Bänken und Stühlen ist auch noch original erhalten. Wie schön sich vorzustellen, dass Luise mit ihrem Wilhem und der Oberhofmeisterin Gräfin Voss genau dort gesessen hat. Überhaupt hat alles so viel Atmosphäre dass man glauben könnte, die Personen sind nur mal kurz aus dem Zimmer gegangen.

Literatur zum Thema habe ich im Haus. Zum einen „Pfaueninsel“ von Thomas Hettche. Mit dem Roman bin ich nicht so richtig warmgeworden. Nur die historischen Details habe ich mir herausgesogen, die Handlung blieb mir egal. Zum anderen besitze ich eine Sammlung von Luises Briefen. Manchmal schreibt sie auch von der Pfaueninsel. Ein Ort, in den die Familie hin und wieder zum Kurzurlaub fuhr, als Ausflugsziel, als Zerstreuung.

Luise im Juni 1801: „Meine Zeit auf der Pfaueninsel hab‘ ich nicht minder gut benutzt; ich lese nämlich zum zweitenmal den Agathon [Roman von Wieland] und fühle seine Schönheiten im ganzen Umfange.“

1803 macht die Großmama eine Morgenvisite „in der engen Pfaueninsel-Behausung… wo kein Schloss und kein Riegel vor Einbruch bewahrt, da das Gehör alles verdirbt und verrät, was die klügste Vorkehrung gut machte, da bekanntlich die Mauern von Papier sind und jeden Seufzer verräterischen seinen Nachbar hören lässt.“

Die Zimmer des Königspaars sind mit Stoff bespannt. Heute ist die „Zitztapete“ (Zitz = Chintz, eine gewachste, fest gewebte Baumwolle) bräunlich nachgedunkelt.

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Alles muss man sich lichter und heller vorstellen, mit bunten Blumengebinden auf weißem Grund bei den Tapeten und Möbelbezügen.

Vielleicht ein bisschen so wie bei diesem Chintz aus dem Rijksmuseum:

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Hinter der Tür neben dem Sofa ein Toilettenstuhl mit hübscher Tapete drumherum.

Wie das mit dem Geruch ging? Vermutlich haben wir da heute ganz andere Tabuvorstellungen.

Die Textilien sind behutsam restauriert.

Erst auf dem Foto habe ich gesehen, dass ein Tüllnetz die Stofffetzen auf dem Polster sichert. Wenn ihr auf das Bild klickt, könnt ihr es erahnen. (Mehr zu solchen Restaurierungstechniken auch beim Beitrag über die Preußischen Seiden.)

Die Betten: Ziemlich spartanisch. Die Bettstoffe sollen auch noch original sein.

Luise grüßt die Besucher mit ihrem „Signature-Look“, dem Halswickel, der (wir erinnern uns) sehr viel mit Mode und wenig mit Halsschmerzen zu tun hat.

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Der original erhaltene Kronleuchter harmonierte sicher schön mit den weißen Lackmöbeln und der einst noch in Rosa und Grün leuchtenden Wandbespannung.

Auf Tripadvisor berichtet ein Besucher von rostig gewordenen Metallfäden in der Bespannung, aber eine andere Quelle dazu habe ich nicht. Die Führung musste schnell enden, draußen wartete schon eine „Gruppe Pubertierender“ auf Einlass.

Die Blogparade #SchlossGenuss fragt auch nach Essen und Trinken in der höfischen Kultur. Genuss auf der Pfaueninsel? Den gab es.

Luise 1806: „Wir waren gestern auf der Pfaueninsel zum Mittagessen; wir hatten ziemlich schönes Wetter und wir waren vergnügt, welches besser ist als alles gutes Wetter.“

Nahe beim Schloss lag die Küche in den Abhang geschmiegt. Ob dies die Schornsteine dazu sind? Ich weiß es nicht sicher, der Weg dahin war gesperrt.

„Die königlichen Majestäten sind vorgestern mit Familie auf der Insel gewesen, haben die Promenade um der ganzen Insel gemacht, auf der Meyerey mehrere Gläser süße Milch getrunken und sich nachher noch über eine Stunde beym Thee verweilt“ berichtet der Gärtner Fintelmann im April 1810.

Die Meierei gibt es heute noch, aber bis dahin muss man ganz schön laufen. Die Insel ist groß, überall gibt es etwas zu entdecken. Seit 1990 ist das Ensemble UNESCO-Weltkulturerben.  Gemüse wird in den Beeten angebaut. Das war auch historisch so, von der Insel gingen willkommene Obst- und Gemüselieferungen an den Hof in Potsdam.

Wie zu Luises Zeiten grasen auch wieder Wasserbüffel auf der Insel. Luise schreibt am 20. August 1801 von der Pfaueninsel:

„Dem gestriegen Tag haben wir in Ruhe hier verbracht; gegen Abend machten wir eine Spazierfahrt zu Wasser, und dann kamen die Schafe und Büffel des Grafen von Magnis. Sie wissen, er hat sie dem König zum Geschenk gemacht.“

Pfauen laufen natürlich überall herum und sind beliebte Fotomotive.

Beim Rosengarten duftet es den Weg entlang.

„Einer der schönsten Orte auf der ganzen Welt“, auch das ist ein Zitat von Tripadvisor über die Pfaueninsel. Picknickkorb mitnehmen wird empfohlen, auf einer Bank mit Blick auf die Havel alles genießen.

Wer das Innere des Schlosses sehen möchte, hat dazu nur noch etwas mehr als zwei Monate Zeit. Am 19. August 2018 ist der letzte Öffnungstag des Landsitzes – und gleichzeitig wird in der Meierei Butter für den König gemacht, auch eine Veranstaltung der Reihe #SchlossGenuss. Andere Blogbeiträge zum Thema findet ihr bei Zu Tisch! aufgelistet, inzwischen sind es schon weit über 30 Empfehlungen und Berichte.

Falls ihr zur Insel fahrt, hier noch ein paar Tipps:

Sehr schön anreisen zum normalen BVG-Tarif kann man mit den Traditionsbussen der Linie 218, sie fahren täglich ab Messe Nord/ICC und halten direkt am Fähranleger.

Die kurze Fährfahrt kostet 1 Euro plus 3 Euro Eintritt für die Insel. Für die Schlossbesichtigung muss man dann im Kassenhaus beim Fähranleger noch einmal extra 6 Euro bezahlen und auf eine Führung warten. Wer fotografieren möchte sollte das an der Kasse gleich sagen und bekommt dann eine Fotografiererlaubnis für weitere 3 Euro.

Am Wochenende bei gutem Wetter kann es sehr voll werden, aber auf der Insel verlaufen sich die Massen schnell.

Von mir eine ganz klare Empfehlung!

Und noch ein Tipp für die Museumshops der SPSG:

Die Muster der Papiertapeten liegen ziemlich im Trend, vielleicht könnte man davon Rollen verkaufen? Zum Beispiel für so eine Garderobennische:

Die hübschen mit Flamingo- und Blattmotiven versehen Pralinenboxen der Firma Lauenstein gehen im KaDeWe weg wie nix, trotz des stolzen Preises von 10 Euro für 10 kleine Pralinen. Das liegt an dem trendigen Look, bin ich mir sicher. (Beweis für den Trend: Man beachte das T-Shirt des Kindes oben beim Filzpantoffelfoto.)

Wie wäre es nun, statt der ewig gleichen Servietten, Halstücher und Untersetzer in den Schlössershops vielleicht einmal Pralinenschachteln mit den Mustern der Papiertapeten zu vertreiben, vielleicht sogar mit der von Königin Luises Abtritt? Das wäre schön schräg, mir würde es gefallen ;)

11 Kommentare

  1. Wieder ein zum schmunzeln guter und interessanter Bericht. Klasse. Und viele Grüße an alle Pubertierende, vielleicht hat ja von der Gruppe doch einer Interesse am Thema gefunden. Viele Grüße….

  2. Liebe Susanne, dieser Bericht ist wirklich inspirierend! Am liebsten möchte ich sofort alles erkunden, wovon Du so anschaulich schreibst. Vor ein paar Jahren war ich mal wieder dort und fand es damals schon sehr besonders. Allerdings war ich nicht im Schloss und das werde ich unbedingt in den nächsten Wochen umsetzen. Danke für den Impuls! Liebe Grüße Sabine

  3. Liebe Susanne, so ein toller Bericht! Leider werde ich das vor der Schließung nicht schaffen, aber durch Deinen nahen Bericht komme ich mir fast so vor, als würde ich selbst durch die Räume „wandeln“. Schon besonders, wenn man das Gefühl hat, die Bewohner spazieren gleich bei der Tür herein. lg, Gabi

  4. Liebe Susanne,

    wunderbar! Klasse, dass du uns hier noch einmal einen Bericht vor der Restaurierung vermittelst – das wird dann Seltenheitswert haben. Bin dann auch gespannt, wie es danach ausschaut und was du darüber schreibst – vielleicht gewährt die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg hier besondere Einblicke – was toll wäre! Deine Ideen mit dem Tapetenmuster neue Produkte herzustellen fände ich cool, aber auch so eine Tapete in der Reproduktion zu kaufen, wäre ein klasse Idee!

    Ein ganz herzliches Dankeschön für diesen lebendigen Einstieg, auch in der Historie – war sehr kurzweilig!

    Es freut mich sehr, dass unsere Blogparade, dich zum Besuch diese Kleinods bewog!

    Sonnige Grüße
    Tanja von KULTUR – MUSEUM – TALK

  5. Ein toller Bericht, besten Dank! herrlich wie authentisch alles noch ist. Das ist wirklich hierzulande sehr selten.
    so charmant! Zu gern würde ich das noch mit meiner Mutti machen, die sich mit dem preußischen Königshaus richtig gut auskennt.
    Pfauenblaue Grüße von Karen

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