Aktivistin, Enthusiastin, neu und alt

In letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass „Aktivist“ eine anerkannte Tätigkeitsbeschreibung geworden  ist. Es gibt Netzaktivisten, Umweltaktivisten, Anti-Atom Aktivisten usw.  Angelina Jolie ist „Mutter, Schauspielerin und Aktivistin'“. Vor Kurzem wurde bei einer Talkshow eine Geladene als „Vollzeitaktivistin“ vorgestellt. Mir gefällt das ja ganz gut.  Ein Zeichen dafür, dass wir  nicht mehr alle eine traditionelle Berufsbeschreibung brauchen, um uns als vollwertigen Menschen zu präsentieren. Auch „Blogger“ ist ja inzwischen ein anerkanntes Attribut.

Im Handarbeitsbereich gibt es jede Menge Aktivisten. Bei arte+7 kann man heute noch  das Portrait der Häkelaktivistin Olek anschauen. (Metropolis, ab Minute 6 ).   Dauerbrenner in der Presse sind die „Strickguerilla-Aktivisten“. Umstrickte Poller und Laternenpfähle, „Urban Knitting“ genannt, sind inzwischen  überall angekommen.

Beim Recherchieren des Aktivistenbegriffs im DIY-Bereich ist mir dann aufgefallen, dass die Berichte über die „neue Handarbeitsszene“ gebetsmühlenartig wiederholen, diese junge Szene habe das Handarbeiten von seinem uncoolen Hausmütterchen-Image befreit.  Mich wundert das. Die  DIY-Welle in meiner 80er-Jahre Jugend habe ich schließlich noch lebhaft in Erinnerung. Wir fanden uns eigentlich gar nicht bieder und sahen uns keinesfalls in einem Topf mit unseren „braven(?)“ Großmüttern.

Dieser Emma-Artikel aus dem Jahre 2010  kommt auf den ersten Blick zwar auch nicht ohne einen coolen umhäkelten Panzer aus. (Rosa Topflappen, von vielen Frauen gehäkelt, jaja). Aber insgesamt gibt er einen ganz guten Überblick über das auch in den letzten hundert Jahren schon öfter mal gar nicht brave Handarbeiten.  „Seine erste Renaissance erlebte das Stricken in den frühen 1980er-Jahren, an den Schnittstellen zwischen Frauen- und Ökologiebewegung.“  So erinnere ich es auch: Unsere 68er Lehrer hatten ihren Marsch durch die Institutionen damit begonnen, uns das Stricken im Unterricht zu erlauben, ja schmackhaft zu machen. Wir handarbeiteten was das Zeug hielt. Ich habe mal in meinen alten Fotos aus den 80ern gewühlt: Jede Menge Stricken, Häkeln und Nähen, ich bin ganz überrascht.

In der Schule

 Auf Fahrt

 Schon damals: Umgestyltes Herrenoberhemd.

 Auch schon damals geizte ich mit dem Stoffverbrauch – die Hosenbeine musste ich ansetzen.

Kenzo hausgemacht – den neonrosa-grünen Pullover fand ich total cool. Norweger und Streifenpullis aus Resten waren aber auch in.

Warum wir dann irgendwann mit dem Selbermachen aufhörten, die Wollgeschäfte wieder schließen mussten, ist mir nicht so ganz klar. Jedenfalls war ich sehr froh, vor ein paar Jahren in der englischsprachigen Bloggerszene das Revival zu entdecken und wieder voll loszulegen.

Hoffen wir mal, dass die Welle diesmal nicht so schnell vergeht. Schließlich wollen wir „Brot und Rosen“ , wie Catherine es in ihrem sehr lesenswerten Artikel zum Frauentag beschreibt.   Danke an alle Bloggerinnen, Leserinnen, Aktivistinnen,  „Näh-Enthusiastinnen“ (Zitat Emma-Artikel).  Habt ein schönes kreatives Wochenende!

8 Kommentare

  1. Vielleicht muss bei jeder neuen „Welle“ so getan werden, als sei das ganz neu und unerhört, gar nicht zu vergleichen mit dem Handarbeiten früherer Zeiten – das braucht man, um sich anzugrenzen. Man findet diese Aussage auch zu anderen Zeiten in den Handarbeitsbüchern – ob man nun ein Buch aus den 60ern oder 70ern aufschlägt, oder ein Buch von 1915, es heißt oft, heute sei Handarbeiten aus den einen oder anderen Gründen ganz anders als „zu den Zeiten unserer Großmütter“.

    Dass Selbermachen ab den Neunzigern erstmal abgemeldet war, könnte mit dem Wechsel der Mode in dem Jahrzehnt zusammenhängen. Die übergroßen Pullover und die weiten Röcke und Oberteile waren im Prinzip einfach zu stricken oder zu nähen. Dann wurde der Schnitt langsam wichtiger, es gab taillierte Blazer, Feinstrickpullover, ganz neu auch den Bereich Sportswear mit tausend Taschen und sichtbar eingenähten Reißverschlüssen, auf jeden Fall Sachen, die ein größeres Wissen und Können verlangten, um sie passend selbst zu machen. Und der Markenfetischismus fing damals auch an.

    viele grüße! Lucy

  2. Hast du toll beschrieben. Und all die tollen Fotobeweise.

    Ich erinnere mich, dass sogar einige Jungen ganz selbstverständlich gestrickt haben in der Schule, damals in den frühen 80-ern. Und auch daran, mit welchem Enthusiasmus wir allesamt genäht und alte Vorhänge und Opaschlafanzüge in hippe Kleidung umgearbeitet haben.

    Und ich erinnere mich auch immer wieder gerne, wie ich im Interrail-Urlaub in Griechenland durch das Stricken immer wieder wunderbaren Kontakt mit älteren griechischen Damen bekommen habe. Diese hatten mich immer voll Interesse angesprochen und daraus haben sich herrlich skurile Konversationen (mit Händen und Füßen) und einmal sogar eine Einladung ergeben. Das ist doch wohl Völkerverständigung!

    In dem Emma-Artikel hat mich die Passage mit den tricoteuses, strickend vor dem Schafott, besonders berührt…und ich stricke einfach nur so, rein zur Entspannung…..zum (nicht demonstrativen) Müßiggang….pfui auch!

    LG
    Wiebke

  3. In meiner Schulzeit habe ich auch immer gestrickt und Sachen kreativ umzuändern war in unserer Familie ein Hobby (also nicht aus Not, sondern um was aufzupeppen), später an der Uni oder in der WG haben auch fast alle (auch Männer) gestrickt, gesponnen und genäht. In meinem Bekanntenkreis haben viele mit Anfang der Berufstätigkeit damit aufgehört, aber es deckte sich tatsächlich auch mit dem Zeitgeist.
    Ich habe alles immer mehr oder weniger weiter betrieben, aber habe mich auch total gefreut, dass es jetzt wieder ganz viele gibt, die auch Spaß am Selbermachen haben.
    Für meinen Teil habe ich es auch nie als verstaubt und bieder empfunden (bekam auch keine entsprechenden Reaktionen), deshalb finde ich es auch ärgerlich, was jetzt für ein Hype um die angebliche „Befreiung vom Hausmütterchen-Image“ gemacht wird.

    LG
    Susanne

  4. Für mich, ich bin jetzt 58 Jahre alt, ist dies die dritte Handarbeitsphase.

    Als Mädchen vom Dorf war es selbstverständlich immer auch irgend eine Handarbeit zu haben; Mütter, Tanten und Nachbarinnen hatten das auch. Meine ganze Schulzeit lang hatte ich immer auch „Handarbeit“ als Unterrichtsfach. Das wurde dann unmodern, Handarbeit hat mich nicht mehr interessiert, es war altmodisch.

    Erst ab 1975 habe ich es wieder aufgenommen. Mit mehr Zeit während des Studiums über den 2. Bildungsweg. Mein ganzes Studium durch habe ich dann gestrickt und auch genäht . Auch in der WG waren Strickzeug und Nähen ganz normal. Aufgehört hat das in meiner Umgebung, genau wie Januarkleider es beschreibt, als wir alle beruflich zunehmend eingespannt waren, die selbstgemachte Kleidung im Alltag nicht mehr angemessen war und, auch wesentlich, die Kinder keine selbstgenähten Sachen mehr wollten. Trotzdem, im Rückblick kommt es mir so vor als wenn nur ein kleiner Gruppe „kritischer“ Frauen damals gestrickt und genäht haben.

    Jetzt, ruhestandsnah und mit kleinen Enkeln, besinne ich mich auf die alten Fertigkeiten und schwimme überraschenderweise in einem Trend. Die DIY – Bewegung von heute, so scheint es mir, unterscheidet sich aber sehr. Sie ist internationaler (natürlich den das Internet gab es noch nicht), anspruchsvoller, was die Qualität der Produkte und die fachlichen Fertigkeiten angeht, und die verwendeten Techniken sind vielfältiger. Es gibt mehr gesellschaftliche Gruppen, die an dieser neuen Bewegung teilnehmen.

    Hier drei Beispiele:
    Am Wochenende fahre ich wieder mal auf die Leipziger Buchmesse und ich freue mich schon auf die große Gruppe der Cosplayer; vieles, was da getragen wird, ist mit hohem fachlichen Standard selbstgemacht.
    Dann gibt es die große internationale Gruppe der Frauen die Vintagekleidung nähen und bloggen.
    Und die Umsetzung und Neuinterpretation der Quiltbewegung finde ich in diesem Zusammenhang auch sehr beachtenswert.

    Übrigens gab und gibt es Frauen die nie aufgehört haben zu nähen und zu stricken und die keinem Trend gefolgt sind. Dies wird mir besonders deutlich wenn ich die großen Foren wie Hobbyschneiderinnen oder die Patchwork und Quiltforen oder die Strickforen anschaue.

    Ich bin immer noch fasziniert und begeistert von dem was da zu entdecken ist, vom dem was ihr in euren Blogs zeigt, von der Entwicklung in den letzten 2 Jahren und voller Vorfreude auf das was da noch kommen wird.

    Einen schönen Sonntag
    Mema

  5. Ach , ich fühle mich hier ja sehr “ zu Hause “
    :erste Strickphase mit ca. 13 oder 14 Ende der 60er , zweite Phase mit ca. 25 Ende der 70er , dann sporadisch weitergemacht , aber nicht wirklich was zustande gebracht ( stricken als Meditation und somit Selbstzweck sozusagen ) und jetzt in der dritten Phase seit ca. 2 Jahren . Und es macht nach wie vor Spass , und mit der “ Weisheit des Alters “ wächst auch die Quote der anschliessend tragbaren Stücke ;)
    Liebe Grüsse Dodo

  6. Herrlicher Artikel und super Fotos :)

    Auf jeden Fall schön, dass es doch nie ganz ausstirbt, das Selbstgemachte (und besonders bereichernd ist in diesem Bereich wirklich auch das Internet).
    Dies zumindest hat der mangelnde Handarbeits- oder Werkunterricht doch noch nicht erreicht (dass es verloren geht, meine ich – oder ist es sogar förderlich?)

    Egal, die wievielte Welle es jetzt wieder sein soll, Hauptsache, es wird gemacht ;)

  7. Danke für diesen Post, ich habe auch schon darüber nachgedacht warum ich in den 90er nach und nach aufgehört habe zu Handarbeiten. Als erstes hörte ich auf zu stricken und dann wurde das Nähen immer weniger. 2002 habe wir die Wohnung umgebaut im Zuge diese Umbaus habe ich Stoffe und meinen Rockabgleicher verschenkt weil ich nicht vor hatte noch groß was zu nähen. Ich hatte seit meiner Kindheit genäht und hatte genug. Die Nähmaschine habe ich behalten für Reparaturen. Es ist seltsam zu sehen, dass das anscheinend eine Gesellschafts-oder Modeströmung ist und nicht einfach meine persönliche Biografie. (fühlt sich eigenartig an – ich bin doch nicht so einzigartig wie gedacht)
    Sicher hat der Markenwahn der 90 er Jahre (wie Lucy schreibt) auch damit zu tun und sicher auch damit das die Mode verfügbar wurde und großteils erschwinglich. (erschwinglich zu welchem Preis?)
    Jetzt nähe ich wieder gerne (ich habe auch wieder einen Rockabgleicher) und muß mich eher bemühen nicht jede neue Idee aus dem Internet aufzugreifen.
    Danke auch für`s zeigen der netten Fotos, ich habe unlängst auch alte Stricksachen gezeigt und ich sehe auch bei Deinen Fotos – damals stand der Pullover nicht im Mittelpunkt – aber dank der Digitafotografie ist das heute ja ganz anders.
    Liebe Grüße
    Teresa

  8. Na, eure Berichte bereichern das Thema aber gehörig.
    Die handarbeitslosen Neunziger sind wahrscheinlich wirklich auf die Yuppie-Marken Herrschaft, die geänderten Mode und auch auf den Siegeszug der Billigklamotten-Ketten zurückzuführen. Die leichte Zugänglichkeit zu neuer, modischer Kleidung, die Überflutung, hat dann wahrscheinlich wiederum den jetzigen Nähboom gefördert. Ob der fehlende Handarbeits-/Werunterricht fördert oder hindert – interessante Frage. Mir kommt es immer komisch vor, wenn Häkeln, Stricken oder Nähen als unerreichbare Geheimwissenschaft angesehen wird – aber dadurch wird es vielleicht für die, die es nicht können eben gerade wieder so erstrebenswert.

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