Reisemitbringsel II

Auch noch mitgebracht:   Eine Erinnerung an meine katalanische    Schwiegermutter – ein nie getragenes Leinennachthemd aus ihrer Aussteuer.  Die Geschichte meiner Schwiegerfamilie ist geprägt von den Folgen des spanischen Bürgerkrieges, vom Verlust des Wohlstandes  und von einem Neuanfang jenseits der  spanischen Grenze in Frankreich.

Das Nachthemd ist zum größten Teil  mit der Hand genäht, auch die Lochstickereien am Halsauschnitt und an den Ärmeln sind handgemacht. Durch das Monogramm unterhalb der Schleife scheint noch die blaue Vorzeichnung für die Stickerei hervor.  Alle handgenähten Stiche, auch die für die Kappnähte, mit denen die Teile zusammengenäht wurden, sind sehr klein und regelmäßig, kaum zu sehen.

Aus:  Anweisung zu Frauenzimmer-Arbeiten  von 1826

„Die Schönheit aller Näharbeiten besteht in einer feinen gleichen Naht, gleichen Stichen … Die Stiche werden in gerader Linie, einer wie der andere  schön gleich geführt, dass sie wie Perlen aneinander stehen…“

Das schwere Leinen, aus dem das Nachtkleid genäht wurde, lag offenbar 75 cm breit.  Es erhielt seine A-Form dadurch, dass im unteren Bereich die Stoffkeile seitlich angesetzt wurden, die im Oberteil weggeschnitten werden konnten. Auf diese Art wurde kaum Stoff verschwendet.

Die Hochzeit meiner Schwiegereltern fand kurz nach dem zweiten Weltkrieg statt. Dieses Kleid aus der Aussteuer wurde ganz offensichtlich von einer Weißnäherin noch in alter Tradition gefertigt. In Spanien lief das sicher ähnlich ab wie in diesem Bericht einer Weißnäherin  aus den 30er Jahren im Münsterland:

„Kam … ein Bauerschaftskunde, um für eine angehende Braut eine Aussteuer zu bestellen, so war das für unsere Näherei schon ein Großauftrag. Aus den mitgebrachten Stoffen ob Leinen, Halbleinen oder Baumwolle nähten wir dann die für die Aussteuer bestellte Anzahl an Bettüchern, Bett- und Kissenbezüge. Meist sollten es 3 Dutzend sein, weil man ja was auf sich hielt. Diese mussten dann geplättet und je nach Schrankgröße auf Millimeter genau gefaltet werden, damit die Gäste der Hochzeitsfeier begutachten konnten, was die Braut mit in die Ehe gebracht hatte. Oft musste die Wäsche sogar noch mit Monogrammen versehen und zu 6 Stück mit bunten Bändern zusammengebunden werden. Da aber die Aussteuer nicht nur aus Bettwäsche bestand, kam noch Leib-, Nacht- und Tischwäsche, ein Paradekissen und manchmal sogar noch ein Totenhemd dazu.“

Das ungetragene katalanische Nachthemd war vielleicht  nur eines von vielen im Aussteuerschrank und kam sicher  auch bald aus der Mode.  2000 Kilometer weiter nördlich wird es nun endlich zum Einsatz kommen. Die Braut und die Weißnäherin hätten sich hoffentlich darüber gefreut.

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13 Kommentare

  1. Ich liebe solche Handarbeiten. Schon am Bildschirm hat man Lust über die Stickerei zu streichen und den Stoff zu befühlen. Wirst Du es tragen? Ich habe ähnliche Hemden die ich manchmal als Nachthemden trage aber da sie das Waschen mit der Waschmaschine auf Dauer leider nicht vertragen versuche ich sie zu schonen.
    Ich war übrigends schon vom wildschwein aus dem letzten Post begeistert, ich verstehe, dass Du ihn aufhängst das würde ich auch machen.
    Liebe Grüße
    Teresa

  2. Ein Stück Geschichte – und toll geschrieben. Über solche Quellenschnipsel freue ich mich besonders und das Nachthemd ist natürlich ein Traum. Danke fürs teilhaben-lassen.

  3. Schön, wenn es in jeder Familie jemand gibt, der dieses Art der Geschichte und Erinnerungen weiterträgt. Der Beruf der wei´näherin ist komplett ausgestorben und das waren so feinen und tolle Arbeiten, die diese Frauen gemacht haben. Ich kann dich so gut verstehen. Ich habe im Nachthemd einer entfernten Tante geheiratet, aber pst! Es war einfach zu schön und der Wäschestil absolut in.
    Herrlich finde ich es immer ausf Trödelmärkten Aussteuerteiele zu finden – natürlich mit Schleife-die nie benutzt wurden.
    Hier sind im Schloß Rammenau Leinentage. das würde dir gefallen. Der Regen hat uns abgehalten dieses Jahr hizufahren, aber es lohnt!
    Leinenschwärmgrüße von Karen

  4. Traumhaft! Und dass man die Bilder jetzt im Original sehen kann mit allen ihren gloriosen Details, ist das Tuepfelchen auf dem i.
    Vielen Dank fuer den wunderschoenen Sonntagsmoment!
    lg Kathrin

    • Das mit der Vergrößerung der Fotos ist so eine Sache. Hier fand ich die Funktion jetzt auch angebracht, weil es um die Details ging, aber oft stört mich der blaue Rand, den die Fotos dann im Blog haben. Das ist bei meinem „theme“ so vorgegeben und ich verstehe zu wenig von alldem, um es zu ändern.

  5. Danke für eure Rückmeldungen! Ja, ich will das Kleid jetzt eigentlich als Nachthemd tragen (Hochzeit wäre allerdings auch ein schöner Anlass, feine Vorstellung).
    Wenn ich nun höre, dass das Nachthemd in der Waschmaschine leidet, komme ich ins Grübeln. Das Kleid wurde ja nie getragen, inzwischen glaube ich, es sollte geschont werden. Ich habe meinen Mann gefragt, ob er seine Mutter überhaupt in solchen Nachthemden gesehen hat. Er sagte, ja, aber die hätten nicht so einen bestickten Rand gehabt sondern seien ganz schlicht gewesen. Vielleicht lag das Hemd als Paradestück im Aussteuerschrank? Soll ich dieses Dasein nun beenden? Es ist immer wieder die alte Frage, die einen bei guten Stücken befällt. Benutzen oder schonen. Schonen, bloß für wann? Ich werfe jetzt gleich mal die Waschmaschine an, mit dem Hemd.

  6. Die „schonen-oder-benutzen“-Frage stelle ich mir auch immer wieder – inzwischen tendiere ich eher zu „benutzen“, denn es ist ja nicht der Sinn der Dinge, nur generationenlang in Schränken und Schachteln aufbewahrt zu werden. Könnte man das Nachthemd nicht mit einem farbigen Leinenrock darunter, mit Gürtel und vieleicht einer Strickjacke als Oberbekleidung tragen? Ich kann mir auch vorstellen, dass das ein Paradestück war, und deshalb nie getragen wurde, die Lochstickerei muss Wochen in Anspruch genommen haben.

  7. ach ich glaub, ich würd es nicht wagen, es zu tragen…
    Hallo du!
    Vielleicht ist es schon ein wenig mürbe geworden, dadurch, dass es nie getragen wurde.
    Aber vielleicht könnte man eins nacharbeiten.
    Es ist wunderschön!

  8. hallo, tolle Stoffgeschichten gibt es hier gerade zu lesen. Natürlich ist dieses Leinennachthemd bereits ein feines Stück Näharbeit. Aber besonders rührend finde ich deine Aufbereitung hier im Blog mit den sinnfälligen literarischen und familiären Ergänzungen. Diese alten Bücher finde ich ebenso ulkig wie beklemmend in ihrer strikten Anweisung, wie man als Frau so zu funktionieren hatte. Wirklich beeindruckend diese feinen Stiche und die Qualität des Leinen. Und meine Meinung zu schonen/ benutzen: Sofort benutzen, zu was auch immer. Nur so erfüllt sich die weitere Historie… und wir leben doch nicht im Museum.
    liebe Grüße Carmen

  9. Ich wollte Dich nicht kopfscheu machen aber das die Waschmaschine, die Häufigkeit in der gewaschen wird und die modernen Waschpulver den Geweben schaden liegt ja auf der Hand und ganz schlecht ist der Wäschetrockner. (in den Wäschetrockner dürfen bei mir nur Handtücher und Leintücher und nur im Winter wenn sonst die Wohneung ganz angestellt ist.)
    Ich mache es bei meinen alten Sachen so ich trage sie nicht ständig. Das Hemd das ich als Nachthemd trage trage ich nur im Sommer und dann vielleicht 3-4Wochen im Jahr (also 3-4x waschen pro Jahr) und das übersteht es schon einige Jahre. Ich achte darauf die Dinge zu benützen aber nicht zu verschleisen, für mich ist das so OK
    Liebe Grüße
    Teresa

  10. Ich habe ein Stück Leinen im Schrank, auf dem meine Oma einen Zettel befestigt hat mit der Aufschrift: „Das ist noch richtiges, echtes Leinen!“ Was der Hintergrund dieses Stoßseufzers ist, weiß ich nicht, aber er hat bislang verhindert, dass ich den Stoff weiterverarbeite. Es ärgert mich jedes Mal, ihn im Stoffvorrat zu finden, und ich muss gleichzeitig drüber lachen.

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