Vor einiger Zeit hatte ich ja die Ideee, neue Bücher von meinem Bücherstapel vorzustellen. Leider war mir in der ersten Euphorie entfallen, dass ich aus urheberrechtsgeschützten Büchern gar nicht mal eben so locker Fotos zeigen kann. Mein Elan zur Buchbesprechung ist seither etwas gebremst.
Trotzdem will ich kurz etwas zu den Quilts von Gee’s Bend sagen – der Bildband hat mich sehr fasziniert und gegen ein wenig Werbung werden die Autoren wohl nichts einzuwenden haben. (Vom Autor William Arnett gibt es inzwischen noch einen weiteren Band zu den Quilts).
Gee’s Bend ist ein ganz kleiner Landstrich in Alabama, USA. Dort haben die weiblichen Nachfahren afrikanischer Sklaven vor 100 Jahren damit begonnen, Quilts herzustellen. Diese Quilts sind sehr besonders, ähneln in ihrer Zusammenstellung oft moderner Kunst. Für einen Einblick verweise ich hier mal wieder die Google-Bildersuche . Erst vor zehn Jahren wurden diese besonderen Quilts „entdeckt“ und seitdem in den USA in mehreren wichtigen Ausstellungen gezeigt und gefeiert.
Beim Lesen des Bildbands habe ich mich vor allem gefragt, wie die Frauen es schaffen konnten, so spannende Kompositionen herzustellen. Die Decken sind schief und krumm zusammengenäht, aber viele könnte man tatsächlich als Kunstwerk direkt an die Wand hängen. Ich habe mich ja schon oft vergeblich damit geplagt, ein freies Patchworkstück auf eine gute Art zusammenzufügen – diese Frauen können es.
Die Interviews mit den Frauen in dem Buch geben aber zu ihrer Technik nicht viel her. Im Vordergrund steht für die Frauen immer der Alltag, die Armut, die Mühen, die das Überleben fordert. Die Quilts sind nebenher entstanden, als wärmende Decken für Familienangehörige. Die Zusammenstellung erfolgte offenbar über viel Vorstellungsvermögen, „in the lap“, also auf dem Schoß.
Eine Decke hat mich besonders berührt. Sie ist aus der Arbeitskleidung des Ehemanns der Quilterin entstanden.
Die Tochter erzählt dazu: „Es war, als Papa starb. Ich war so siebzehn, achtzen Jahre alt. Er war ungefähr acht Monate krank und starb dann. Mama sagte: ‚ Ich werde seine Arbeitskleidung nehmen, einen Quilt zur Erinnerung an ihn daraus machen und mich dann darunter für Liebe verkriechen.'“
Gestern musste ich wieder an diese Geschichte denken. Floh hatte mir den Katalog zur Ausstellung: „Quilts 1700-2010, Hidden Histories, Untold Stories“ gezeigt, die zur Zeit im Victoria & Albert Museum in London läuft. In dem Bildband fiel mir ein Patchworkstreifen auf.
Das Band stammt aus der Büchführung eines Londoner Waisenhauses. Am 11. Februar 1767 wurde dort ein Findelkind abgelegt, ein kleiner Junge. Seine Mutter hatte das mit einem Herzen bestickte Band dazugelegt – aber nur die eine Häfte, daher ist das Herz geteilt. Die andere Hälfte des Bandes hat sie behalten, als Zeichen, als Möglichkeit, dass Kind und Mutter sich wiederfinden.
Stoffgeschichten, eine verbunden mit dem Tod und eine mit beginnendem Leben. Zum Glück gibt es immer mehr Menschen, die die Geschichten erzählen und aufschreiben – und immer mehr, die sie hören wollen.
.
Beim Lesen bekomme ich wieder eine Gänsehaut – das ist für mich auch das Schöne und Besondere an Quilts. Man kann sie quasi auf eine Zeitreise schicken, als Dokument von Erlebten, Erinnerungen und persönlichen Gefühlen.
Ja, Stoff/Cloth/Quilten lebt + atmet + berührt… – ich wundere mich immer wieder, dass ich runde 50 Jahre brauchte, um das zu merken… ;)
Ja, das sind beides Gänsehautgeschichten. Mir scheint ja, dass die Überfülle an Material, die man so zur Verfügung hat, eher hinderlich ist für solche ganz freien Quiltarbeiten. Kann ich aber nicht genau begründen. Vermutlich hat ja auch eine Quilterin aus Gees bend eine Auswahl getroffen aus den Stoffresten und alten Kleidern, die sie hatte.
Was ist das für eine tragische Geschichte mit dem Band. Es ist so wunderschön, aber vermutlich haben sich Sohn und Mutter nicht wieder getroffen. Sie muss in einer solchen Notlage gewesen sein, um diesen Schritt zu machen.
Vielen Dank für die Buchvorstellung. Das ist ein ganz Besonderes.
Genau das ist für mich der Spirit vom Patchworken. Der Recyclinggedanke und das Einarbeiten von Geschichte.
Heutzutage werden oft sündeteure Stoffe in kleine Fitzelchen geschnitten und risikoarm aus einer Serie zusammenkombiniert zu einer Decke verarbeitet. Mit inch-genauen Angaben zum Zuschnitt. Das ist Nähen mit Fangnetz.
Ich glaube den Näherinnen damals war es relativ wenig bewusst, wie die Gestaltung schlussends wirkt. Hauptsache das wärmt und wird weiterverwendet. Wenn es in unseren heutigen Augen schön ist, liegt das an der erfrischenden Optik, die sich so wohltuend von den traditionellen Quilts abhebt.
Die damals wirklich bewusst „künstlerisch“ hergestellten Quilts mit Sternen und Schnickschnack finde ich meist nur technisch interessant, aber oft zum Gähnen langweilig. Sauber gemacht, aber nicht sonderlich kreativ.
Lass dich mal inspirieren und leg los!
Gee’s Bend quilts sind auch meine Favoriten. Ich wohne in der Naehe von Pennsylvania. Daher sehe ich viele „Amish quilts“. Die ganz schlichten, eher dunklen sind auch wirklich schoen. Aber so richtig begeistern kann ich mich fuer diese praezisen Muster nicht so wirklich.
Ich weiss nicht, ob Denyse Schmidt in Deutschland bekannt ist. Zeitgenoessisch, geometrisch und sehr gut gemacht! So als Inspiration.
http://dsquilts.com/quilts.asp
Die Geschichte aus dem Katalog war sehr beruehrend.
Schoenes Wochenende allen!
An Denyse Schmidt muss ich bei dem Thema „freies Zusammenstellen“ auch immer denken. Sie gibt Workshops, bei denen man einfach Stoffreste blind aus einer Tüte zieht und zusammennäht. Ich habe das dann hier auch mal probiert, mit einem enttäuschenden Ergebnis. Irgendeine Art von Auswahl und Komposition muss es auch bei diesem Vorgehen geben, wahrscheinlich intuitiv. Auch bei den Gee’s Bend Quilts haben die Frauen sicher eine Stoffauswahl getroffen. Ich bin sehr inspiriert und will das Deckenmachen weiter probieren, aber ich glaube auch wie Lucy, dass es besser ist, sich bei den Materialien zu beschränken.
Eine Nähtreff-Freundin hat ein Händchen für dieses intuitive Zusammenstellen. Vielleicht zeige ich als nächstes, was sie so macht.
Euch allen auch ein schönes Wochenende und vielen Dank fürs Feedback! (Feedback, ein leider unübersetzbarer Anglizismus. Blogschreiberin wurde zurückgefüttert und dankt dafür).
gewebte, vernähter Erinnerungen.
Dieses Buch steht seit langem auf meiner Wunschliste und du zeigst mir noch einmal, dass es nicht ohne Grund da steht.
Schön, wieder ein wenig Zeit zu haben, bei dir vorbeizuschauen!
Danke für diesen Beitrag!
Quilts sind eigentlich nicht so meins – aber diese hier sind gerade dabei, meine Einstellung dazu gründlich umzukrempeln. Der Quilt aus Arbeitskleidung berührt mich sehr. Vielen Dank für dieses Fundstück!
Wie versprochen:
„Deutsches Mädchenbuch“
Band 14 enthält zum Thema Handarbeiten folgendes Dänische Leinenstickereien, Neue Häkelmuster, Pompadur in Börsenform. In diesem Band gibt es auch die Rubriken“Kunstfertigkeiten“ und „Fürs Mädchenstübchen“ das sind „Bastelanleitungen“.
Band 17 zum Thema Handarbeiten enthält folgendes Die Teneriffa oder brasilianische Spitze, Die Knüpfarbeit, Tülldurchzug, Indianertasche.
Alles Liebe
Teresa
Vielen Dank, Teresa!
[…] 1. Juni 2010 in Nähen, Stoffgeschichten Dieser Titel ist natürlich total übertrieben. Aber ein bisschen passt er doch zu Hedi, die (so wie auch Floh und Carmen) bei unserem monatlichen Nähtreffen mitmacht. Mich erinnert die Unbekümmertheit, mit der sie Stoffe aus ihrer Familiengeschichte zusammenstellt, an die freien Arbeiten der Quilterinnen aus dem letzten Eintrag. […]
Das zufällige Zusammennähen von Resten (allerdings vorher sortiert, alle aus einer Farbgruppe) hatte ich bei zwei textilen Monatsseiten praktiziert, das ergab tatsächlich einen sehr interessanten (und gelungenen) Stoff. Mit allen Resten, ganz unsortiert, wäre es mal einen Versuch wert.
[…] längerer Zeit hatte ich schon einmal über die Quilts von Gees Bend gebloggt. Diese seit den 1920er Jahren entstandenen […]
Hallo! Ich fand Sie einen Blog auf Google. Es ist wirklich gut geschrieben und es hat mir sehr geholfen….