Mehr als ein Neun-Tage-Wunder, #bloggerfürflüchtlinge No. 2

„It is but a nine days wonder“, nur ein Neun-Tage-Wunder, heißt es auf englisch, wenn eine Neuigkeit nach kurzer Zeit nicht mehr die Schlagzeilen beherrscht. Diese Regel wende ich schon lange an, wenn mich etwas aufregt oder bewegt. Meist stimmt sie. Sogar die Katastrophe vom Word Trade Center war am zehnten Tag, am 21.9.2001, nicht mehr Thema Nummer 1, ich schwöre es.

Mein letzter Post zum Thema Flüchtlinge und der Aktion #bloggerfürflüchtlinge ist nun schon 14 Tage her und ich gestehe, es fällt mir schwer, mich dem Blogalltag zuzuwenden. Gerade mit Twitter ist kaum möglich, Abstand zu gewinnen. Man kann die ganze Nacht über live mitfiebern, ob es ein Flüchtlingskonvoi über die ungarische Grenze schafft,  wie viele neue Flüchtlinge gerade jetzt in Berlin ankommen und ob sich die Stimmung im Ausland nicht vielleicht doch noch in Richtung #refugeeswelcome wendet.

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Danke allen Journalisten und Aktivisten, die so mutig sind, sich an die Brennpunkte zu begeben!

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Wie das alles wegstecken, so dass man noch schlafen kann? Mit hilft es, mehr Hintergrundinformationen zu sammeln.

Ganz wichtig: Viele Geflüchtete legen großen Wert darauf, gepflegt auszusehen, nicht aufzufallen. Das würde ich sicher ganz genau so halten, wäre ich irgendwo nach langer Flucht gestrandet.

„Unsichtbar bleiben Szenen wie jene auf dem Autobahnrastplatz, an dem auch die Shamos deutschen Boden betraten: Da zieht eines Morgens ein Vater seinen fünf Töchtern die letzten sauberen Sachen an, Jeans mit Pailletten, Pullover mit Schmetterlingsmuster. Er wäscht ihre Gesichter, kämmt ihre Haare, damit sie ordentlich vor die deutschen Behörden treten. Und ihnen etwas Selbstachtung bleibt.“   ( Geschichten aus Deutschlands Lampedusa, Die Zeit 23.8.15)

Die Sache mit den Smartphones – Warum gerade Flüchtlinge ein Smartphone besitzen

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Irre Bilder aus den Messehallen in Hamburg

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Wie das organisiert wird: Logstik? Na logisch! (SPON)

und am Sonntag im NDR eine Doku dazu: 7 Tage helfen

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Kuscheltiere sind als Willkommensgruß nett gemeint, aber in Kleiderkammern nicht so optimal – lassen sich nicht waschen.

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In dem Zusammenhang: Gummibärchen und Co sind nicht halal, weil mit Schweinegelatine. Muss man alles erst lernen.

Es gibt einige „Stricken für Flüchtlinge“-Aktionen. Falls ihr da mitmachen wollt: Es wäre sicher klug, sich mit den Stellen abzustimmen, an die die Stricksachen gehen sollen. Es könnte sein, dass man komplett am Bedarf vorbeistrickt :-) Richtiges Spenden ist nicht nur gutgemeint. Eigentlich gilt das generell. Koordination ist wichtig. Im Moment laufen in Berlin sehr viele Kleiderkammer-Aktonen parallel, jeder scheint das Rad neu erfinden zu wollen. Diejenigen, die sich nur über geschlossene Facebookgruppen und Webseiten mit Registierungspflicht organisieren, schließen alle aus, die nicht internetaffin sind. Wertvolle Erfahrung und Arbeitskraft geht verloren.

Fragen?

Die großen Medien haben  seit etwas mehr als neun Tagen das Thema „Deutschland hilft“ nach vorn gebracht, schon trudeln die ersten Relativierungen ein.

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Zuerst hat mich das gestört, denn die Hetze in sozialen Netzwerken, Gewalt wie in Heidenau und Anja Reschkes Aufruf, dem etwas entgegen zu setzen, ist doch noch ganz frisch. Mit der Gegenoffensive hat es geklappt, gerade die letzte Woche hat noch einmal eine riesige Welle an Hilfsbereitschaft bewirkt. Aber die anderen Stimmen sind ja nicht weg, sie können sich jeder Zeit wieder Bahn brechen.

„Es ist vordergründig Hilfsbereitschaft. Doch es ist viel mehr noch ein Aufstand der Zivilgesellschaft gegen politisches Versagen und die ausländerfeindliche Hetze.“ (Misik/DerStandard)

Andererseits nützt es nichts, wir müssen uns mit allen auch zweifelnden Fragen auseinandersetzen. Seit ich (im bescheidenen Maße) in einer Kleiderkammer helfe, denke ich viel über ehrenamtliches Engagement, Geben und Empfangen nach. Für diejenigen, die da auch einiges bewegt, hier Links:

Tut mir leid für die Gedankenfetzen, mehr ist zur Zeit nicht drain. Zumindest sind Fetzen ja meist textil :) Falls ihr noch Links habt, die beim Verarbeiten der Eindrücke helfen, gern her damit in den Kommentaren.

„This is fashion, not politics“.  „Everything’s politics“ 

(aus dem Film Mahogany)

9 Kommentare

  1. http://www.volunteer-planner.org/faq/
    …in Moabit haben eben die Nazis versucht, das Lageso-Gelände zu umzingeln…die Nachbarn sind gleich losgezogen. Das trau ich mich nicht. Gestern sah ich in Spandau 5 Reisebusse mit
    Flüchtlingen eskortiert mit Polizeifahrzeugen vorbeifahren.Was nehmen mir diese Menschen bisher weg? Platz in Turnhallen und in Parks? ZweiteHand-Winterkleidung? Wolldecken und Schlafsäcke? Ja ich weiß, so einfach ist es nicht. bin aber froh, dass es solchen Austausch in den blogs gibt.
    carmen

  2. Hallo aus dem Ruhrgebiet .Hier sind noch nicht so viele Flüchtlinge . Einmal war ich in der Schule in der Flüchtlinge untergebracht sind und habe 5 Patchworkdecken für Kinder abgegeben . Weitere 5 sind fertig . die Rote Kreuzhelferin war sehr angetan .
    Ich werde auch noch mehr Decken nähen , ich habe so viele Stoffreste .
    Während ich Stoffe zu Streifen zerreiße und wieder zusammennähe sind meine Gedanken bei den Kindern .

    • Das ist super, danke. Wie Mila unten schreibt, wenn man die Menschen einzeln sieht, dann kommt eigentlich jeder mit ein bisschen Empathie ins Grübeln.

  3. Erstmal einfach:danke. Mit das Beste, was ich als Zeitblitz gelesen habe. Und so wunderbar gewürzt mit Hoffnung und so viel Respekt.
    Herzliche Grüße von
    Lisa

  4. Tja, der Backlash lässt nicht lange auf sich warten, nachdem sich Deutschland offen zeigen durfte, wird ja doch leider schon wieder das Ende der Gastfreundschaft eingeläutet. Es ist toll, dass du dranbleibst. Tatsächlich ist es aber wichtig, zwischendurch abzuschalten- vor allem online, auch wenn es schwer fällt. Und egal, in welche Richtung sich das gesellschaftliche Fähnchen drehen wird, die Menschen, die bisher geholfen und auch Kontakt mit Geflüchteten bekommen haben, die werden sich nicht mehr so einfach beeinflussen lassen. Wie es der eine Herr bei Twitter geschrieben hat; wenn man mitbekommt, woran es bei den Geflüchteten fehlt, nämlich am Lebensnotwendigstem, dann bleiben auch in Zukunft keine Fragen mehr, wieso Menschen geflüchtet sind… Lg mila

    • Inzwischen denke ich auch, nur direkter Kontakt kann gegen die Vorurteile helfen. Aber das braucht Zeit, Respekt und Vorsicht. Die dumpfen Hasser wird man wohl niemals erreichen. War gerade in der Provinz, da weht wirklich ein anderer Wind als hier in Berlin, war ganz heilsam gegen Sozialromantik. Die ist aber ohnehin auch in der Notunterkunft nicht angesagt.

  5. Vielen Dank für eure Rückmeldungen. Ein Tag nach meinem Post war dann hier alles noch viel extremer. 1000 Menschen sind hier inzwischen in zwei Sporthallen untergekommen und man musste seine Grenzen des Ertragbaren erweitern, wollte man helfen.

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