Bericht aus der Kleiderkammer #BloggerFuerFluechtlinge

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Überlegt ihr, bei einem Flüchtlingsheim Spenden abzugeben? Oder habt ihr schon Sachen vorbeigebracht und fragt euch, wie es danach weiter geht?

Das geht dann so:

Jemand Freiwilliges, vermutlich eine Frau, nimmt sich Tüte/Tasche/Karton, öffnet sie und schaut, was drin ist. Sie durchsucht den Inhalt schnell. Wenn nur Sachen einer Art darin sind, ist das gut, denn der Sack kann gleich in den entsprechenden Bereich zum Weitersortieren. Kinderkleidung in das Lager mit den Kindersachen zum Beispiel,  Spielzeug, Schuhe, Taschen, Schulsachen, Drogeriewaren, Geschirr und so weiter in andere Ecken.  Die Männerkleidung schaut die Freiwillige sofort genauer durch und zieht Hosen, langärmlige T-Shirts und Schuhe heraus, bringt sie nach vorn in den Raum mit der Ausgabe. Da stehen Männer aus Syrien, vom Balkan oder aus Afrika in Flipflops und suchen vergeblich nach Hosen in Größe S und Schuhen in Größe 40, 41, 42, 43.  Das Männerschuhregal ist leergefegt, während daneben Berge von Frauenschuhen noch auf eine Sortierung nach Größen warten.

Als sie gerade dabei ist, den Inhalt eines großen Reisekoffers durchzusehen, gibt ihr ein älterer Mann mit Händen und Füßen zu verstehen, dass er gern den Koffer hätte. Sie weiß schon, sie kann den nicht einfach so vergeben, das wäre ungerecht. Vielleicht ist irgendwo eine Familie, die ihn viel nötiger hat, die kommt dann mit einem Schein und darf einen Koffer oder eine Reisetasche mitnehmen – wenn denn gerade so etwas da sein sollte.

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„Wieso können die Flüchtlinge das denn nicht selbst sortieren? Die haben doch Zeit.“ Das hat sie schon mehrmals gehört. Was soll sie antworten? Dass man hundert Durstigen in der Wüste nicht eine Palette Wasserflaschen hinstellt und sagt: Hier, nehmt euch?

Was toll ist: Wenn die Spender sich auf der Bedarfsliste der Initiative genau durchgelesen haben, was gebraucht wird. Wenn sie vielleicht sogar etwas von der Liste neu gekauft haben. Wenn auf den Spendentüten draußen schon drauf steht, was drin ist, am allerbesten mit Größenangabe. Wenn die Sachen heil und gewaschen sind.

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Während sie die Säcke durchgeht, kommen immer wieder neue Lieferungen an. Sie hatte sich vorgenommen, heute wenigstens die Tüten im Flur zu schaffen, aber innerhalb weniger Stunden hat sich die Menge vervierfacht. In den anderen Räumen lagern noch viel mehr Säcke, die sortiert werden müssen. Es macht sie ganz unruhig, dass da vielleicht irgendwo Sportschuhe drin sind, die die alleinreisenden Minderjährigen mit ihrem Sozialarbeiter vorhin vergeblich gesucht haben. Vielleicht ist da auch Nachschub für das letzte große Langarm-Shirt, über das sich der arabisch aussehende XL-Mann mit mehreren Luftsprüngen so sehr gefreut hat.

Viele hilfsbereite Menschen kommen vorbei und fragen, was sie tun können, das ist beeindruckend. Auf jeden Fall zum Beispiel Sortieren, sagt sie. Die Frauen (und ein Mann) wollen wiederkommen.  Ja, es genügen auch nur mal zwei Stunden, jede Hand wird gebraucht. Toll wäre, wenn sich jemand um den Raum mit den Nähmaschinen kümmern könnte. Sie sind alle funktionstüchtig, Garn, Nadeln, Scheren, Bügelbrett, Stoff ist da. Wolle, Stricknadeln gibt es auch. Die Bewohnerinnen fragen immer wieder nach, wann sie nähen können.  Aber dafür müssten erst all die Säcke aus dem Raum heraus, und jemand müsste es übernehmen, feste Nähzeiten anzubieten. Die Helfer, alle ehrenamtlich, schaffen es mit Ach und Krach, die Ausgabetermine für die Kleidung zu organisieren, mehr ist nicht drin.

Am Abend geht sie nach Hause, völlig kaputt. Sie soll alles so liegenlassen, haben die anderen gesagt, sie soll auf sich aufpassen, nicht zu viel zu machen. Sie soll auch den Kopf abschalten, aber ein Bild lässt sie nicht los: Der kleine Junge, der sich Schulsachen aussuchen durfte, weil er in einer Willkommensklasse eingeschult wird. Wie er da stand da, pfiffig und stolz in seinem Fußballshirt und seinen abgewetzten rosa Crocs. Er konnte schon ein bisschen deutsch und wünschte sich für den Schulweg unbedingt einen „Regenschirm“, das Wort kannte er ganz genau und hielt sich den imaginären Schirm über den Kopf. Wir hatten keinen Regenschirm, nirgends.

Ich hätte ihm sehr gern einen Regenschirm gekauft. Aber dann dachte ich an die anderen Kinder an seiner zukünftigen Schule, die sich untereinander erzählen, „die Flüchtlinge haben alle ein Iphone 6“ und die gespendete Schulranzen, abgewetzte rosa Crocs und einen Regenschirm wahrscheinlich uncool finden werden. Vielleicht wird dieser kleine pfiffige Junge nicht mehr lange so stolz sein, aber vielleicht ist das nicht das Schlimmste, vielleicht holt ihn auch die Polizei aus dem Klassenzimmer, weil er zurück in sein Land soll, obwohl für all diese kleinen wachen Menschen hier genug Platz wäre.

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Ich danke an dieser Stelle einmal all den vielen Helfern, die unbeachtet von allem dem großen Gerede und Geschrei einfach anpacken und etwas tun, in welcher Form auch immer. Ganz besonderes danke ich hier mal den Frauen, die mit ihrer Tatkraft und Lebensklugheit viele solcher gemeinnützigen Einrichtungen und insbesondere die Kleiderkammern am Laufen halten.

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Wenn ihr etwas tun möchtet:  Sucht im Internet nach den Flüchtlings-Initiativen in euer Nähe, vieles läuft auch über Facebook. Oft steht im Internet, was gebraucht wird. Mailt dorthin, oder geht direkt zu den Einrichtungen und fragt nach, was ihr helfen könnt. Wenn sich gerade erst Initiativen bilden, macht mit, jetzt oder später. Tut nicht mehr, als in eurer Kraft steht. Geldspenden helfen auch sehr, denn dann können z.B. die fehlenden Turnschuhe gekauft werden. Und wenn ihr in Berlin im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf bei einem Nähraum mithelfen möchtet, meldet euch gern bei mir per Mail: info@textilegeschichten.net

Ein anderer Blick in eine Kleiderkammer in Berlin bei Mareice, sehr beeindruckend.

Ein Bericht mit konkreten Tipps: „Die 4 Tyen von Kleiderspendern„.

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UPDATE

Flagge zeigen und Augen öffnen! Es gibt jetzt eine Internetseite der Aktion #BloggerfuerFluechtlinge mit einer Verknüpfung der teilnehmenden Blogs und einer Spendensammlung bei betterplace.org

16 Kommentare

  1. Danke Suchna für diesen Einblick . Im neuen Jahr bin ich arbeitslos und ich möchte gerne etwas helfen . Eine Kleiderkammer mit sortieren und einräumen ist das richtige für mich .

  2. Großartig, dass du dich engagierst!
    Ja, vor allem das Modifizieren und Hosenkürzen ist sehr gefragt. Wir haben seit dem Frühjahr hier im Nachbarort auch eine LEA, da wird gerade eine Nähstube für schnelle Änedrungen geplant.
    Hier zuhause macht die Bearbeitung des Wäscheberges, sehr viel weniger Sinn als dort.
    ( Leider sind die Leute dort viel zu kurz als dass man Bewohner richtig anlernen könnte. )

    Gefragt sind in der Tat sehr viel mehr Männerklamotten und körperumspielende Frauenkleider, die auch Muslima tragen können.
    (Und nein, ich habe kein schlechtes Gewissen, in letzter Zeit so viele Hemden zu Klamotten verschnitten zu haben, die Männer in der LEA tragen wohl lieber Shirts. Bügelfrei.)

    • Eigentlich bin ich eher beschämt, wie schnell meine Grenze erreicht ist. Es ist unglaublich, was andere da bis zur völligen Erschöpfung leisten, in Jobs, die unter anderen Umständen von bezahlten Profis erledigt würden. Ich wünschte, es wäre in den Medien viel präsenter, wie hilfsbereit die meisten Menschen sind.
      Eine Änderungsschneiderei wäre toll, aber eigentlich müsste so etwas auch von Profis betreut werden. Ein ständiger Wechsel sowohl der Bewohner als auch der Helferschichten macht die Sache eben nicht gerade einfach, wie du sagst.
      Und Oberhemden wären hier auch im Überfluss :-) Es soll aber noch eine spezielle Kleiderkammer für Businessklamotten eingerichtet werden, da können sich Flüchtlinge dann für Bewerbungsgespräche und Arbeitsplatz ausstatten .

  3. Danke für Deinen Bericht, ich sehe auch so, dass so positiven Dinge viel weniger präsent sind und gewürdigt werden, es geht in der Presse immer um die aggressiven Aktionen. Hier ist vom DRK eine Liste veröffentlicht worden, was gebraucht wird, genau wie du schriebst vorallem Männerhosen, -Schuhe und langärmlige T-Shirts . Da habe ich vorher auch gar nicht drüber nachgedacht. Ich glaube die Kräfte selber einteilen ist ganz schön schwer in solch einer Situation .LG

  4. Mit Tränen in den Augen habe ich gelesen, was du „gestern“ Abend noch vorhattest und „am nächsten Tag“ schon in die Tat umgesetzt hast – du Süße!

  5. Danke für diesen Kleiderkammerblick, der den Blick auch öffnet für die Menschen darin und davor. Mit seinen Kräften so haushalten, dass sie einen nicht verlassen… – Eine Übung, an der ich oft fast gescheitert wäre. Pass auf dich auf! Lieben Gruß Ghislana

  6. Danke für den Einblick! Ich war heute schon am Verzweifeln, weil ich den Fehler gemacht habe, während der Arbeit immer wieder diese furchtbar dummen, erschreckenden Hass-Kommentare im Internet zu lesen. Umso schöner, dass Du und viele, viele andere Menschen einfach helfen. Ich versuche, durch Geldspenden wenigstens einen kleinen Beitrag zu leisten.

  7. Wowh. Danke für diesen Beitrag. Es ist so wichtig, dass sich jetzt so viele Menschen daran beteiligen, den Menschen, die zu uns kommen, das Leben hier zu erleichtern. Wichtiger denn je. LG mila

  8. Vielen Dank für deine tolle Beschreibung. Wie oben bereits von anderen festgestellt, vermisse ich ebenfalls mehr Berichte über den engagierten Einsatz von HelferInnen, den es dieses Mal nämlich – meinem Eindruck nach – in recht großem Umfang gibt. Ich denke, man sollte sich eher auf die Verbreitung des positiven Umgangs mit der Flüchtlingssituation konzentrieren als auf die negativen. Viele Menschen würden sich davon noch anstecken lassen, daran glaube ich ganz fest (was manche Dinge angeht, scheine ich doch noch Optimistin zu sein). Wenn die Ferien vorbei sind, werde ich mich auch direkt engagieren, momentan bleibt es bei spezifischen Sach- (hier werden Fahrräder gesucht) und Geldspenden…

  9. Die Geschichte geht richtig ans Herz. Gespendet haben wir auch schon aber leider ist finanziell nicht all zuviel drin. Aber zwischen 100-200 waren es schon.Ich hoffe die konnten Helfen. Das Geld ist übrigens nach Berlin gegangen.

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