Strickliesel und Häkeltrutsche – wo kommt das miese Image her?

Bieder. Reiner Omi-Zeitvertreib. Hausfrauen-Sticheln. Altmodisch. Hausmütterchen-Kleinklein. Selbstverliebter Pipikram. Häkel-Trutsche. Wohnungsdekorateuse. Blondschleiche. Strickliesel. Oma-Beschäftigung. Tantenhaft. Wollmäuse.
Unattraktives Thema, nicht salonfähig, bedient abwertende Mädchen-Klischees, trivial, spießig, eingestaubtes Image…

Das sind Worte über Stricken, Häkeln, Nähen, Sticken, gesammelt in den Medien, in letzter Zeit. Eine kleine, völlig unvollständige Sammlung.

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„Selbstverliebter Pipikram???? Komm ruhig näher.“                                       via

Da nützt auch das Umbenennen in Radical-Craftism, Yarn Bombing, DIY, Stitchn’Bitch, Upcycling, SewAlong, Knitparty und die Solidarisierung in Internetcommunities nichts. In den Köpfen der meisten Menschen gilt Handarbeiten weiterhin als uncool.  Auch denjenigen, die unter englischen Begriffen DIYen, wird dann über den Umweg „Rückzug ins Private“ wieder vorgeworfen, politisch unbedarft zu sein.

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Schlagzeilen wie die folgenden bestätigen das Klischee eigentlich nur:

Von wegen, das ist nur etwas für Omis: Handarbeiten sind wieder voll im Trend. (Handelsblatt)

Neuer Trend – Deutschland strickt wieder – Handarbeit ist in Mode (FAZ)

Fleißiges Lieschen legt Hausmütterchen-Image ab  (WN)

Ich frage mich ja seit langer Zeit, wo dieses negative Image herkommt. Und ich frage mich (eigentlich immer mehr) warum textile Arbeiten als weibliche Arbeit gelten. Wie hängen beide Aspekte zusammenhängen: Ist das Handarbeitsimage negativ, weil es weiblich besetzt ist, oder ist es weiblich besetzt, weil Männer zu stolz / sich zu schade sind für schlecht angesehene Tätigkeiten?

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Nun haben inzwischen auch immer mehr Männer Spaß am Stricken, Häkeln oder Nähen. In einem Interview wünschen sie sich auch mehr Austausch und Handarbeitsbücher für Männer. Den Männerüberschuss beim englischen Nähwettbewerb hatte ich ja schon erwähnt. Im Zuge dieser Phänomene kam die Frage auf: Wird Handarbeiten jetzt salonfähig, weil Männer das machen? Lotti und Crafteln haben dazu schon etwas geschrieben. Im englischsprachigen Raum gibt es die Diskussion ebenfalls, im Quiltbereich wie z.B. hier  auch in der Variante „Wenn Männer quilten, ist das dann automatisch Kunst?“.

„Männerstricken“, Zeit Online

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Historisch ist es ziemlich klar, dass textile Arbeiten von Männer und Frauen über Jahrtausende zusammen erledigt wurden. Kleidung, Tücher, Decken, Netze, Seile waren Daseinsgrundbedürfnis und wurden in Eigenproduktion hergestellt, vom Anbau der Faser bis zum vernähten Stoff. Später wurden dann zusätzlich textile Produkte für die wohlhabenden Schichten hergestellt – auch wieder von beiden Geschlechtern. Die Wende kam  erst mit der Stärkung des Bürgertums, der Industrialisierung  und der „Versorgerehe“. Wobei sich dieses Modell nur sehr langsam durchsetzte und die Frauen dabei auch jede Menge schufteten. Je nach Größe des Haushalts und Wohlstand konnten sie bestimmte textile Tätigkeiten delegieren – dann in der Regel an Frauen. Wäscherinnen, Weißnäherinnen, Putzmacherinnen – es gab eine große Zahl erwerbstätiger Frauen mit textilen Berufen.  In den Manufakturen und Textilfabriken arbeiteten weiterhin sowohl Männer als Frauen. Die Mehrheit der Frauen war immer erwerbstätig, schlicht, weil nicht genug Geld für das Haushaltseinkommen vorhanden war. (Zu dem Bereich mehr auch bei Die Erfindung der Hausfrau : Wirklich durchgesetzt in allen Schichten der westlichen Bevölkerung hat sich das Alleinverdienermodell mit der Hausfrau und den Kindern nur nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950ern und 1960ern.„).

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Wo kommt also unsere Vorstellung von den spießigen Handarbeiten her? So ganz klar ist mir das nicht. Sicher hat es etwas mit dem Idealbild von der züchtigen Hausfrau zu tun, nur sah die Realität eben meist anders aus. Vielleicht ist es die Verstärkung dieses Idealbildes in der Nazizeit (wieder von der Realität kaum gedeckt), oder es ist der Rückfall in den 50er Jahren, gegen den sich dann die Jugend in den 60er Jahren auflehnte? Komisch nur, dass es in den 70ern dann wieder ein Handarbeitshoch gab. Nicht unbedingt geholfen hat auch die „links-feministische Version der Trivialisierung der mütterlichen Ordnung“ im Sinne von  „Eigentlich verstehe ich als emanzipierte, sprich: herdflüchtige Frau ja gar nichts von diesem ganzen Weiberkram“  (Zitat aus diesem politischen Austausch  zum Thema Hauswirtschaftsunterricht. Da sind viele Aspekte zu dem Thema angesprochen).

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Interessant ist auch, dass meiner Erfahrung nach in Frankreich, NL, Großbritannien, USA u.a. Handarbeiten nicht so sehr belächelt werden wie bei uns und die textilen Traditionen viel mehr gepflegt werden. Warum? Und dann fehlen noch die Aspekte der DDR-Lebenserfahrung: Handarbeiten/Selbermachen spielte doch beim Selbstversorgen eine große Rolle, galt doch sicher nicht als „trivial“?

Viele Fragen an einem sonnigen Samstagnachmittag, aber vielleicht hat ja jemand Ideen dazu, jetzt oder in Zukunft. Ich werde weiter in dem Gebiet herumforschen und hier hoffentlich immer wieder Mosaiksteinchen präsentieren können.

 

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Nachtrag 2.3.2015

Richtig viel tolle Gedanken zu dem Thema bei Kittykoma. Ein paar Zitate:

Bzgl. Ostdeutschland

…hatten die Frauen (und Männer) einerseits die Energie für Handarbeiten, andererseits mussten sie die Techniken beherrschen um fehlende oder individuelle (oder westliche Industrieprodukte nachahmende) Dinge herstellen zu können, damit ihre Welt nicht im Viskose- und Synthetik-Einheitslook bestand.
Da die industrielle Arbeitsproduktivität stagnierte und sank und Geld nichts mehr wert war, weil man davon immer weniger kaufen konnte, entwickelte sich eine Zweitwirtschaft die auf DIY und nicht kontrollierten Preisen oder Tauschhandel basierte.

bzgl. verlorenem Wissen (bloß wieso ist dann das Wissen im englischsprachigen Internet da? Weil Internet dort früher anfing?)

…Die aktuelle DIY-Bewegung ist vor allem eine Internet-Bewegung. Ältere deutsche Frauen, die die traditionellen Techniken noch beherrschen, sind aber gerade die Bevölkerungsschicht, die sich dem Internet verweigert. Daher fehlen im kollektiven Wissen über Handarbeiten die deutschen Wurzeln und Traditionen.

und aus den Kommentaren bei Kitty Koma

Vielleicht darf ich Ihre Liste noch um einen Punkt ergänzen: Das westdeutsche Handarbeitsrevival der 70er/80er-Jahre hat verbrannte Erde hinterlassen. Es gibt ja nicht von ungefähr das Klischee der strickenden Latzhosenträgerin im Hörsaal. Handarbeit hatte immer auch einen demonstrativ antiintellektuellen Charakter und ist – zumindest in meiner Generation – mit einem gefühligen Differenzfeminismus assoziiert.

 

Crafteln hat inzwischen noch über die Frage nachgedacht, ob Nähen noch mehr Trend wird, und was dann passiert?

Außerdem dieser schöne Hinweis auf Twitter

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26 Kommentare

  1. Die Frage ist so vielschichtig, da weiß ich gar nicht, wo ich zuerst einhaken soll. Nur mal ein paar unverbundene Gedanken:

    Die Abwertung textiler Berufe hat nach meiner Vermutung schon etwas damit zu tun, dass sie mehr und mehr von Frauen ausgeübt wurden – dieser Prozess findet sich in jedem Beruf, der zum „Frauenberuf“ wird.

    Das gewisse Desinteresse gegenüber textilen Traditionen bei uns, dass man den Eindruck haben muss, sowas würde in anderen Ländern viel mehr gepflegt, hängt vielleicht irgendwie mit der deutschen Modeverachtung zusammen? Alles eitle, überflüssige Äußerlichkeiten?
    Ich finde es sehr spannend, dass auch in der verlinkten Debatte zur Daseinskompetenz eine der Teilnehmerinnen – die ansonsten bekannt scharfsinnig argumentiert – über die Hauswirtschaftslehrerinnen sagt, die seien „alle irgendwie propper, oft sehr chic selbstgenäht angezogen, tatkräftig, praktisch, handlich, nett“. Diese Wertung, die da aufscheint, ist doch eigentlich eine Unverschämtheit. Und sie zeigt, wie tief verwurzelt solche Wertungen bei uns sind, wenn sie so unreflektiert verwendet werden, selbst wenn man eigentlich gar nicht will.

    Dass in den Medien fast immer mit dem Muster „früher Oma – heute modern“ berichtet wird, hängt möglicherweise einfach mit der Logik medialen Geschichtenerzählens zusammen? Am Anfang muss dem Rezipienten deutlich gemacht werden: warum ist die nun folgende Geschichte relevant? Was erfahre ich Neues? Die Opposition früher-heute ist ein beliebtes Muster, nicht nur in Bezug auf Handarbeiten. Vielleicht sogar eines, dem man bei dem Thema kaum entkommen kann? Wie könnte man eine Zeitungsgeschichte übers Handarbeiten sonst noch beginnen lassen? Wenn ich darüber nachdenke, fällt mir erstmal auch nicht so viel ein – und das, obwohl ich mich in der Materie sicher besser auskenne als die meisten JournalistInnen. (Im Trailer zur französischen Fassung des Sewing Bee wurde übrigens auch nach diesem Muster argumentiert. Man müsste man Medienberichte aus dem Ausland sammeln.)

    • Das mit dem Vergleich zum Ausland finde ich interessant. Und ich denke, da kommt man auch am ehesten weiter.
      Ich denke auch oft darüber nach, wie man sich in Deutschland ernährt und welchen Stellenwert gutes Essen in anderen Ländern hat.
      Wofür manch einer sein Geld ausgibt?
      Welchen Stellenwert gute Kleidung (selbstgemacht oder gekauft) hat?
      Und womit man überhaupt seine Zeit „vertreibt“.
      Gar keine Antwort, sondern nur noch mehr Fragen.

    • Na ja, Modeverachtung würde ich das nicht nennen, wenn jemand nur in Funktionsklamotten rumrennt. Eher Desinteresse. Aber ändert sich das nicht? Ich meine – die ganzen Modewochen, die Stoffmärkte – die Jugendlichen, die Primark, H&M, Zara stürmen (ist das Mode?). Außerdem: Was heißt das überhaupt: Mode. Aktuellen Klamottentrends folgen oder einfach qualitativ hochwertige Kleidung tragen?

    • Wie es die Medien machen könnten: Hier im Guardian http://www.theguardian.com/tv-and-radio/2015/feb/06/great-british-sewing-bee-review hat mir die Besprechung der GBSB gefallen (wenn ich alles richtig verstanden habe?). „These men have broken the patchwork quilt ceiling“ das finde ich lustig, Die Sache auf die gute Art nicht ganz ernst genommen, eben nicht von oben herab.
      Die Beschreibung der Hauswirtschaftslehrerinnen fand ich o.k., ich hatte das Gefühl, dass die Schreiberin wenigstens mal ehrlich sein wollte, ansonsten war sie ja sehr differenziert.

  2. Zur Abwertung/Aufwertung – „Weiberkram“ (s. „Gedöns“) wird ja immer (noch) als irrelevant und versponnen abgetan – aber wehe, es wird für Männer schick – die sind dann die Könner, die komplexen Visionäre, ahs und ohs inkludiert.
    Ich glaube, das Programm läuft einfach in vielen Medien automatisch so ab, und ich verstehe nicht, woran es liegt. Es schreiben ja nicht nur Männer irgendwelche Handarbeitsabwertungsglossen, das sind ja durchaus auch Frauen!
    Wenn ich boshaft wäre und der Weltverschwörung anhängen würde, würde ich natürlich sagen: aber KLAR, aus solchen Artikeln spricht der böse Kapitalismus, der mit Macht und durch Lächerlichmachen Menschen davon abhalten will, selbst für den Eigenbedarf zu produzieren – das Argument hab ich tatsächlich schon gehört – aber wer einmal Nähzubehör und Stoffe eingekauft hat, weiß, dass die/der Selbstnäher/in keinesfalls aus „dem Markt“ aussteigt.

    • Ein bißchen differenzierter formuliert finde ich die Kapitalismusthese gar nicht so weit hergeholt. Bei vielen hat das Selbermachen ja durchaus bewusst etwas mit Konsumverzicht zu tun. Aber da kommen wir schon zum nächsten Punkt: die Motivationen fürs Handarbeiten sind sehr unterschiedlich, es ergibt keinen Sinn, alle über einen Kamm zu scheren, wie das in Medienberichten gemacht wird.

      • Ja, teuer ist es – das habe ich auch schon als Argument gehört, wenn das Thema Selbermachen (in dem Fall Stricken) aufkam.
        Für mich spielt auch eher eine Rolle, was jemand macht. Wenn ich es toll finde und auch gern hätte, bin ich inspiriert, wenn es nicht mein Geschmack ist oder ich es nicht brauche, geht es mich nicht so viel an.

      • Ja, guter Punkt – die Näherinnen aus dem Upcycling-Eck gehen wohl viel ressourcen- und geldbeutelschonender ans Werk als die Stoff- und Nähzubehörsammlerinnen aus Leidenschaft. :-)

  3. Ehrlich gesagt, habe ich mich am Texbeginn zuerst gefragt, welche Zeitungen du liest , denn ich habe im letzten Jahr immer nur positive Artikel irgendwo gelsen und kann mich nicht entsinnen solche diffamierenden Bezeichnungen bewußt wahrgenommen zu haben. Weder massiv früher, noch heute. Vielleicht wohne ich auf einem anderen Stern?
    Die Überschriften der verlinkten Artikel sollen ja zum Lesen povozieren.
    Selbermachen und Handarbeiten hat bei uns irgendwo immer dazu gehört, was sicherlich auch gefördert wurde in einem Land, indem es nicht alles zu kaufen gab. Nun bewege ich mich natürlich in Räumen, in dem Handwerk, Kreativität zu Hause ist, deshalb habe ich das nie so negativ aufgenommen.
    Kreative können sich aber oft schwer verkaufen und sind glücklich in dem, was sie tun. Frauen werkeln oft für ihre Lieben, erwiesenermaßen beruhigt Handarbeiten und regt Hirnleistung , es wird oft als Selbstzweck betrieben, Aber wie Lucy schon richtig sagt, die Motivation dafür ist in der heutigen Zeit so so unterschiedlich, dass auch das was dabei herauskommt sehr verschieden ist.
    Und Äußerungen darüber hängen ja auch immer mit dem zusammen, was das „Endprodukt“ ist.
    Ich finde man kann eine Grundaussage oder Begründung dazu nicht treffen, weil es zu komplex und vielschichtig ist. Dummerweise wird aber gerade das Bild, was du beschreibst durch die Vielfalt der Medien weiter verbreitet und hält sich deshalb in den Köpfen. Der alte Grundsatz der Wiederholung: was ich 10 mal gelesen habe, stimmmt., wird nicht mehr hinterfragt, sondern als Fakt gespeichert.und solche Twitterbrocken gehören dann auch noch dazu. Das hätte früher mal einer gesagt, dann wäre es vergessen. Jetzt hängt das im Netz für Jahrzehnte rum.

    • Stimmt, ich lese/höre/sehe viel in Bereichen in denen u.a. Journalistinnen dagegen Stimmung machen, dass Frauen zuhause bleiben. Oder miesepetrige Herren sich über alles mögliche auslassen. Die Häkeltrutsche ist zum Beispiel aus einer Krimi-Besprechung. Manchmal kommen die Bemerkungen auch ganz unschuldig, z.B. in einem Podcast sagen zwei Medienmänner: Wir wollen das hier so machen, dass auch die Hausfrau am Bügelbrett uns zuhören kann. Ein Teil der Abwertungen war auch in Kommentaren zu finden, das war dann schon sehr beleidigend.

    • Nun, ich habe 14 Jahre in dem „Land in dem es nicht alles zu kaufen gab gelebt“ und wohne seit kurzem im Süden Deutschlands.

      Handarbeit hat ihr einen ganz anderen Stellenwert. Die zwei Wollgeschäfte in der Stadt sind zu jeder Tagezeit voll. Die Verkäuferinnen sind kompetent. Die Zeitungen berichten hier positiv über Handarbeitstreffen und „Hausfrauen“ werden nicht abwertend behandelt.

      Den Stricktreff in Dresden habe ich übrigens mitgegründet, es gibt ihn immer noch.

      • Von meiner polnische Freundin weiß ich, das Leben in einem Land, in dem es nicht viel zu kaufen gibt, zu einer Flucht in den Konsum führen kann – wer mühsam seine Kartoffeln anbauen musste, planiert sobald möglich sein Kartoffelfeld und macht Rollrasen drauf, als Zeichen des Fortschrittes und Wohlstandes.
        Bei uns kenne ich das aus den Erzählungen der Verwandtschaft aus den Wirtschaftswunderjahren – als man sooo froh war, nicht mehr alles selbst herstellen zu müssen, sondern einfach einkaufen zu können. Bei unserer Generation schlägt das Pendel wieder zurück – ich halte es für eine wunderbare Entwicklung, es macht mich zumindest sehr zufrieden, nicht so abhängig von irgendeinem Textilunternehmen zu sein, sonder selbst etwas herzustellen.

  4. Vielleicht spielt aber auch der Aspekt des Nicht-Professionellen und damit eher Unperfekten in die Abwertung hinein, die Anmutung des geschlechts-unabhängigen Selbstgebastelten aus Kindertagen. Hobbyschrauber und Hobbyschreiner werden auch oft belächelt. Und professionelle Modedesignerinnen und Directricen eher hoch geachtet. Dass für viele Menschen im Freizeitbereich die Entspannung und der Reiz viel mehr im Lern- und Arbeitsprozess und weniger im professionell erscheinenden Ergebnis liegt wird oft übersehen.

    • Ja, wie auch Karen sagt, eigentlich kommt es aufs Endprodukt bzw. die Professionalisierung an. Aber wenn mein Nachbar an Autos schraubt und bei uns die Sommerreifen dranmacht, dann wird das mehr geachtet als wenn ich bei ihm die Gardinen säume, nehme ich an.

  5. Ist es nicht doch vielleicht eher so, dass man/frau beim nachbarschaftlichen Reifenwechsel die gesparten €20,- genauso achtet wie die gesparten €1,50 pro nachbarschaftlich genähtem Saummeter wenn man weder das eine noch das andere selber machen kann oder mag? Und verschiebt sich das nicht dann, wenn man gar kein Auto hat, aber dringend Sicht-, Sonnen- und Kälteschutz vor’m Fenster haben möchte? Spielt es dabei wirklich eine Rolle, ob der Mensch mit Nähmaschine oder Wagenheber eine Frau oder ein Mann ist? Aber ich weiß von mir, dass der Gedanke „das könnte ich selber genauso oder besser kochen/nähen/bauen/reparieren etc.“ meine Bereitschaft senkt für die entsprechende Leistung Geld auszugeben, sie entwertet. Und daher vermute ich, dass die Beschäftigungen geringer geachtet sind, bei denen der Übergang vom Amateur zum Professionellen recht fließend ist und die auch aufgrund der relativ geringen Investition in die Ausstattung weit verbreitet sind. Und deren Produkte aus denselben Gründen (schnell angelernte Arbeitskräfte, einfache Maschinen) oft mit Billigware konkurrieren.

    • Stimmt, historisch war es auch so, dass Nähen leicht zugänglich war, man konnte es in Heimarbeit ausüben und brauchte nur Nadel und Faden, keine komplizierte Ausbildung. Die Zünfte konnten da auch nicht lange Schranken aufbauen. Ist sicher ein Grund für das geringe Ansehen. Nur würde das für alle Länder gelten. Wie Lilia und Gelb oben sagt, man kommt wohl nur über einen Vergleich mit den anderen Ländern weiter, wenn man wissen will, warum die Klischees in D so ausgeprägt sind.

  6. Ich habe erst vor knapp 2 Jahren mit dem Nähen angefangen, schlicht, weil ich etwas brauchte, das der Markt nicht – oder nur zu absurden Preisen – hergab. Kleidung mache ich noch kaum (es fehlt noch an Expertise, ich arbeite daran), aber es kommen zunehmen Bitten aus der Familie und dem Bekanntenkreis. Die betreffen fast immer Dinge, die der Markt nicht bietet. Zum Beispiel: Nackenrollen mit geringerem Durchmesser als üblich, Kissen und Kissenbezüge in unüblichen Maßen oder Formen. – So kann also auch ein standardisierter und industriealisierter Markt dazu führen, daß man sich ‚alte‘ Kulturtechniken neu aneignet.
    Verblüffend übrigens daran: Wenn man meine Arbeiten lobt, dann immer für ihre Professionalität. Frage ich nach, kommt fast immer »Es sieht nicht selbstgemacht aus.«
    Jetzt möge mir bitte einmal jemand erklären, wie das zu Stande kommt. Jeder hat sich schon über schief geschnittene T-Shirts geärgert, über schlampige Nähte, angespuckte Knöpfe – bei Industrieware! Und dann ist das höchste denkbare Lob, daß etwas nicht nach Handarbeit aussieht??

    • Viele assoziieren mit „selbstgemacht“ immer das, was sie bekommen, wenn Grundschulkinder ihnen was zu Weihnachten gebastelt haben. Und auch in der Selbermacher-Szene gibt es z.T. das Klischee, daß man selbstgemachte Geschenke schon deshalb schätzen soll, weil sie selbstgemacht sind (und einige sehen leider auch so aus, dass das der einzige Wert ist). Und viele Leute würden es ja auch nicht so hinkriegen wie Du. Sie sind auch nicht mehr daran gewöhnt, daß Kleidung vom Maßschneider viel besser aussieht/paßt als von der Stange, denn wer läßt sich denn heute noch Kleidung beim Schneider anfertigen?

      Ich erinnere mich an eine Reportage, in der Selbermachen gezeigt (und gelobt) werden sollte. Da war eine Frau, die ihre eigene Wolle spann. Sie schwärmte davon (während sie beim Kardieren gezeigt wurde) was das für ein toller Rohstoff sei, wie weich und warm, dass man da so kreativ sein kann etc. Mir wurde ganz warm ums herz und ich freute mich.
      Dann zeigten sie das Garn und die daraus gestrickten Ergebnisse und mir fiel das Herz in die Hose: das Garn waren die berüchtigten „schwangeren Regenwürmer“, extrem dick und unregelmäßig, die Strickjacke, die der Sohn dann vorführte, sackartig, unförmig und viel zu groß. Die Socken so grob, daß man sie maximal zuhause mal drüberziehen kann, aber keinesfalls als normalen Kleidungsbestandteil. Und dann war es da wieder, das Argument: „man muß ja sehen, daß es selbstgemacht ist“. Grrrr.

  7. Liebe Suschna, danke für’s aufnehmen. In diesem Zusammenhang finde ich die einstigen Ansätze von knbitting anarchist (ein leider inzwischen verstummter dt. blog) und die einzige akademische Arbeit von Kate Davies höxt spannend.
    lG
    antje
    Hand- und Kopfarbeiterin

  8. Eine Frage, die mich auch immer wieder umtreibt. Dieses unsägliche Schlecht-Machen von Frauenwerken, die mensch mit Handarbeiten gleichsetzt und damit dann abwertet. (Übrigens hat der gute alte Nabokov über Jane Austens-Romane gesagt, dass sie wie nett gemachte Klöppelspitzen wären…) Es ist komisch, dass ausgerechnet Tätigkeiten, die vielen Frauen so viel Befriedigung schenken, derart nieder gemacht werden. Immer noch. Weshalb löst die handarbeitende Frau so ein Abgrenzungs-Bedürfnis aus? Ich finde keine Antwort darauf.
    Aber ist das in anderen Ländern wirklich so viel anders?
    Okay, beim Schneidern/Nähen in England kann ich es mir vorstellen, der Tailor hat ja große Traditon. Nur war ich gerade übers Wochenende an der Royal School of Needlework. Es gibt einen einzigen männlichen Tutor an der Stick-Schule. Dennoch. Auf meine Umfragen hin verirrt sich eigentlich nie ein Mann in die Kurse. So saß ich da auch nur mit Frauen, deren Männer in der Zeit z.Bsp. beim „Shooting“ waren.
    Ich freu mich jedenfalls sehr darüber, wenn du dich diesem Thema immer wieder mal annimmst! lg Mila

    • Du machst ja tolle Sachen, Danke für den Einblick! Bei Twitter verfolge ich die London Embroidery School, die scheinen eher modern ausgerichet, vielleicht wäre es da anders?
      Das Hausfrauendasein in England muss wohl auch wie bei uns verteidigt werden, siehe dieser Artikel http://www.theguardian.com/commentisfree/2015/mar/02/housewife-feminist-baby (Thema Hausfrau und Feministin) und die ersten Kommentare. Da wäre bei uns wohl ähnlich argumentiert worden. Nur vielleicht wäre der Artikel gar nicht erst durchgekommen, wer weiß.

      • Oh, danke für beide Hinweise.Die London Embroidery School scheint ein bißchen stärker in Richtung Fashion zu gehen. Der Blog gefällt mir sehr.

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