Woher kommt „blau machen“ und „blau sein“? – Rätselhafte Redensarten II

Gerade ist die Berliner Polizei in den Schlagzeilen, weil sie ein bisschen zu viel gefeiert hat.

Als Strafe wurden die Hundertschaften vor ihrem Einsatz beim G20-Gipfel in Hamburg wieder zurück nach Berlin geschickt. Manche mutmaßten, sie wollten „blaumachen“.

Blau machen, blau sein – wieso sagt man das?

Um es gleich vorweg zu nehmen: Der Ausdruck hat nichts mit Blaufärben zu tun, auch wenn das oft erzählt wird. Blau machen hängt wahrscheinlich mit dem blauen Montag zusammen, der ganz früher zunächst ›guter Montag‹ hieß. Dieser gute Montag ist schon seit dem 14. Jahrhundert als freier Tag für die Handwerksgesellen belegt, später wird er dann auch blauer Montag genannt. Ein Handwerker durfte vier blaue, also freie Montage im Jahr haben – einen je Quartal (die waren übrigens hart erkämpft). Zum Hintergrund habe ich in „Am Rockzipfel“ geschrieben:

Warum dieser Montag blau genannt wurde, ist nicht ganz geklärt. Vielleicht spielen die Farben der verschiedenen Zeitabschnitte im Kirchenjahr eine Rolle. So hieß der Montag vor Beginn der Fastenzeit, der uns als Rosenmontag bekannt ist, lange Zeit blauer Montag. Andere Namen waren Fraßmontag oder Narrenkirchweih – schließlich wollte man sich vor Beginn der Fastenzeit noch einmal richtig gehen lassen. Der blaue Montag wurde dann zum Begriff für alle Tage, an denen man außer der Reihe feierte. »Die kleinen Leute nahmen die Gelegenheit wahr, einmal gründlich blauen Montag zu machen« heißt es über ein Fest Ende des 19. Jahrhunderts. (Am Rockzipfel, S. 85)

Neben dieser Erklärung sehen manche auch noch eine Verbindung zum jiddischen Wort belo = „nichts, ohne“. Daraus könnte das Blaumachen als „Nichtstun“ entstanden sei.

Und wieso ist man blau, wenn man besoffen ist? Auch hier gibt es wieder mehrere mögliche Erklärungen, zum Beispiel wurde „er ist blau“ auch noch bis ins letzte Jahrhundert als „er ist dumm“ verstanden. Bei Schwindel hieß es früher „mir wird blau vor Augen“, heute sagen wir stattdessen „schwarz vor Augen“.

Blau sein für ›betrunken sein‹ ist erst sehr viel später belegt als der blaue freie Tag der Gesellen. Es ist durchaus möglich, dass sich die jungen Männer vor ihren freien Tagen besonders betranken und prügelten – vielleicht sogar blau prügelten. Oder sie waren so hinüber, dass ihnen schummrig ›blau vor Augen‹ war. (Am Rockzipfel, S. 86)

 

Das Blaumachen und der blaue Montag haben also nicht viel mit Textilien zu tun, auch wenn eine populäre Erklärung eine Verbindung zu den Blaufärbern im Mittelalter sieht. Der beliebten Legende zufolge mussten die Gesellen der Blaufärber viel Alkohol trinken, weil für den Gärungsprozess der Farbstoffe Urin notwendig war. Außerdem sollen sie sich am Montag den ganzen Tag ausgeruht haben, um der Farbe Zeit zum Oxydieren, zum Blauwerden zu lassen.

Dyeing British Library Royal MS 15.E.iii, f. 269 14821482

Diese Erklärung wird aber von der Sprachforschung widerlegt. (Wer sich selbst ein Bild machen will, kann in dieser Dissertation stöbern: Etymologie der Farbworte.) Dass das mit dem Oxidieren so nicht stimmen kann weiß man aber auch, wenn man schon einmal selbst mit Indigo oder Färberwaid gefärbt hat. Der Farbton entwickelt sich schnell, wenn er mit Luft in Verbindung kommt. Warum sollte das Blaumachen außerdem ausgerechnet an einem Montag sein, warum mussten die Gesellen für eine große Menge Urin unbedingt Alkohol trinken? Mit ein bisschen Überlegung landet die populäre Geschichte vom Blaumachen der Blaufärber im Bereich der Legende.

Dyers' Quarters, Kanda LACMA M.66.35.171857

Die Blaufärber haben übrigens auch nichts mit dem Wort einbläuen zu tun. Einbläuen kommt nicht von der Farbe, sondern vom althochdeutschen Wort blinwan im Sinne von ›wild gebärden, prügeln‹.

Damit haben wir den Kreis geschlossen zu den Berliner Hundertschaften. (Die im übrigen nach ihrer Rückkehr in die Heimat gar nicht blau machen konnten, sondern gleich wieder gefordert waren – wegen eines Stromausfalls in einem Stadtteil.)

 

14 Kommentare

  1. Da bin ich jetzt schon ein wenig erstaunt, denn ich kenne es auch nur aus der Färbergeschichte. Als Sendung- mit-der- Maus-Fan habe ich ,herrlich erklärt, vor viele Jahren gelernt. Eigentlich sind die Dinge dort gut recherchiert und man kann die 2 Videos im Netz auch noch aufrufen.
    Das Problem bei solchen Dingen ist ja immer, wenn etwas mehr vorkommt als anderes, wird dem häufiger Gefundenen der Wahrsheitsgehalt zugesprochen. du soltest unbedingt an die maus schreiben, Generationen von Eltern haben ihr Wissen dort erweitert. Selbst wikipedia erklärt es beim Färberwaid so.Da die Tiefe des Blautons urspünglich nur durch immer eneutes Tauchen und Belichten möglich war, war der Prozeß ursprünglich wohl doch länger als heute.
    Alles ist immer im Wandel und hinter viele Dinge werden wir wohl nie ganz kommen.
    Ein schöner Postreigen zum Thema Blau.
    viele Grüße, Karen

    • Wie du sagst, je öfter etwas wiederholt wird, desto mehr wird es geglaubt.
      Bei Wiktionary steht es richtig: „In einer von der Sprachwissenschaft nicht vertretenen Erklärungsweise wird angenommen, die Redewendung wäre aus der Praxis des Färberwesens entstanden…“ Da merkst man schon, dass es auch Wikipedianer Energie kostet, sich hinter den Kulissen zu einigen.

  2. Ja, genau, ich kannte die Färber-Erklärung auch von der Sendung mit der Maus! Spannend, und witzig (oder ist es kein Zufall sondern Absicht?), dass Du in letzter Zeit mehrere „blaue“ Posts geschrieben hast. lg, Gabi

  3. oh, da wollte ich auch gerade die mausgeschichte erwähnen. bin ich wohl nicht die einzige. ich war beim lesen dieses absatzes in deinem buch auch wahrhaftig ein bisschen traurig, weil armin in dem mausfilm die färber so großartig dargestellt hat…. vielleicht auch einfach nur verwirrt….
    liebe grüße,
    jule*

    • Du hast das Buch offenbar wirklich gelesen :D, freut mich! Aber meine Spielverderbereien bzw. Besserwissereien finde ich eigentlich auch nicht so gut.

  4. Jaja, nicht nur die Maus liegt mal falsch, auch bei Wissen macht Ah und anderen Seiten (incl. Wikipedia) habe ich überholte Erklärungen gefunden. Und meine Bücher enthalten sicher auch Fehler, denn man orientiert sich ja meist an dem, was man vorfindet – da muss mich sich dann schon mal revidieren, wenn die Forschung fortschreitet.
    Aber ich finde die Maus-Legende ok, ist ja am Ende auch alles nicht so wichtig – zumal der wahre Urspung ja ohnehin nicht 100% gesichert ist.

    • Vielleicht schreibst du mal die Maus an und Wissen macht Ah auch?
      So könnte doch auch ein schöner Dialog entstehen, falls die andere Seite gewillt ist zu diskutieren woher die Erklärungen kommen und warum welche als wahrscheinlicher angesehen wird.
      Vor einigen Wochen gab es in der „Zeit“ einen Artikel über die Forschung/Wissenschaft und wie schnell sich manche Erkenntnisse wandeln und dass auch als gesichert geltendes Wissen so manches mal wieder über Bord geworfen wird, weil man neues herausfindet. Und klar, immer gibt es Leute, die lieber an dem alten festhalten/zurückkehren (Extrembeispiel zb. fundamentale Christen, die die Bibel als wahre Entstehungsgeschichte ansehen.).
      Ein Wissenschaftler wurde zitiert mit: „Wissen hält so lange wie frischer Fisch“.
      Das verdeutlicht gut, wie stark viele Thesen gerade in den letzten 100 Jahren über den Haufen geworfen wurden. (Bei Interesse hier der Link zum Artikel, der aber nur für Abonementen zu lesen ist: http://www.zeit.de/2017/19/wissenschaftsphilosophie-erkenntnisse-wahrheit-korrektur)

      Suschna, ich finde es gut, dass du weiter recherchierst und nicht das einfach hinschreibst, was in so vielen Quellen steht. Bei strittigen Thesen finde ich es sehr wichtig, dass alle einen angemessenen Platz in einem Schriftsatz finden. Es ist doch auch gute Wissenschaft, wenn man offen schreibt, dass es strittig ist, welche These wohl die richtige ist und welche Herleitungen zu den jeweiligen Erklärungen führen. Nur so lässt sich ein Dialog aufrecht erhalten. Also fühl dich keinesfalls schlecht deswegen. Es ist so wichtig, als Forscher weiter andere Meinungen zuzulassen bzw. darüber nachzuforschen und seine eigenen Erkenntnisse nicht als die einzige Wahrheit anzusehen.

  5. Also da hätte ich ja nichts dagegen, für Armin solche Beiträge zu recherchieren :)
    Weil diese Sachen von Redaktionen eben in der Regel an Autoren ausgelagert werden, hat es auch nicht viel Sinn, sich an die Sendungen zu wenden. Die müssten das dann an die Autoren weiterleiten, und wer weiß, wie lange der Beitrag jeweils schon her ist, ob die genug verdient haben, sich da noch einmal darum zu kümmern … und der Sender macht dann ja auch kein Update oder so etwas. Ich hoffe einfach, dass mein Beitrag hier zukünftige Autoren zum Nachdenken bringt – ich sehe es auch an den Google Suchanfragen, dass nach den REdensarten gesucht wird.
    Ihr ahnt ja nicht, wie viele „falsche“ Erklärungen ich in den Büchern beiseite lassen musste – aber ich werde hin und wieder hier meine eigenen kleinen Gegendarstellungen als Blogpost bringen, das ist sicher.
    Danke für euer Interesse und Nachdenken!

  6. Eine weitere mögliche Herkunft, kann in den Kleiderordnungen der Städte liegen. So war es vielfach geregelt, an welchen Tagen welche Farben getragen werden durfte oder auch ob überhaupt. An ihren freien Tagen wurde dann eben zu knalligen Farben gegriffen. Bei Gelegenheit liefere ich Dir noch eine Quelle dafür.

    • Danke für den HInweis. Ich hatte diese (und weitere mögliche) Erklärungen weggelassen, um es nicht zu kompliziert zu machen. In der genannten Dissertation wird die Kleidungstheorie auch gut untersucht.

  7. Hat dies auf Die Stadtbücherei Erkrath bloggt rebloggt und kommentierte:
    Liebe Leser,

    ist es Euch heute nach Blaumachen? ;-)
    Wenn Ihr wissen möchtet, was es mit dieser Redensart auf sich hat, empfehle ich den Blogbeitrag von Suschna. Überhaupt lohnt es sich, den Blog zu besuchen. Hier gibt es immer wieder sehr Interessantes rund ums Textile zu entdecken.

    Viele Grüße
    Eure Beate Sleegers

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