Documenta 2017, eine Enttäuschung

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Alle fünf Jahre findet in Kassel die große Kunstschau Documenta statt, alle fünf Jahre pilgere ich hin. Beim letzten Mal, im Herbst 2012, schrieb ich begeistert : „Diese Documenta wird mir lange in Erinnerung bleiben. Jede Menge Aura, Magie, Poesie, auch im Schrecklichen.  … Sehr menschenfreundlich und hoffnungsvoll.“

Dieses Jahr kann ich sagen: All das ist die aktuelle Documenta auf jeden Fall nicht.  Nach stundenlangem gelangweilten Durchwandern halbdunkler Räume und Herumirren in tristen Kasseler Straßenzügen hätte ich mich am liebsten in die Betonröhren-Installation von Hiwa K hineingelegt und geschlafen. Von Kunstschülern schön eingerichtet, sollen die Röhren an Flüchtligscamps in Griechenland erinnern.

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Dieses Werk hat mich ausnahmsweise berührt, anders als zum Beispiel die Großinstallation daneben, der Parthenon der verbotenen Bücher.

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Die Konstruktion sieht auf Fotos toll aus, aber von Nahem besehen sind das nur unendliche Mengen an Plastikfolie. Immerhin können Schulklassen sich nun darüber unterhalten, warum da neben Kafka auch Harry Potter hängt.

Auch wenn ich enttäuscht war, will ich euch meine Fotos von (irgendwie) textilen Funden nicht vorenthalten.

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In koreanische Bettüberwürfe gewickelte Gebrauchtkleidung (Komsooja), die Idee wäre gut zuhause mit eigenen Kleiderbergen umzusetzen.

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Von Navayo-Weberin Marilou Schultz gewebte Schaltkreise, (rechts in Auftrag gegeben von Intel Corp, 1994).

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Schlüpfer in Metall gegossen (Sprinkle/Stephens).

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Halbfertige Stickbilder (Bertille Bak). Ich habe vergeblich versucht herauszufinden, was es damit auf sich hat. Die Künstlerin ist noch nicht einmal im Künstlerverzeichnis der Documenta gelistet. (Edit: Wahrscheinlich weil das Werk im Fridericianum hängt, wo die Sammlung des Athener Kunstmuseums EMST ausgestellt wird, also nicht direkt „Documenta -Kunst“?) Sympthomatisch, vieles in den Räumen wirkt beliebig irgendwo hingestellt, Informationen gibt es kaum, zum Teil sind sie falsch übersetzt.

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Bei diesen Collagen mit Ausschnitten aus Handarbeitsanleitungen (Katalin Ladik) habe ich erst jetzt gemerkt, dass eigentlich Tonspuren dazugehörten.

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Schreibmaschinenkunst – erinnerte mich an Strickmuster.

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Performance auf einem schön flauschigen rosa Teppich. Für das bisschen Sinnlichkeit und Lebendigkeit war man gleich ganz dankbar.

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Bilder von Zeltaufbauten über Autodächern (Edi Hila) – auch die haben mir gut gefallen.

Auf die mit Jutesäcken verhüllten Torhäuser (Ibrahim Mahama) hatte ich mich gefreut, aber irgendwie sprang auch hier kein Funke über, alles schlaff, grau, langweilig.

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Jutesäcke, Rohstoffhandel, Nord-Süd, Ausbeutung, Kolonialismus, diese Symbolik kann man sich schnell übersehen, besonders wenn sie einem in der Documenta-Halle als Maluntergrund noch extra ins Gesicht gedrückt wird.

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Unmotiviert hingen auch die langen roten Wolltücher der Chilenin Cecilia Vicuña herum, zu nah an dem langen feingestickten Schneebilderband der Schwedin Britta Marakatt-Labba, das viel Interesse fand.

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Wie schön, dass so ein recht konventionell gearbeitetes Textilstück Aufnahme bei der Documenta finden konnte – wohl weil es um die Kultur und Geschichte der Sami geht.

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Einiges zu erzählen gäbe es über die Indigo-Kunst des Afrikaners Aboubakar Fofana. Leider erfährt man vor Ort in der Ausstellungshalle kaum etwas zu den Pflanzen und Textilien. Wahrscheinlich genügte auch hier das Auswahlkriterium „exotisch, hat irgendwie mit Unterdrückung und Vertreibung zu tun“. Echtes Interesse sieht anders aus.

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Nachträglich fand ich die kurze ARD-Reportage Der Magier des Indigo-Blau , in dem Fofana die Stoffbahnen für die Documenta färbt.

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Zu sehen sind dort auch die 54 blaubgefärbten Schafe, die Fofana an den zweiten Documenta-Schauplatz in Athen mitgebracht hatte – für jedes afrikanische Land eins, natürlich als Symbol für Flucht und Migration. (Wegen der Schafe hat Fofana in Athen nun mit Tierschützern ordentlich Ärger bekommen – sie sehen die Tiere „erniedrigt“, ein schöner Dreh in der Sache).

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Nach all dem tat es gut, abends im Kasseler Bahnhof vor der Rückfahrt nach Berlin ganz normale Alltagstauben zu beobachten. Fazit des Tagesausflugs: Einiges Interessantes habe ich gesehen, aber das war keinesfalls sechs Stunden im Zug wert. Schade! Das nächste Mal lese ich erst die Besprechungen, dann überlege ich, ob ich mich auf den Weg mache. Falls jemand von euch noch hinfährt oder schon da war: Es würde mich freuen zu hören, wie ihr es empfunden habt.

12 Kommentare

  1. Noch nie war ich auf einer Documenta. Kenne nur Berichte aus dem TV und dem Feuilleton. Ich kann mich aber noch gut an deinen letzten begeisterten Bericht erinnern. Aus eigenen Erfahrung weiß ich aber, dass fünf Jahre eine lange Zeit sind, in der man intensiv geschaut hat, wenn man kunstinteressiert ist und man wird sehr viel kritischer und läßt sich schwerer überraschen, auch weil man inzwischen viel, sehr viel gesehen hat. Die Vielzahl der Medien tragen auch dazu bei.
    Deinen Bericht habe ich aber mit Interesse verfolgt und Danke dir.
    Viele Grüße, karen

    • Ja, du hast recht, man sieht einfach zu viel. Deshalb finde ich es umso wichtiger, dass eine Sache „in echt“ wirkt, statt auf Fotos, und dass sie auch wirkt, ohne dass man den ganzen theoretischen Hintergrund unbedingt kennen muss. Letztes Mal war das viel mehr, und das war schön :) Aber ich kenne auch andere Besucher, die waren letzes Mal enttäuscht, bin gespannt, was ich noch so lesen werde.

  2. Ich wohne 20 Kilometer von Kassel entfernt und war noch nie auf einer Documenta. (Asche auf mein Haupt.) Trotzdem liebe ich diese Zeit, denn dann wacht Kassel aus seinem „Dornröschenschlaf“ auf und versprüht eine gewisse Leichtigkeit.
    Obwohl ich kein Documenta-Besucher bin, habe ich natürlich die Berichterstattung bzw. den Aufbau der Documenta verfolgt. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, warum diese Kunstausstellung geteilt wurde. Durch diese Entscheidung hat die „Kasselaner-Dokumenta“ viel verloren. Wahrscheinlich auch die Unterstützung der „Kasselaner-Bevölkerung“.
    LG Martina,
    die heute wieder „Leute-auf-der-Dokumenta-gucken“ geht.

    • Ja, wahrscheinlich reichte die Kraft nicht für 2 Standorte. Das Helferteam scheint auch viel aus Schülern zu bestehen – da gibt es bestimmt jede Menge Jobs. Und Leute gucken ist mindestens ebenso interessant wie Kunst gucken – viel Glück!

    • Hallo Martina,
      ich wohne 35 km von Kassel entfernt und bin seit 2007 documenta -Fan. Ich liebe die Atmosphäre in der Stadt in der Zeit und besuche auch regelmäßig die Ausstellungen, aber mit guter Vorbereitung. Ich glaube nicht, dass die Werke an sich wirken sollen, sondern, dass sie eine Aussage treffen. In diesem Jahr ist die documenta sehr politisch. Ich war am Montag dort und habe mich erst einmal außen umgeschaut und die Stadt auf mich wirken lassen. Hier mein Beitrag dazu. https://textilewerke.blogspot.de/2017/06/internationale-kunst-die-dokumenta-14.html Nächste Woche kommen einige Ausstellungen dran. LG Ute

      • Hallo Sushna,
        ja, ich kann verstehen, dass dich die documenta dieses Jahr nicht so anspricht. Da ich in der Nähe von Kassel wohne, kann ich öfter hinfahren und mich rantasten. Am Montag habe ich mir die Außenprojekte angesehen, nächste Woche will ich an einem Stadtspaziergang teilnehmen und eine Führung mitmachen. alleine den Zugang zu finden ist schon schwer. Diese documenta ist sehr politisch und teilweise schwere Kost. Aber wie Martina sagt, ist die Stadt Kassel in den documenta-Jahren immer besoners reizvoll. Das mag ich.
        LG Ute

  3. Hallo, ich hatte gerade heute, glaube in der Zeit, gelesen, dass es in Münster eine erheblich interessante Kunstschatz gibt, wollte schon wieder zur Dokumentata, liegt für mich auf dem Weg zwischen Frankfurt und Hannover, wo ich öfter fahre, aber vielleicht sollte ich es mal lassen nach deinem Bericht. LG Anja

    • Ja, in Münster sollen die Skulptur Projekte 2017 gut sein. Lass dich durch meinen Bericht nicht von Kassel abhalten, bei Ute/Textile Werke findest du z.B. noch weitere Eindrücke.

  4. Hallo,
    habe am Wochenende die Skulpturenausstellung in Münster erradelt.

    Ich glaube wir waren Mitternacht immer noch unterwegs.

    Einfach nur kurzweilig.

    Die Ausstellung geht bis Oktober und ich werde sicherlich nochmal hinfahren.

    viele Grüße

    Birgit

  5. Kurze Frage – warum kommen alle anderen KünstlerInnen bei dir aus Chile, Schweden usw. aber Aboubakar Fofana aus „Afrika“? Mali ist auch ein Land…

    • Die Frage greift tatsächlich zu kurz, denn es ist noch viel schlimmer: Mind. 8 Künstlernamen sind gänzlich ohne geografische Zuordnung geblieben, eine ist potentiell diskriminierend („Navayo-Weberin“), mind. 3 Fotos zeigen Werke ohne überhaupt deren Urheber zu nennen – so ist es eben, mehr wird hier nicht geboten.

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