Unentdeckte Textilmuseen – Industriedenkmal Nordwolle #perlenfischen

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Blick in das Turbinenhaus auf dem Nordwolle-Gelände in Delmenhorst bei Bremen. Hier ist eines der größten Industriedenkmäler Europas zu besichtigen.

Nach Museumsperlen fischen – dazu hat der Blog Museumsperlen aufgerufen. Anlass für mich, endlich einmal vom Besuch eines untergegangen Textilstandorts in Niedersachsen zu berichten. In dem Industriekomplex zwischen Bremen und Oldenburg wurde früher Wolle aufbereitet und Garn gesponnen.

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Das Nordwestdeutsche Museum für Industriekultur bietet einen sehr fundierten Einblick in die Firmengeschichte der Nordwolle. Man bekommt ein Gefühl für Arbeit und Leben in einer Fabrik über hundert Jahre hinweg, von 1880 bis 1980.

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Zu den besten Zeiten der Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei arbeiteten auf dem Gelände 4.000 Menschen. Das Gebiet war eine Stadt in der Stadt mit Arbeiterhäusern, Krankenanstalt, Speisehaus und Badeanstalt.

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Der Zylinder für den Chef, die Melone für den Angestellten, die Mütze für den Arbeiter – nur drei Exponate, und die Hierarchie in der Fabrik ist geklärt.

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Als ob der Bürostuhl nur kurz verlassen wurde.

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Gang durch die Produktionsschritte.

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Maschinen in Aktion: Das Spinnen ist unglaublich laut.

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„Ein Kopftuch ist kleidsam und schützt vor Gefahr“.

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„Ordnungssinn bringt Gewinn“.

Ganz nebenbei erzählt der Rundgang auch ein Geschichte von Gastarbeit und Einwanderung.

NWK = Norddeutsche Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei

Gegründet hat das Textilimperium die Bremer Kaufmannsfamilie Lahusen. Das Museum erzählt auch die Geschichte vom Aufstieg und Fall dieser Unternehmerdynastie, Räume sind anschaulich nachgebaut.

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Der Zusammenbruch des größen europäischen Woll-Imperiums nach Bilanzbetrügereien war ein Skandal. Die Pleite im Jahre 1931 riss mehrere Banken mit in den Abgrund, weltweit verloren 20.000 Menschen ihre Arbeit und viele Sparer ihr Geld.

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Zu diesem Aspekt hat Radio Bremen gutes Material zusammengetragen. In einer ARD-Doku der wird der Fall spannend erzählt: Der große Crash Die Wirtschaftskrise von 1929 in Deutschland. Aus den Akten des Prozesses um die Pleite entwickelte die Bremer Shakespeare Company ein Theaterstück.

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Die Nordwolle konnte sich in Nachfolgegesellschaften noch bis in die 1980er Jahren halten, gab dann aber auf. Textilien waren in Asien längst günstiger zu produzieren, die Arbeitsplätze in Delmenhorst fielen der Globalisierung zum Opfer. Der Stadt ging es nicht besonders gut, auch während meiner norddeutschen Kindheit hatte sie nicht den besten Ruf. Umso überraschter war ich, inzwischen dort heute so eine Sehenswürdigkeit zu finden. Das Museum bietet auch Führungen und Aktionen an, das Stadtmuseum nebenan bringt zusätzliche Einblicke in die Geschichte Delmenhorsts.

Das Gelände gehört zur Europäischen Route der Industriekultur und ist auf jeden Fall einen Abstecher wert. Bis zum 20. August 2017 läuft außerdem eine Sonderausstellung mit textilen Schätzen chinesischer Bergvölker.

Danke für die Blogparade #perlenfischen vom Infopoint Museen & Schlösser in Bayern – ohne diesen Anstupser hätten es meine Fotos und mein Bericht vielleicht nie in den Bog geschafft.

Nach dem Museumsbesuch noch schnell ein Gang in eine andere unerwartet schöne Ecke der Stadt, die Graftanlagen – dazu läuft „Delmenhorst“ von Element of Crime.

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Element of Crime

Delmenhorst 

Ich bin jetzt immer da, wo du nicht bist
Und das ist immer Delmenhorst
Es ist schön, wenn’s nicht mehr weh tut
Und wo zu sein, wo du nie warst

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Hinter Huchting ist ein Graben 
Der in die Ochtum sich ergießt 
Und dann kommt gleich Getränke Hoffmann 
Sag Bescheid, wenn du mich liebst

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Hinter Huchting ist ein Graben 
Der ist weder breit noch tief 
Und dann kommt gleich Getränke Hoffmann 

Sag Bescheid, wenn du mich liebst.

13 Kommentare

  1. Die drei Hüte und die Hierarchie ist wirklich ein Perlenfund! Toll, dass diese spannende Geschichte auf den Blog gefunden hat. Spannend – und traurig, ein Wirtschaftskrimi ohne happy end. Ich bin beim Schild „Trinkwasser – waschen verboten“ stutzig geworden: Wasser aus der Leitung bedeutet für mich immer Trinkwasser. Eigentlich arg, wie selbstverständlich da für mich ist. lg, Gabi

    • Ja, das Schil muss ich nochmal extra hochladen, es ist etwas verwirrend zusammen mit dem Waschbecken, Bin gersde untrrwegs, mache ich heute abend.

  2. Moin! Und Danke für den Beitrag!
    Wenn es denn Bilanzfälscherei und Betrag war, dann sollte die Stadt Delmenhorst das auf ihrer Webseite ruhig zugeben und nicht in solch knappem Statement verstecken:
    „Von einer ersten großen Bedrohung der Existenz als Folge der Weltwirtschaftskrise konnte sich das Unternehmen 1931 wieder erholen. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es einen erneuten Aufschwung.“

    Es ist wirklich interessant, daß solche Geschichtsklitterei auf der Webseite http://www.delmenhorst.de/leben-in-del/stadt/nordwolle.php
    steht.

    • Nein, das ist eine ganz komplizierte Geschichte, hatte auch überlegt, ob ich den Punkt weglasse. Am besten mal bei den Links nachlesen, sowas ist immer schwer verkürzt darzustellen.

  3. Nein, ich fand das Bild nicht verwirrend. Mich hat das Schild nur nachdenklich gemacht, dass wir/ich sauberes Trinkwasser so ganz selbstverständlich zum Waschen (und WC-Spülung!) verwenden. Während in anderen Weltgegenden, und auch historisch gesehen, sauberes Trinkwasser eine Kostbarkeit ist. lg, Gabi

    • Ja, hatte mich gefreut, dass du es entziffert und richtig verstanden hattest ☺
      Wahrscheinlich kann ich meine Leser ruhig für schlauer halten ☺

  4. Danke, dass du den Artikel doch nocht fertig gemacht hast. Das hört sich wie ein sehr lohnendes Reiseziel an. Und gute Fotos sind das!

  5. Schöner Artikel, lieben Dank! Das Ausmaß dieser textilen Produktionstätten um die Jahrhundertwende ist immer unglaublich, sowohl von der Größe, als auch von der Zahl der Beschäftigten.
    VG Karen

  6. Liebe Susanne,
    wir möchten uns sehr herzlich für diese wunderbare und spannende Museumsperle bedanken, die unsere Blogparade #perlenfischen so schön ergänzt!
    Viele Grüße
    Sabine, Jana & Anna (Redaktion Museumsperlen)

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