Hustenkur in Kamelhaardecke und Pelzsack

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R. Cooper, Detail, WelcomeTrust, CCby4.0

Bakterien und Viren haben mich weiterhin fest in ihrem klammen Griff. Zwischendurch schien mir eine Art Luftkur in einem Liegestuhl im Garten angebracht, aber es war furchtbar kalt und ich hielt nicht lange durch.

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Wie haben sie es denn früher in den Sanatorien gemacht, fragte ich mich? Luft- und Liegekuren bei Minusgraden waren damals doch eine übliche Behandlungsmethode. Neugierig nahm ich den Zauberberg von Thomas Mann zur Hand. Dankenswerterweise wird dort alles im Detail erklärt. Thomas Mann musste es wissen, denn er hatte 1912 eine Zeitlang seine Frau im Sanatorium in Davos besucht und die Kunst des Sicheinwickelns gelernt.

Die Hauptperson im Roman, Hans Castorp, hat sich zwar ein  „schönes weiches, dunkelrot und grün gewürfeltes Plaid“ mitgebracht, aber damit ist es viel zu kalt. Er kauft er im Ort zwei Kamelhaardecken, „ein langes und breites, angenehm weiches Fabrikat in Naturfarbe“.

Der Liegestuhl für die Luftkur ist komplett mit einer Matratze gepolstert.

Ausserdem war vermittels einer Schnur eine weder feste noch zu nachgiebige Nackenrolle mit gesticktem Leinenüberzug daran befestigt, die von besonders wohltuender Wirkung war…

Man lag ganz ungewöhnlich bequem, das stellte Hans Castorp sogleich mit Vergnügen fest. – Er erinnerte sich nicht, daß ihm je ein so angenehmer Liegestuhl vorgekommen sei … Er schlug die Kamelhaardecke zuerst von links der Länge nach bis unter die Achsel über sich, hierauf von unten über die Füße und dann von rechts, so daß er endlich ein vollkommen ebenmäßiges und glattes Paket bildete, aus dem nur Kopf, Schultern und Arme hervorsahen.

Das Einpacken will gelernt sein. Nur Altegediente schaffen das Ritual mit drei Griffen. Hans ist es aber trotz Wintermantel, Matratzen und Decken noch kalt, so dass er sich den  aufknöpfbaren Pelzsack kauft, in dem die meisten Patienten liegen. Nachts auf dem Balkon hatte er um diesen Pelzsack

die beiden Kamelhaardecken nach dem Ritus geschlagen. Dazu trug er über dem Winteranzug seine kurze Pelzjacke, auf dem Kopf eine wollene Mütze, Filzstiefel an den Füßen und an den Händen dickgefütterte Handschuhe, die aber freilich das Erstarren der Finger nicht hindern konnten.

Seinen Aufenthalt im Sanatorium finanziert der wohlhabende Erben einer Hamburger Kaufmannsfamilie problemlos. Er bleibt sieben Jahre auf dem Zauberberg, bis der Erste Weltkrieg sein passives Dasein beendet und sich seine Spur im Krieg an der Westfront verliert.

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Die Liegekur mit streng geregeltem Tagesablauf bleibt noch viele Jahre die Standardtherapie bei Tuberkulose, erst nach dem 2. Weltkrieg werden wirksame Medikamente gegen die Krankheit gefunden.

Wikipedia:

Die Liegekur ist wohl das eindrücklichste Beispiel für eine erfolgreiche psychosomatische Behandlung einer organischen Erkrankung.

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Wie es für einen Fabrikarbeiter in einer Lungenheilanstalt aussah, berichtet Moritz Bromme in seiner Lebensgeschichte vom Anfang des letzen Jahrhunderts. Es gibt ein Invalidenversicherungsgesetz, so dass die Kosten des Aufenthalts zum Teil gedeckt sind und die Familie des kranken Ernährers ein geringes Tagegeld erhält. Dennoch muss Bromme für die im Sanatorium geforderte Ausstattung an Hemden (6) und Unterhosen (2) einen Kredit aufnehmen.

In den 10 offenen Liegehallen mit je  12 – 18 Liegestühlen wird ihm ein Platz zugewiesen.

Nach dem Mittagstisch bis zum Vesper resp. 3/4 4 Uhr findet die große Liegekur statt, bei der absolute Ruhe herrschen muß. Jede Unterhaltung, sowie Lesen und Spielen ist verboten. Jeder Patient soll versuchen, zu schlafen, um den Verdauungsprozeß zu fördern, oder zum mindesten still zu liegen…

Nach dem Abendbrot findet bis 9 Uhr wiederum Liegekur statt, zu welcher Unterhaltung oder Lektüre gestattet ist; leider ist die Beleuchtung in der Liegehalle nicht sehr reichlich. Es ist nur eine einzige elektrische Glühlampe in der Mitte da. Um 9 Uhr packt man seine Decken zusammen, von denen man im Sommerhalbjahre 3–4, im Winter 5–6 erhält. Diese Decken werden in einem eigens dazu eingerichteten Raum über Nacht aufbewahrt. Um 10 Uhr muß alles zur Ruhe und alle elektrischen Lampen ausgeschaltet sein. So geht ein Tag wie der andere dahin.

Ein interessantes Nebendetail ist der Blaue Heinrich, ein Spuckglas für den Auswurf.

„Taschenfläschchen für Hustende“
Blauer HeinrichWiki

Sowohl im Zauberberg als auch in den Memoiren des Fabrikarbeiters wird das Behältnis erwähnt. „Dann erhielt ein jeder die blaue Taschenspuckflasche, in der sämtlicher Auswurf aufgefangen und dann direkt in die Klosetts entleert wird.“ erzählt Bromme.

Bei meinen Recherchen fand ich heraus, dass ich auch heute noch eine Liegekur im alten Stil mit Kamelhaardecken machen könnte, und zwar im Sanatorium im Harz. Das Jugendstilhaus sieht sehr schön restauriert aus. Für 1.100 Euro in der Woche inkl. Bioessen, Behandlungen und natürlich Freiluftliegekur wäre man als Selbstzahler dabei.

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Wenn es bei mir also bleibt wie bei Hans Castorp

Zuweilen hob sich seine Brust mit einem beklommenen Beben, und dann musste er husten aus seiner katarrhalischen Brust

melde ich mich vielleicht bald aus Braunlage. Oder wenigstens von meiner Veranda im Frühlingsgarten.

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18 Kommentare

  1. Bitte nicht. –Blauer Heinrich brrr, dann hol dir lieber noch einmal kalte Füße und bleibe im Hausgarten. Zuhause ist Kranksein am schönsten!? oder wie heißt ein bekannter Spruch? Da fällt mir noch ein blöder Spruch ein: Geduld und Spucke? Gehört das zum Gesundwerden? Unter den aufgezählten Aspekten habe ich das noch nicht gesehen. Also Gute Besserung.
    Carmen

  2. Meine Mutter war 1960 noch für ein halbes Jahr in Liegekur in Davos als sie Anfang 20 war. Die Tuberkulose war ein Mitbringsel aus der Zeit der Flucht nach dem 2. Weltkrieg. Sie erzählte das sie auf den breiten Veranden lagen und die Frauen sich mit Handarbeit beschäftigten. Als es ihr besser ging durfte sie Spaziergänge um den See machen. Ansonsten bestand die Behandlung aus Unmengen hochwertigem Essen. Leider kann ich sie nicht mehr fragen aus welchem Material ihre Bettwäsche bestand. Das waren noch Zeiten als die Krankenkassen halbjährliche Kuraufenthalte in der Schweiz genehmigten

  3. Du Arme ! Ich hoffe deine obskure Balkangrippe dauert nicht allzu lang an ! Vom Sofa ohne Frischluftzufuhr sende ich dir die besten Genesungswünsche.
    Mein Sohn der ein Frühchen war und sehr lange beatmet wurde, schlief Jahrelang im Freien.Dick eingepackt und mit Wärmflasche.Seine Lungenproblematik die durchaus noch Thematik sein könnte ist seit 5 Jahren verschwunden. Das mag auch am Wachstum liegen, aber frische Luft, sagte die Omma immer, und riss alle Fenster auf, frische Luft ist gesund !!!!
    Ich liege auch mit Husten in den Garten in die Sonne.
    Ich stelle mir immer vor wie die Sonne den Schleim austrocknet und wegätzt.
    Dann fühl ich mich gleich besser.
    Gute Besserung und liebe grüße
    Stella

    • ach wenn wir hier doch mal einen kleinen Sonnenstrahl im Grau hätten, ich würde mich mit Davos-Ausstattung dann noch einmal rauswagen. Dir auch gute Besserung!

  4. … meine Mutter hat so eine wunderbar warme Kamelhaardecke, wenn ich als Kind fieberfröstelig war, wanderte sie manchmal auf mein Bett (ich kann mich noch an den speziellen Geruch erinnern) ….gute Besserung!

  5. Diese Dinger sind dieses Jahr echt hartnäckig.Lieber gut auskurieren!
    Ich kenne auch viele Bilder mit Terassen und eingemummelten Leuten, hatte aber angenommen, dass man das im Sonnenschein(oder Mittagszeit) und bei moderaten Temperaturen macht. Ich friere ja sogar, wenn es warm ist, wenn ich still liege. Vorrangig war es doch für Tubekulosepatienten, denen wohl frische/reine Luft guttat. Dass es Liegekuren gab, ist interessant, aber auch echt langweilig.
    Tja, bei der Medizin hat sich so einges entwickelt.
    Schöner Beitrag !
    Schnelle Genesung wünsch ich dir!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
    Lieben Gruß K.

    • Ja, für Tuberkulose – inkl. jeder Menge Fehldiagnosen. Da war dann eine hartnäckige Erkältung auch schnell mal eine beginnende Tuberkulose. (Auch Katia Mann hatte wohl gar keine Tbc, ihren Mann wollten sie zusätzlich dabehalten – entspr. dann die Zauberberg-Satire). Interessant finde ich die Beobachtung, dass der ganz streng geregelte Tagesablauf und der Zwang zur Ruhe wahrscheinlich doch eine gute Wirkung hat, gibt mir zu denken.

  6. Ich kann mich erinnern, dass meine Mutter von einer Kur in Timmendorfer Strand erzählt hat, die sie als junge Frau über das Müttergenesungswerk bekommen hat, da hat sie auch in Decken eingewickelt an der frischen Luft gelegen. Ich weiß allerdings nicht, in welcher Jahreszeit das war und fragen kann ich sie leider nicht mehr.
    LG
    Siebensachen

  7. Oh je, immer noch. Ich hoffe du kannst dich auch so entspannen wie die Kurenden einer Liegekur (vielleicht mit ein bisschen weniger Zwang, dafür auf alle Fälle mit sehr guter Lebensmittelversorgung).

    Ich war ja mal mit den Kindern in (Kinder-) Kur und hätte mir sehnlichst gewünscht, möglichst viel eingewickelt in der Sonne liegen zu dürfen. Inzwischen denke ich, richtig kuren kann man nur a) ohne Kinder und b) ohne Zwangsaktivitätenprogramm.
    Eigentlich würde es vermutlich den meisten Menschen gut tun, einen Liegekur zu machen. Schade, dass es dafür keine mächtige Lobby gibt.

    Vor ein paar Jahren kam mal eine Berichterstattung über die früheren Luftkuren bei TB, ich fand das sehr spannend und fast schon reizvoll :) Trotzdem ist es natürlich ein Segen, dass es Antituberkulotika gibt (das Wort hab ich nachgeschlagen, man lernt nie aus).

    Ich hoffe, dir geht es einen Hauch besser, hoffentlich brauchst du keinen blauen Heinrich (brrr) und stattdessen stellt dir vielleicht jemand ab und zu ein Inhaliergerät und heiße Suppe hin. Kuriere dich richtig aus!

    Alles Liebe, frifris

  8. Dir erstmal gute Besserung und freundliche, aktive Hilfe der Hausärztin.
    Ich habe vor einem Jahr eine Aalto-Ausstellung besucht, da ging es auch um die architektonischen Aspekte beim Bau von Sanatorien für TB-Liegekuren. Wäre mein Gedächtnis besser, könnte ich also inhaltlich auch etwas beitragen.Aber so erinnere ich mich nur noch an freundliche Türkistöne für die Wände.
    LG
    Wiebke

    • Hehe. Da sieht man mal wieder, wie eindrucksvoll eine gelungene Ausstellunsarchitektur sein kann! Oder wie erschlagend?! Aalto hat ja eigentlich genug Inhaltliches zu bieten.

      Liebe Suschna, dir auch hier noch einmal die besten Genesungswünsche. Das klingt sehr ermüdend, deine Husterei… Ich habe die entsprechenden Passagen des Zauberberg auch einmal im Fieberwahn gelesen und muss sagen, dass das die Lektüre sehr viel eindrücklicher gemacht hat.
      LG, Bele

  9. Also dass es in Braunlage Liegen mit braunen Decken gibt, das ist mir zu viel.
    *lach*

    Ich huste auch noch immer vor mich hin.
    Die Bronchien sind seit Ende September verengt, mal mit Husten und mal ohne.
    Meist geht das weg, wenn endlich Frühling ist.
    In den letzten drei Wochen schlafe ich abends meist schon um 19 Uhr ein. Nachts wache ich auf, lese, esse, stricke eine Weile, bis ich wieder müde werde und schlafe dann bis morgens um sieben durch. Nur von gelegentlichen Hustenanfällen unterbrochen.

    Dank Globalisierung gibt es ja ständig die neuesten Modekeime, die sich dank Arbeitsplatzverlustangst super verbreiten. *grrr*

    Liebe Grüße,
    Henriette

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