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„Der Rock aber war ungenäht, von obenan gewirkt durch und durch.“
Wie angekündigt nun etwas mehr zum rätselhaften Rock Jesu, um den die Soldaten laut Johannes Kapitel 19:23-24 losten. Ich habe viel nach Informationen gegraben und muss langsam mal damit aufhören. Daher nun zusammengefasst ein paar Eckpunkte:
1. Das Gewand
Im uprsprünglichen griechischen Text des Neuen Testaments heißt das Gewand Jesu, um das gelost wird : Chiton (lateinisch tunica). Der Chiton war das Hauptkleidungsstück in der griechischen Antike, im Grunde ein Stoffschlauch, der über den Kopf gezogen und dann mit Nadeln, Spangen o.ä. auf den Schultern festgehalten wurde.
Der Chiton wurde sowohl als Ober- als auch als Unterkleidung (d.h. direkt auf der Haut) getragen. In den vielen Bibelversionen weltweit wird dieses Gewand Jesu mal als Untergewand, mal als Obergewand beschrieben.
2. „von oben gewebt“
Im griechischen Text heißt es, das Gewand sei „von oben gewebt“, in einem Stück.
Forschungen zu antiken Webmethoden zeigen, dass im römischen Reich vertikale Webstühle weit verbreitet waren, bei denen von oben nach unten gewebt wurde, d.h. zum Weber hin.
Quelle Wikicommons
3. „Nahtlos“
Im griechischen Bibeltext wird das Gewand Jesu als „nahtlos“ beschrieben. (Lateinisch: Tunica inconsutilis). Den Chiton bzw. die Tunika muss man sich also als nahtlosen Schlauch vorstellen, von oben gewebt, in einem Stück. Es gab demnach im Altertum eine Technik, bei der „rund“ gewebt wurde und keine Webkanten entstanden. Bereits im antiken Peru war das Weben in „Spiralen“ bekannt, wodurch ein röhrenförmiger Stoff entstand. Im 17. Jahrhundert sinnierte der Gelehrte Braunius über nahtlose biblische Gewänder und zeigt einen vertikalen Webstuhl, auf dem mit einem Schussfaden und doppelter Kette eine schlauchförmige Tunika gewebt werden konnte.
Quelle
Die Weberin ging dabei mit dem Schussfaden um den Webstuhl herum. Sogar Ärmel hätten danach noch nahtlos angewebt werden können. Kritiker zweifelten das Verfahren an, aber es gibt doch zahlreiche Nachweise, die eine Webtechnik in Runden belegen. In diesem Artikel „Das Weben antiker nahtloser Gewänder“ werden die Überlegungen zusammengefasst.
4. Das nahtlose Gewand in der Mythologie
Aus theologischer Sicht muss man das „nahtlose“ Gewand auch nicht unbedingt wörtlich nehmen. Im übertragenen Sinne könnte damit zum Beispiel die Einheit der Kirche gemeint sein.
Einer Legende nach strickte Maria das Leibgewand Christi, um das später gelost wurde. Auf dem Buxtehuder Altar ist die Szene verewigt – Maria strickt rund, also nahtlos!
Detail Buxtehuder Altar
In der chinesischen Mythologie gibt es eine Geschichte über die Göttin der Webkunst, die ein nahtloses Kleid trägt – „Im Himmel werden Kleider nicht mit Nadel und Faden gemacht“ sagt die Göttin dazu.
5. Reliquien
Erwähnen muss ich noch, dass das letzte Gewand Jesu auch an verschiedenen Orten als Reliquie verehrt wird. Unter anderem soll der Heilige Rock in Trier Reste des letzten Hemdes enthalten. Zu diesen Reliquien gibt es viele theologische Abhandlungen, z.B.„Dein Kleid will mich was lehren“- Der Rock ohne Naht
Soweit der Schnelldurchlauf zum Thema.
An was werde ich nun das nächste Mal in der Johannespassion denken, wenn vom nahtlosen Rock gesungen wird? An eine Tunika aus feinem Leinen, rund gewebt, zu wertvoll, um sie zu zerschneiden. Oder auch an die strickende Madonna. Und ich werde dann hoffentlich nicht wieder von der Musik abgelenkt sein. (Evtl. aber werde ich auch die von Katharina im Kommentar erwähnten fallenden Würfel hören und überlegen, ob da denn nun wirklich gewürfelt wurde? Oder vielleicht doch auf andere Art gelost? Himmel, bloß nicht.)
Wer mir bis hierhin im Text gefolgt ist, verdient eigentlich einen Preis. Aber es gibt bloß ganz viel Dank für die Aufmerksamtkeit.
Nachtrag 8.4.2013: Eine ganz andere Herangehensweise habe ich in dieser Dissertation gefunden: Der nahtlose Rock soll der purpurne Prunkmantel sein, der Jesus zum Spott umgelegt wird. Joh.19,2 : „Und die Kriegsknechte flochten eine Krone von Dornen und setzten sie auf sein Haupt und legten ihm ein Purpurkleid an“. Mit Matthäus und Markus klappt das aber nicht, denn da wird Jesus der Purpurmantel wieder abgenommen und er bekommt seine eigenen Kleidern wieder (Matthäus 27, 28-31, Markus 15,20).
Zweiter Nachtrag 25.6.2014, Kommentar per Mail:
„Heute sagt man dazu Doppelbreitgewebe (die sind aber nur an einer Webkante zusammen, an der anderen getrennt – also kann man an einem schmalen Webstuhl ein doppelt so breites Gewebe weben, Doppelgewebe oder eben immer noch Schlauchgewebe.
Es ist webtechnisch gar nicht mal so schwer, sowas zu weben – aber man muss beim Weben selbst wahnsinnig aufpassen, dass genau gewebt wird und das Fach beim Eintragen des Schusses sauber getrennt ist – bindet man nur einen einzigen Faden falsch, kann es sein, dass man die zwei Lagen des Gewebes nicht auseinanderziehen kann, weil doch verbunden – wie ärgerlich!“
Danke für deine Recherchen! Besonders faszinierend finde ich die strickende Maria, diese Darstellung kannte ich überhaupt nicht. Ich bin demnächst in Hamburg, und hab jetzt Lust, dort auch die Kunsthalle aufzusuchen und das Bild mal direkt zu sehen. Schön, wie weit unsere Kulturtechniken zurückreichen.
Liebe Suschna, das ist ja eine sagenhafte Arbeit geworden, von der Johannespassion, einem Kirchenbesuch und dazu der handwerkliche Umgang von Maria bis Jesus. Meine Hochachtung für deine interessanten Ergebnisse.
Hier kann ich noch den Verweis zu einer weiteren tollen Häkelkünstlerin hinzufügen, sie hatte es auch schon mal mit Trier und dem wichtigen Ereignis dort und roter Häkelkunst….
http://katharinakrenkel.blogspot.de/2012/09/9-heilige-rockchen.html
liebe Grüße Carmen
Sehr spannendes Thema und leider wird es wohl immer sehr offen bleiben, weil eben Beweise schwer vorlegbar sind und Textlien so schnell verrotten im Vergleich zu so vielen anderen Dingen, die uns etwas erzählen können. Als ich vom von Rundweben hörte, dachte ich zuallererst an Großrundstrick in der Industrie, was ja nichts anderes ist, als die 4-Nadel-Technik in ein größeres und effektives Maß gebracht.Ich glaube nicht an Rundwebstühle. Es war schon so irre aufwendig Flächen zu weben und in Runden hätte man kaum die Möglichkeit den Schußfaden in immer gleichen Maß anzuschlagen, so dass ein unruhiges Flächenbild entstehen würde und das Ganze sehr langsam voran käme. Wenn man alte Textlien gefunden hat, ist eher zu sehen, dass man vermieden hat sie so zu zerschnieden, dass Abfall entsteht. Man hat versucht immer Rechtecke zu benutzen und Körperformen mit Raffung, Zug etc zu bilden. Am ehesten könnte ich mir tatsächlich gehäkelt oder gestrickt in Runden vorstellen.Und mit Begriffen Gewirk, Gewebe etc. ist man sehr unwissend oder beliebig umgegangen und hat mit den heutigen Begriffen in der Textiltechnik eher sicher wenig zu tun.
Wir müssen eben doch noch eine Zeitmaschine erfinden!
VG karen
Liebe Suschna,
So wunderbare Beitraege von dir koennte ich Stunden lesen: Sie duerfen gern viel laenger sein. Ich bin heute frueh zum obersten Regalbrett geklettert und habe im Orginal nachgelesen. Im Gemollgriechischlexikon ist das Chiton sowohl das Unterkleid als auch das Gewand(Uerbekleid) . Davon leitet sich vielleicht auch Kattun ab. Das Wort Kleider steht im Orginal als Imation, das heisst im Lexikon aber Obergewand. Hmm. Exegese ist auf keinem Gebiet einfach !
Liebe Susna,
der Dank gebührt dir. Du hast die interessanten Informationen zusammen getragen.
Einen schönen Sonntag Mema
Danke für Links und Anmerkungen. Wegen des Rundwebens: Ich hatte in einem Blog den Kommentar einer Frau gefunden, die in ihrer Ausbildung schon einmal rundgewebt hatte. Sie sagte, an den Wendestellen gibt es dann jeweils Verdickungen. Aber ein bisschen unklar bleibt doch alles. Auch mit der Frage Ober-Untergewand. Leibwäsche im heutigen Sinne gab es ja ohnehin nicht, man zog auch mehrere Tuniken übereinander.
Mir hat die Suche und Auslegung Spass gemacht. Jetzt gibt es auch noch ein Buch „Mode unter dem kreuz – Kleiderkommunikation im christlichen Kult“ (http://www.buecher.de/shop/mittelalter/mode-unter-dem-kreuz/geppert-silke/products_products/detail/prod_id/35647148/), da werde ich mal versuchen, hineinzuschauen.
Die werden damals auch nicht gewürfelt haben , In der Antike gab es das Knöchelspiel .
Ja, und das würde die Musik auch nicht stören, denn die Knöchel klackerten ja sicher ähnlich herunter.
[…] ohne Naht (passt zum Beitrag “Das letzte Hemd” – Jesu nahtloses […]
[…] war das Meisterstück des Leinenwebers Hermann van Hoeffel. Gleich musste ich an das letzte Hemd, den Rock ohne Naht in der Jesusgeschichte denken. Wer hätte gedacht, dass ich so ein Stück einmal in echt sehen […]