Ist das nicht ein schönes rotes Kleid mit einem besonderen Ausschnitt? Erst jetzt beim Fotografieren ist mir aufgefallen, dass der Schmuckkreis an der Schulter Patronenhülsen darstellt.
Dieses Kleid ist eine von 250 Abbildungen im Buch Forties Fashion des Kanadiers Jonathan Walford (leider nur auf englisch erhältlich). Nicht das übliche Vintagemodebuch, sondern eine Fundgrube für interessante Fakten rund um die Mode in Europa, Nordamerika, Australien und Japan zur Zeit des 2. Weltkriegs und danach. Patriotismus und Propaganda in der Kleidung, der Umgang mit Mangel, Rationierungen und Verboten spielten überall eine Rolle.
Die Berichte aus den verschiedenen Länder werden ganz nüchtern nebeneinander gestellt. Als Deutsche ist man es nicht gewohnt, dass die Entwicklung im eigenen Land sachlich mit den Zuständen in anderen kriegsbeteiligten Ländern verglichen wird. Vor allem der Abgleich mit dem Faschismus in Italien, der Mode und Kosmetik nicht verbot, und dem deutschen „Gretchen“-Ideal ist interessant.
Dieser Mantel aus Deutschland von 1938/39 zeigt innen das „ADEFA„-Label. Die Abkürzung steht für „Arbeitsgemeinschaft deutsch-arischer Fabrikanten der Bekleidungsindustrie“ und bot eine Garantie für Ware aus arischer Hand. (Nachtrag: Ich musste das Bild verkleinern, weil es wegen des Labels auf einer rechtsradikalen Seite in den USA eingebunden wurde – es ist echt zum Heulen).
„Siren Suits“ heißen diese Hosenanzüge in England, die man nachts über das Nachthemd werfen und dann gut angezogen in den Bunker eilen konnte. Heute bräuchte man sie an Herumsumpftagen nur noch für den Alarmfall, dass es plötzlich an der Tür klingelt. Die kleine schwarze Handtasche enthielt eine Gasmaske.
Der Mangel bewirkte überall eine Suche nach alternativen Materialien und Möglichkeiten, Kleidung selbst herzustellen.
Diese Schuhe auf einer französischen Zeitschriftenseite bestanden aus Holz, Stroh und anderen Ersatzmaterialien. (In Blogs habe ich gerade in letzter Zeit selbstgemachte Schuhe gesehen, z.B bei Anja Rieger, Of Dreams and Seams und Couturette).
Rationierungen galten auch für Stoffe. Auf diesem Schnitt steht aufgedruckt: „This version contrary to Canadian WTB Regulation“, d.h. der Schnitt entsprach wegen der Stofffülle beim Rockteil nicht den kanadischen Vorschriften.
Nach dem Krieg konnte frau in Frankreich den Sieg in den Farben der Trikolore feiern. Das Kleid zeigt auch viele Vs für „Victoire“ im Muster und an den Schultern.
Kriegsmaterialien wurden später für zivile Kleidung umgearbeitet. Diese Bluse besteht aus einer Seidenkarte, die Flieger bei sich trugen. Das Kartenmaterial Seide war besonders haltbar, knitterte nicht und konnte auch nach einem eventuellen Absturz wärmend benutzt und unter der Kleidung versteckt werden. Der Aufdruck widerstand durch die Zugabe von Pektin sogar Seewasser.
Kartenmaterial der britischen Airforce verarbeitet der englische Designer Christopher Raeburn heute auch wieder. „Vom Militär in die Mode“ heißt dazu ein interessanter Artikel in der Zeit.
(Vielen Dank an T für den Link und den Ansporn, diese Buchempfehlung nun doch noch zu formulieren).
Ich habe mein Buch bei Walther König nahe der Museumsinsel gekauft. Bei Amazon bekommt man es auch, sogar ein bisschen günstiger. Bloß hat man ja nun inzwischen leider verstärkt die Gewissensfrage, ob man da noch bestellen soll. Dem Kampf mit der Bequemlichkeit muss ich mich erst noch stellen.
Meine Fotos in diesem Blogbeitrag sind wie sie eben sein können, bei einem dauerdunklen Berliner Winterhimmel. Hoffentlich erhellt der Sonntag morgen die Gemüter, dann ist nämlich Stoffspielerei bei Frifris.
Das ist super spannend, vielen Dank für die Buchvorstellung! Das scheint eine sehr lohnenswerte Lektüre zu sein. Und auch hier ist es interessant (und vorteilhaft), es aus einer nicht-„deutschen“ Perspektive her betrachtet zu wissen.
ADEFA – puh. Vor allem wird einem mal wieder klar, wie durchdringend dieses System war, und wie schwach dann dieses „wir wussten von nichts“ daherkommt… aber das ist hier wahrlich nicht der Rahmen für solche Ausführungen. Tja.
Den Artikel in der Zeit werde ich mir heute abend zu Gemüte führen. Irgendein Designer hat bei der NY Fashion Week ganz viele Kleidungsstücke mit Camouflage Stoffen gezeigt, das fand ich sehr irritierend aber daher natürlich interessant (vielleicht Michael Kors? Mist, ich hab es mir nicht gemerkt).
Grüße!
Vielen Dank für deine Buchempfehlung! Ich bin schon seit Jahren auf der Suche nach so einem Buch, da mich besonders die Wiederverwertungsmöglichkeiten von ungewöhnlichen Materialien und der Erfindungsreichtum in Zeiten des Mangels interessieren.
Meine Mutter hat 1945 eine Schneiderlehre gemacht und bei uns wurden immer alte Kleider wiederverwertet bzw. auch kreative Lösungen gesucht für modische Accessoires und Kleider, die wir uns (vier Mädchen) auch in den 70er/80er Jahren sonst nicht hätten leisten können.
Ich finde es inzwischen spannender, aus Vorhandenem etwas Neues herzustellen als Fertiges zu kaufen. (Ganz abgesehen davon, dass es auch umweltfreundlicher ist).
Das Buch werde ich bestimmt zulegen, da ich es auch historisch sehr spannend finde.
LG
Susanne
Spannend! Ich las letzthin – wo, kann ich mich nicht mehr erinnern -, dass der Keilabsatz aus Kork tatsächlich eine Kriegserfindung war, weil es einfach an Leder mangelte. Ja, König finde ich toll, ich stöbere regelmäßig nach Arbeit in der Fotobüchern.
Hochinteressant!
Sehr lesenswerter Beitrag, Danke dafür. Zufällig habe ich gerade in der neuen arte-Programmzeitschrift geblättert. Das Titelthema für März ist das Fashion Weekend und es gibt einen schönen Artikel über den stilprägenden aber unbekannten Modezeichner Rene Gruau. Aber in deinem Zusammenhang ist vielleicht die Doku über die Firma Hugo Boss ganz interessant: Deren Erfolg gründet sich auch darauf, dass sie damals die Uniformen für SA, SS, Wehrmacht und HJ geschneidert haben.
Vielen Dank für die sehr interessante und ausführliche Besprechung. Sehr spannend diese Details: Das Victory, die Patronendeko, die Seidenkartenbluse…
ADEFA – puh…
Melleni