Neues Leben für alte Kleider im Januar

Lucy hat zum „Aus alt mach anders“ – Monat aufgerufen und alle Teilnehmerinnen  hier verlinkt.  Einmal im Monat wollen wir uns Mühe geben, aus alten Kleidungsstücken etwas Neues zu machen.

Zeit, Bilanz für meinen Kolchosen-Mantel zu ziehen.

Zuerst war er ein Zeltmantel aus den 90er Jahren, dann habe ich ihn kleingefilzt .

 

(Der Mantel nach einer heißen Wäsche  und mit einem ersten Versuch, die Ärmel wieder zu verlängern).

Die weitere Aufarbeitung habe ich hier und hier ja schon dokumentiert .

Noch einige Detailaufnahmen vom Nachher:

 

Die Knöpfe habe ich mit gehäkelten Kappen versehen, die über dem Knopfloch angebracht sind. „Falsche Knöpfe“ quasi.  Der Schal wir hinten durch ein gehäkeltes Band gezogen und kann daher nicht verloren gehen – sehr praktisch.

Und wie ist nun die Tragebilanz? Seit dem Berliner Schneeeinbruch im November bis in den Januar habe ich den Mantel getragen, aber meist mit gemischten Gefühlen.

Warum?

Dazu eine kleine Geschichte.

Ich (noch knapp Mittvierzigerin) stehe in der U-Bahn Richtung Uni, eingepfercht in einen Wagen voller  Studenten. Vor mir kann sich ein junger Mann kaum festhalten, er fuchtelt immer wieder mit dem Arm hinter sich um einen Haltepunkt zu finden. Ich rufe ihn von der Seite an: „Hier, bei mir können sie sich noch festhalten!“ Der Mann reagiert nicht, sucht weiter mit dem Arm herum. Ich rufe wieder:“ Hier, hier ist noch Platz!“ , er reagiert wieder nicht. Dann sehe ich, dass er Kopfhörerstöpsel in den Ohren hat.

„Der kann mich gar nicht hören“ lache ich etwas nervös und blicke um mich herum, Verständnis suchend.

Aber wieder reagiert niemand. Auch all die jungen Studentinnen blicken stur vor sich hin. Ich, der peinlichen Verzweiflung nah, werde komplett ignoriert.

Und dann merke ich: Sie tragen alle, ALLE, Kopfhörer in den Ohren. Niemand hat mich gehört. Ich bin ganz allein in diesem Waggon.

Was diese Geschichte mit dem Mantel zu tun hat?  „Das Bezugsnetz meiner Assoziationen ist veraltet“, sagt Silvia Bovenschen in ihrem Buch „Älter werden“.  Sie bezieht sich auf Frisuren und Kleidung, aber ich würde es noch weiter fassen. Plötzlich ist man sich nicht mehr sicher, ob man die Kleidungscodes  noch erkennt – genau, wie man nicht mit einberechnet, dass nun alle Stöpsel in den Ohren haben. Ja, man versteht  noch nicht einmal mehr, warum man während der U-Bahnfahrt Musik (oder was auch immer) hören und die Umwelt ausblenden sollte. Ebenso kann man auch nicht ausschließen, dass man sich mit einem Mantel, den man für individuell hält, für bestimmte Betrachter einfach nur lächerlich macht.

Ich vermute mal, dass solche Fragen bei „Aus alt mach anders“-Aktionen öfter auftauchen. Nun schaue ich erstmal bei Lucy, was ihr so gemacht habt.

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7 Kommentare

  1. Was für ein Erlebnis! Allerdings frage ich mich, warum oder ob denn die Hoheit über das Bezugsnetz der Assoziationen zwangsläufig bei den Jüngeren liegt. Gibt es nicht eher unterschiedliche, parallel laufende Bezugsnetze? Vielleicht ist älter werden der Zeitpunkt, an dem man merkt, dass man den Kontakt zu den Bezügen der Jungen verloren hat, dass man aber noch kein neues System hat, in dem man sich zurechtfindet, denn was kommt nach dem Bezugsnetz der Jungen, kommen dann gleich die beigen Rentneranoraks? Damit wären wir wieder bei Blogs wie anders-anziehen und der Frage, woran man sich als nicht-mehr-ganz-junge-Frau kleidungsmäßig eigentlich orientieren kann.
    Dass ich die Codes der Anfangszwanziger nicht mehr kapiere, merke ich immer daran, dass die jetzt zum Teil Sachen tragen, die ich so ähnlich vor 20 Jahren selbst als Teenager hatte oder die damals meine Mutter hatte.
    Ich glaube aber trotzdem nicht, dass der Mantel aus diesem Bezugssystem betrachtet lächerlich wirken würde – lächerlich ist wohl immer eher das, was vor kurzer Zeit einmal sehr modisch war, und der Mantel steht über diesen Kategorien.

    schönen Sonntag noch!

  2. Tja- man bewertet sich oft selbst zu kritisch. Die anderen Leute sind in der Regel viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um die Umwelt und die Mitmenschen überhaupt wahrzunehmen. Deshalb kann man erst recht das tragen, was man mag.
    Irgendwann wird man sicher auch mit ungewöhnlichen Klamotten rgenommen, aber mehr als ein Achselzucken gibt es in einer Stadt wie Berlin dann sicher nicht.
    Und hier auf dem Dorf lebt es sich mit einem ruinierten Ruf ziemlich ungeniert :)

    Wenn du dem Mantel magst, trag ihn. Wenn nicht, dann nicht.
    Und das ist ja auch abhängig von der Tagesform.
    Ich würde ihn tagen, und allen, die es auch nicht wissen wollen mit breitem Grinsen von der Geschichte des Mantels erzählen……

  3. Ich habe deinen Mantel nicht in Natura gesehen, auf mich wirkt er nicht, als könntest du dich damit lächerlich machen – obwohl: irgendwenn gibts immer der ihn lächerlich findet, ebenso wie welche, die ihn fantastisch finden und der großen Menge ist er einfach nur egal. Was den Mantel und seine „Einordnung“ angeht: ist nicht heute das Bezugsnetz so vielseitig, dass dein Mantel alles mögliche sein kann? Bewußt „handmade/re-/upcycled“ oder „russisch inspiriert“? Das Buch klingt interessant, danke für den Hinweis. Könnte Älterwerden nicht auch zu einer größeren Gelassenheit führen, im Sinne, dass man sich zu lösen lernt von gesellschaftlichen Normen und mehr zu tun in der Lage ist, wofür und wozu man wirklich steht? Letztlich zählt aber, ob du dich wirklich wohl drin fühlst und auch ein gutes Gefühl hast, was die Meinungen derer angeht, die dir wichtig sind.

  4. Ich habe Dich ja schon in Deinem Mantel gesehen. Ich kann nur sagen, das du dich nicht lächerlich machst. Vor allen Dingen hast Du Deinen ganz eigenen Stil, alt und neu elegant kombiniert. Ich glaube eher, das sich die nächsten Studentinnen daran orientieren und Teile davon in ihren „Dresscode“ integrieren. Ganz modisch, so wie wir das früher auch gemacht haben und vielleicht löst du ja sogar damit eine ganz neue Modewelle aus!

  5. Interessant. Die Geschichte was ja wirklich lustig (erzaehlt), aber ich konnte mich sofort identifizieren. Ich glaube, wenn man ueber 30/40 ist, ist man fuer 20-jaehrige komplett unsichtbar und immer ein bischen im Weg. Es scheint mir aber auch, dass das Bezugsystem der Juengeren oft sehr eng gewoben ist, mit wenig Freiraum und einem ziemlich starren Code. Deshalb haben ja auch ALLE einen Stoepsel im Ohr. Experimentierfreude kam bei mir erst mit „dem Alter“. Anfang 20 will man zwar individuell sein, aber auch genauso aussehen wie die Freunde. Und das ist ja ab 30 oder 40 doch eher vorbei. Oder kann ich das nicht so verallgemeinern? Ich weiss noch in Spanien was das Bezugssystem fuer 40-jaehrige bzgl. Kleidung Gold, Creme und Beige. Oh je, wie uniformiert sahen die Damen aus.
    Da ist doch dein schoener Anna Karenina Mantel wie ein „breath of fresh air“!

  6. Deine Situation in der U-Bahn kenne ich auch in ähnlichen Varianten. Das gute an der „modernen Technik“ ist aber auch, dass man sich für ein Sprechen ohne erkennbaren Gesprächspartner gar nicht zu schämen braucht, die dachten doch sowieso alle, dass du telefonierst…..
    Und dein Mantel hat eine Geschichte, die allein macht ihn schon ganz besonders.
    LG
    Wiebke

  7. Da habt ihr ja alle mal wieder ein Menge kluger Sachen gesagt, auf die ich gern rahmensprengend eingehen würde, wenn es denn ginge. Für jetzt nur zur Klarstellung: Ich finde meinen Mantel schön und gut so. Aber diese „Codes“, die man aussendet, die kann man nicht verleugnen. Da kann man sich x-mal sagen: Ist mir doch egal, was die anderen denken. Stimmt, meist denken sie gar nichts, aber in manchen Situationen kommt es dann doch darauf an, wie man eingeschätzt wird. Entsprechend wird man behandelt. Meine Mutter aus der Generation über Siebzig weiß davon ein Liedlein zu singen.
    Und es stimmt, was kommt nach der H&M Zeit? P&C? Och nö. Zur Zeit gibt es da wirklich noch nicht sehr viel Varianten. Und es stimmt ebenfalls, dass die ganz Jungen augeinscheinlich einem sehr rigiden Code folgen. Also ganz viel Experimentierfreude, das wäre schön.

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