Überall Militär im Fernsehen. Mein Blick bleibt am Ausschnitt des Sprechers des ukrainischen Verteigigungsrats hängen. Er trägt unter seiner Jacke ein gestreiftes Shirt.
Ich denke zuerst an Jean Paul Gaultier, dann an bretonische Fischerhemden, Beatniks, Picasso mit Brötchenfingern, James Dean, Brigitte Bardot. Von allen gibt es Fotos im Streifenhemd. Wie kommt das Hemd in die ukrainische Armee?
Ich finde heraus: Das Telnyashka, das gestreifte Trikothemd, gehörte schon seit 1874 zur Uniform der russischen Marine. Russische Quellen schreiben die Verbreitung holländischen Handelsschiffen zu, die das bequeme Trikot aus Frankreich und den Niederlanden mitbrachten. Später übernahmen andere Teile der sowjetischen Streitkräfte das Hemd.
In Frankreich war das Streifenhemd bereits 1858 offizieller Teil der Marineuniform. Die Anzahl und Breite der Streifen wurden per Dekret genau festgelegt. Dass die Streifen Napoleons Siege symbolisieren sollten ist nur eine Legende. Ebenso läßt sich nicht belegen, warum ausgerechnet die blau-weißen Streifen Tradition wurden. Vielleicht weil Matrosen so leichter in der Takelage oder im Wasser gesehen werden konnten?

Tatsache ist jedenfalls, dass das Streifenhemd bei Seefahrern und Fischern sehr beliebt war und dann Anfang des 20. Jahrhunderts vom Jet-Set auf Urlaub an der französischen Küste modisch aufgegriffen wurde. Coco Chanel verbreitete Marinelook über ihre Boutique in Deauville. Das Streifenshirt, das sie am Hafen gekauft hatte, trug sie aber nur privat. Saint Laurent und Gaultier brachten den gestreiften Strick auf die Laufstege. Heute ist das Shirt allgegenwärtig.
Gleichzeitig haben solche Signalstreifen aber noch eine andere Geschichte: Im frühen Mittelalter kennzeichnete gestreifte Kleidung diejenigen, die außerhalb der Gesellschaft standen. Bekannt ist gestreifte Häftlingskleidung – es ging es darum, einen Menschen aufgrund der Kleidung gleich erkennen zu können. Im Karneval braucht es nur einen Pyjama mit schwarz-weißen Blockstreifen, fertig ist der Sträflingslook. Die Verkleidung wird allgemein verstanden.
Hier kommt nun eine Meldung von gestern ins Spiel.
Für mich ist die Assoziation beim Anblick des Fotos ganz eindeutig und ich saß zunächst mit offenem Mund da. Wie kommt es, dass so etwas in einem großen Bekleidungskonzern nicht an irgendeiner Stelle gestoppt wird? Sitzt dort niemand mit meinem visuellen Gedächtnis? Ich habe das Foto verschiedenen Nationalitäten meiner Generation gezeigt. Alle waren gleich entsetzt. Ein Streifenshirt wird mit einem gelben Stern auf der linken Brust zum KZ-Hemd, das ist klar.
Und dann habe ich Teenager nach ihren Assoziationen zu dem Shirt gefragt. „Meer, Marine, See, Petit Bateau“- „Nacht, Sterne“- „Sheriff im wilden Westen, Polizei“. Das Ergebnis war eindeutig, die Ideen ganz unschuldig. Es braucht nur eine Generation, um eine Assoziation zu verwischen.
Die einen denken beim Anblick des ukrainischen Sprechers an Gaultier und die anderen beim Zara-Shirt an die Wasserschutzpolizei. So verändert sich die Welt. Hauptsache, die alten und die jungen Gedächtnisse und die verschiedenen Kulturkreise hören sich gegenseitig gut zu.
Mir sind auch beide Shirts aufgefallen. Ist es denn nicht erschreckend, wie schnell auch visuell vergessen wird?
Nachdenkliche Grüße,
Kathrin
ja, das finde ich auch. Aber das ist trotz guter Lehrer, Aufklärung durchs Elternhaus, Medienberichterstattung so. Es gibt einfach so unglaublich viele andere Bilder und Themen. Ich habe beschlossen, mich darauf einzustellen und statt mich aufzuregen immer wieder zu erklären.
Ich fand das auch sehr interessant, meine erste Assoziation zu dem Shirt ohne die Nachricht dazu war nämlich nicht KZ-Hemd, interessanterweise, sonder ich hatte spontan eher Farbenmixapplikationsassoziationen, das ist nun ziemlich peinlich für mich.
Dass es heute so ein Shirt vom Entwurf bis in den Verkauf schafft, ist sehr traurig, dazu gibt es doch mehrere Prüfinstanzen in einer Firma, dachte ich bislang. Und ob jetzt längs- oder quergestreift und dass die Sterne aussen kugelige Spitzen haben – also Zara hat schon richtig entschieden das Ganze sofort aus dem Verkehr zu ziehen, ist ja nicht die erste peinliche Geschichte…
Das einzig Gute: erhöhte Sensibilität bei Produzenten. Hoffentlich.
Ob es wohl jemand gekauft hat?
Die Streifen alleine sind es nicht. Es ist der gelbe Stern und, vor allem, an genau diese Stelle genäht. Ein solch großer Konzern sollte schon auf seine Designs achten und besser kontrollieren. Vielleicht ist aber auch Absicht dabei (ich erinnere an Benetton, der in den 80ern durch Schockwerbung versucht hat, den Umsatz zu steigern).
Dein Artikel gefällt mir gut – sehr informativ – 1000 Dank.
GlG Barbara
mir fiel auf, dass der chefsprecher der gegenseite ebenfalls unter seiner camouflagejacke ein streifenshirt trägt. es unterscheidet sich lediglich in der farbgebung, nämlich mittelblau-weiß. sehr bezeichnend, wie ich finde; gestreift-gestört sind sie alle, unterschiedlich nur in unwesentlichen nuancen.
deine ausführungen zum „zara-stargate“ unterschreibe ich.
Danke für die historischen Infos zum Streifenhemd und aktuelle Bezüge. Zusätzlich zu den genannten Künstlerassoziationen verbinde ich gestreifte Kleidung mit „Palim Palim …“ und habe mich neulich gefragt, ob Streifen in dieser Richtung allgemein mit Schlafanzügen im Gedächtnis sind.
LG Ute
Ehrlich gesagt bin ich ein wenig fassungslos, dass bereits ein oder zwei Generationen weiter man vollkommen andere Assoziationen hat.Ich weiß nicht, wie ich das finde, weil sich ja auch Geschichte weiterdreht, aber es ist nicht richtig.Fast 70 Jahre sind natürlich viel, aber es gibt Dinge, die sollten immer Alarm schlagen.
Über die Streifen des Militärs bin ich gar nicht gestolpert.Ein Klassiker eben, der durch alle bereiche geht, in jeder Form. Nur bei Rosa hätte ich wohl gestutzt.
VG kaze
[…] war dieses Hemd der Modekette Zara, über das ich hier schon berichtet […]