Knorpelige Riesenspinnen aus Stahl – das war es bisher, was ich mit der französisch-amerikanischen Künsterlin Louise Bourgeois verband. Ein Zufallsfund öffnete mir nun die Augen für einen ganz anderen Teil ihres Werkes. In der Zeit vor ihrem Tod mit 98 Jahren hat sie viele Bilder aus Stoff genäht.
(Mehr Fotos bei diesen Galerien in London und in New York)
Zum Gück habe ich in der Bibliothek einen Bildband über die „Fabric Works“ gefunden.
Dort sind auch Skulpturen aus Stoff abgebildet. Mich aber interessieren vor allem die genähten „Zeichungen“ wegen ihrer Nähe zu Patchwork und Quilts. Sie sind aus Kleidungs- und Wäschestücken der Familie zusammengestellt. Soweit ich es sehe, ist alles per Hand genäht.
Das ist kein Wunder, denn Louise Bourgeois hat in ihrer Kinheit und Jugend im familiären Betrieb mitgeholfen, in dem antike Wandteppiche restauriert und verkauft wurden. Ihre Mutter war Spezialistin im Färben mit Naturfarben, Weben, Sticken und Nähen. Die Bilder der Künstlerin enthalten so auch aus Stoffstreifen gewebte Elemente. Die Spinne, die für die webende Mutter steht, taucht in den Stoffbildern auch über Muster in Form von Spinnennetzen wieder auf. Genauso könnte man aber auch Sonnenschirme darin sehen. Oder Sonnenaufgänge – ein Serie heißt „Dawn“.
Was wäre gewesen, wenn Louise Bourgeois diese Stoffbilder nicht erst am Ende ihres Lebens, sondern vielleicht zu Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit geschaffen hätte? Wären sie dann ernst genommen worden, oder hätte man die Stücke als harmlose dekorative Handarbeit abgetan? Mit der Kenntnis ihres sonstigen, auch düsteren Werkes sieht man die Pastellfarben, Streifenstoffe, bestickten Taschentücher und Laken ganz anders und vermutet gefährliche Abgründe.
Vielleicht aber sieht auch jemand, der die Künstlerin nicht kennt, mehr als nur bunte Stoffe. Vielleicht springt ein besonderer Funke über. Vielleicht können schöne Dinge mehr sein als nur schön anzusehen. Für mich sind diese Zusammenstellungen sehr inspirierend. Man möchte gleich losnähen und man sieht in dem, was man schon gemacht hat, ganz anderes Potential.

Zum Schluß noch eine Anekdote aus einem Interview mit Louise Bourgeois. Die gar nicht harmlose Künstlerin erzählt von ihrer offenbar auch nicht ganz hamlosen Mutter:
„Als ich als kleines Mädchen in in Frankreich aufwuchs, restaurierte meine Mutter Tapisserien. Einige dieser Bildteppiche wurden nach Amerika exportiert. Das einzige Problem war, dass viele der Darstellungen auf den Tapisserien nackte Menschen zeigten. Es war die Aufgabe meiner Mutter, die Genitalien der Männer und Frauen auszuschneiden und an die Stellen Bilder von Blumen einzufügen, so dass ein Verkauf an die Amerikaner möglich war.
Über die Jahre bewahrte meine Mutter all diese Bilder von Genitalien auf, und eines Tages nähte sie alle als Quilt zusammen. Den Quilt schenkte sie mir.
Das ist der Unterschied zwischen der französischen und der amerikanischen Ästhetik.“
liebe Suschna, wie schön, diese arbeiten bei dir zu sehen! vor ein oder zwei jahren gabs ne große bourgeois-ausstellung in hamburg, und dort habe ich ganz viele von diesen wunderbaren sachen ansehen können, das war so beeindruckend!
herzliche grüße
sylvia
Liebe Suschna bourgeois!
Spannend, ich kannte bisher vom Textilen her nur ihre frühen Figuren und Skulpturen.
Danke für diese Entdeckung, ich werde mich mit diesem symbolträchtigen Alterswerk von Louise Bourgeois noch weiter beschäftigen – derweil Du schon angefangen hast!
Auf dein Werk bin ich gespannt!
Liebe Grüsse, Ly.
Total spannend und neu für mich, vor vier jahren habe ich Weimar eine Ausstellung mit nur plastischen Werken von ihr gesehen, Und nur so war sie mir bisher auch bekannt. Als Phalluskünstlerin hat man sie mal bezeichnet, sie hat damit sicher auch kokettiert und provoziert. Mit dem textilen Hintergrund hätte ich sicher damals die Arbeit noch anders betrachtet.Den angesprochenen Quilt würde ich ja gern mal sehen, aber der Grund ist ja, naja – was so Moralvorstellungen für Auswirkungen hatten.
Immer wieder erstaunlich, wie das Arbeiten der Eltern Kinder beeinflusst.
Danke fürs Horizonterweitern.
Ach, hätte ich gewusst, das die Sachen in Hamburg dabei waren! In echt ist bestimmt alles noch ganz anders. Auf die „Phalluskünstlerin“ habe ich auch nicht so große Lust, aber diese Stoffbilder, die würde ich gern mal sehen.
Eine Lucy Bourgeois gibt es übrigens auch: https://suschna.wordpress.com/2012/12/03/glucksgriff/
Die Sachen sind ja unheimlich toll! Im Hinterkopf hatte ich irgendwo, dass es dieses Spätwerk von Bourgeois gibt, weil in der NYTimes vor Jahren mal ein Artikel darüber war – aber was sie dort an Bildmaterial ausgesucht hatten, hat mich nicht angesprungen. Ganz anders die Stücke, die du ausgesucht hast – und da bildet sich wohl der Unterschied zwischen Textilinteressierten und Feuilletonredakteuren ab. Vor allem das erste Stück ist ja sensationell – das ist ein Streifenstoff, der neu zusammengesetzt wurde? Wahnsinn!
Ja, das sind alles „Stoffkeile“, die dann kreisförmig aneinandergenäht wurden. Und zwar offenbar eher wie bei einer Applikation, nicht wie beim Paper Piecing. Beim Nachmachen würde ich es aber wie beim English Paper Piecing versuchen, das müsste gehen. Die Mitte dürfte aber ein Riesenproblem sein, die hat sie hier ja freundlicherweise abgedeckt.
Oh, danke für diese Entdeckung. Der Name war mir bisher unbekannt. Welche eine Bildungslücke ;-) Tolle Werke. Sehr inspirierend.
Und ich bin neugierig auf Deine Arbeit, zu der Du Dich hast inspirieren lassen – wenn Du sie denn zeigen magst.
Liebe Grüße, Doreen
Das Interessante ist ja, dass ich diesen Patchwork lange vor der Entdeckung der Bourgeois-Stücke gemacht habe. Ich war vielmehr von Lucies kleinem Werk inspiriert. Aber nun müsste ich tatsächlich mal ein Patchword aus dem Bildband kopieren, das ist handwerklich ganz schön anspruchsvoll. Z.B. müssen die Streifen genau aufeinander treffen – was mir bei meiner Raute nicht gelungen ist, wie man sieht.
Das von Dir erwähnte Buch ist auch eines meiner wichtigsten Bücher zur beglückten Inspiration. Ich würde so gerne mal eine Ausstellung mit ihrem textilen Werk machen…
Interessant die Frage, was eine Vorwegnahme der textilen Arbeiten wohl für ihre künstlerische Anerkennung bedeutet hätte. Ich möchte gerne denken, daß ihre künstlerische Kraft sich in jedem Medium durchgesetzt hätte, aber ehrlich gesagt zweifle ich. Irgendwo meine ich auch gelesen zu haben, daß sie mit den rein textilen Arbeiten (einzelne Elemente hatte sie ja schon lange verwendet) erst begann, als die Kraft für die großen Installationen etc. nachließ.
Danke für das kreative Luftholen an einem trubeligen Alltagmorgen.
LG, Bele
Beglückend wäre es, wenn das mit der Ausstellung klappen würde. Ich bin auch froh, dass sich hier ein paar Gleichbeglückte gemeldet haben. Es ist immer interessant, welche Überschriften eines Blogeintrags wieviele Leser anzieht. Das ist wie im Zeitungsgeschäft, es gibt richtige „Aufmacher“. Der Name Bourgeois gehört definitiv nicht dazu. Dafür war „Schöner Wischen“ z.B. ein großer Klickerfolg. Das kann einem an manchen trüben Tagen schon zu denken geben.
Danke für den Post.
Ich kenne von ihr auch nur die Phallus-Objekte. Die genähten Arbeiten sind superinteressant.
In welcher Bibliothek warst Du ? Kunstbibliothek?
Ich stellte nämlich eben fest, dass es das von Dir erwähnte Buch in keiner Bibliothek Berlins zur Ausleihe gibt.
Gruß, Birgit
Guck mal online bei der Bibliothek der UdK, ich hatte hier mal darüber geschrieben https://suschna.wordpress.com/2010/02/25/basteln-an-der-uni/.
Aber das Exemplar ist gerade bei mir :-) Wir müssten mal Treffen machen, bei dem nur Bücher angeguckt werden. Reihum zuhause, denn schleppen mag man solche Wälzer ja nicht.
Treffen? gerne! ab Mi bin ich bspw. für eine Woche kinderlos.
Falls Dir danach ist, gib mir doch Bescheid. Ich könnte Dich mal besuchen kommen …
viele Grüsse, Birgit
[…] zu guter Letzt noch ein Zufall. Eigentlich wollte ich schon die ganze Zeit die Spinnenwegen/Sonnenschirme von Louise Bourgeois ausprobieren. Die Vorsehung will das wohl auch. Denn der Rest des Regenschirms weist mir den […]
[…] Bourgeois Stoffarbeiten kannte ich ja nur aus Büchern. Wie anders, sie in Wirklichkeit zu sehen. Die Stoffe viel feiner als gedacht, alles (natürlich) […]
[…] dieser französisch-amerikanischen Künstlerin (die mit den Riesenspinnen aus Metall) habe hier schon berichtet. Heute mein (fast) gelungender Versuch, einen Streifenstoff neu zusammen zu […]
Ich freue mich sehr über diesen Beitrag. Habe einige Zeit deine Seite nicht besucht… war vor kurzem in Bilbao und habe mich dort heftig in die „Mama“ verliebt. Das textile Werk war mir nicht bekannt. Es ist sehr anregend und ich möchte auch gleich was entwerfen.
Grüße an die Nähstube, Margit