Erste Versuche, Häkelspitze nach alten Vorlagen herzustellen – und Fortschritte in der Arbeit mit einem Schiffchen, auch genannt Occhi bzw. Frivolitätenspitze. Bei Wikipedia heißt es zu Occhi und zum Knüpfen:
„Da das Arbeitsergebnis keinen praktischen Nutzen oder monetären Wert hatte, waren beide Techniken zum demonstrativen Müßiggang besonders geeignet.“
Den Beitrag würde ich mir ja gern einmal vornehmen. Im Handarbeitsbereich gäbe es bei Wikipedia ohnehin noch viel zu tun. Aber das ist ein anderes Feld.
Zur Zeit treibt mich nicht demonstrativer Müßiggang, sondern die Suche nach Beruhigung zu diesen kleinen Handarbeiten. Es geht mir wie den meisten um mich herum: Ich bekomme meine Gedanken nicht weg von den Ereignissen in der Welt und kann mich der Endlosschleife der Bilder in den Medien nicht entziehen. Dabei ist es nötig und legitim, sich abzulenken. Eine japanischen Freundin hier in Berlin telefoniert täglich mit ihrer Mutter, die 150 km von Fukushima entfernt in ihrer Wohnung sitzt und nur noch nach draußen geht, wenn Entwarnung gegeben wird. Sie sprechen über alles mögliche, auch darüber, wann sie sich im Sommer sehen und was sie dann machen werden. Die in Deutschland lebende japanische Schriftstellerin Yoko Tawada erzählt in einem Artikel davon, dass gleich nach dem Erdbeben die größte Sorge ihres Vaters in Tokio war, ihr ein gewünschtes Buch zu besorgen. Sie war erst verwundert, aber dann erinnerte sie sich langsam, „dass man sich in so einer Situation auf ein konkretes, kleines, alltägliches Ding wie ein Buch konzentrieren muss, statt Sätze mit Ausrufungszeichen auszusprechen“.
Spitzenhäkelei statt Ausrufungszeichen. Meiner japanischen Freundin würde das gefallen.
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Was wird wohl sein, wenn sie wirklich realisieren, was da wohl noch auf sie zukommen mag, das frage ich mich.
Liebe Grüsse, Allerleirauh
Das wissen sie, jedenfalls die mit Internet, und das sind ja viele. Es bleibt nur, sich in sein Schicksal zu ergeben.
Ich muss ganz oft an Tschernobyl denken. Natürlich war das viel weiter weg. aber damals mussten wir uns auch den Gegebenheiten geschlagen geben. Ich weiß noch, dass ich im Supermarkt nach H-Milchtüten suchte, die vor der Wolke produziert worden waren. Bei Regen sollten wir drin bleiben, die Ernte wurde weggeworfen, während in Frankreich z.B. gar nichts unternommen wurde.
Ich habe auch sofort an Tschernobyl gedacht und eigentlich nicht gedacht in meinem Leben nochmals sowas zu erleben. Hat niemand daraus was gelernt? Die Japaner sind ja besonders geschlagen und mit der Geschichte werde sie sehr genau wissen was kommt. Ich mag mir das alles ga nicht so genau überlegen.
Liebe Grüße
Teresa
Sich dem Schicksal ergeben, ja, mehr bleibt nicht.
Sich dem Schicksal ergeben? Nie & nimmer. Ich wäre nicht mehr in Tokio….das könnte ich meinen Kindern nicht antun.
Ich liebe Deine Häkeleien, aber es gibt noch was anderes-
Bitte nicht falsch verstehen, aber mich nimmt das total mit.
LG Birgitta
Keine Sorge, mich nimmt das ja auch sehr mit. Ich habe viel Kontakt zu anderen Nationalitäten, die wundern sich, dass hier in Deutschland so extrem viel berichtet wird und die Betroffenheit so groß ist. Betroffener als die Betroffenen, quasi. Warum das so ist, kann mir auch nicht so ganz erklären.
Weggehen können 36 Millionen ja nicht – da bleibt nur Schicksalsergebenheit.
Wir sind doch alle davon betroffen! Es geht immerhin um Menschen – egal welcher Nationalität und die Radioaktivität hört bekanntlich nicht an den Grenzen auf. Schicksalsergebenheit ist mir absolut fremd, ich bin ganz das Gegenteil.
Trotz allem ist „demonstrativer Müßiggang“ eine wunderschöne Wendung. Müsste ich einen neuen Blognamen suchen, könnte mir dieser gefallen :) Das macht den wikipedia -Artikel doch schon wieder originell.
Mir persönlich hilft ja sehr, dass wir keinen Fernseher haben und ich daher keine bewegten Bilder zu sehen bekomme. Nur darüber lesen bzw Radio hören geht gerade noch. Eine Situation glücklicher Ignoranz, sozusagen. Was ich derzeit fast ironisch fände, wenn es nicht so ernst wäre, ist, dass schon zu Tschernobyl-Zeiten ständig mit statistischen Wahrscheinlichkeiten herumjongliert wurde, die deutlich machen sollten, dass ein Unfall im Atomkraftwerk ja geradezu nie vorkommen würde – und jetzt ist es schon der zweite in 25 Jahren.
Dem Bild entnehme ich, dass du den „Trick“ beim Occhi jetzt herausgefunden hast. Und der Begriff „demonstrativer Müßiggang“ gefällt mir, der sollte in dem Artikel erhalten bleiben.
Gerade, mal wieder auf Arte, die Dokumentation über Tschernobyl – irre, wie die Szenen, die Aussagen, die Beschwichtigungen sich ähneln.
Ja, mit dem Occhi weiß ich nun, wie es geht, aber es ist furchtbar mühsam. Ich berichte dann später mal genauer, wenn ich mehr Übung habe.
Der demonstrative Müßiggang soll von mir aus erhalten bleiben. Bei einigen Wiki-Einträgen zu Handarbeitsthemen sind mir aber schon tendenziöse Formulieren aufgefallen, so à la Aussteuer=Unterdrückung der Frau, das könnte man mal auf den Boden zurückholen.
Danke für den Beitrag und den link zu der japanischen Schriftstellerin. ich habe große Achtung wie die menschen in Japan mit der Situation umgehen , wie sie von klein auf lernen ,mit Beben umzugehen ohne panisch zu werden.
Was mich irritiert ist, das Europa über die Atommeiler ohne Pause berichtet, aber Hilfe für die Menschen, die immer wenijger Versorgung haben und jetzt auch noch Kälte kommt, ist kein Thema. Wo bliebt die internationale hilfe?
Nachdenken über Atomkraft liegt hier vor der Haustür -in Europa, unser Nachbar Frankreich bezieht 80 % seines Stromes aus Atomkraft.Die Dichte der Meiler dort ist heftig. darüber scheint sichaber kaum einer zu „grämen“.japan ist viel näher, es gibt ja fernsehen.
Birgitta, was sollen die Menschen in Japan den machen?
Was wirklich dort passiert, wissen wir doch allen nicht, ich glaube, die Verzweiflung muss riesig sein, es sind doch auch Menschen mit Gefühlen wie wir. Für uns ist es leichter zu denken, sie nehmen ihr Schicksal in Ruhe und Gelassenheit an. Aber ob das wirklich so ist? Japener sind so erzogen, dass sie ihre Gefühle nur den engsten Verwandten zeigen, habe ich gelesen.
Rauhtierchen, das denke ich doch gar nicht. Ich wollte nur sagen, dass ICH schon weg wäre und mir diese Schicksalsergebenheit abgeht. Mir ist schon klar, dass sich nicht 37 Millionen Menschen auf den Weg machen können. Aber wenn ich höre, dass ein Flugticket von Tokio nach Deutschland (natürlich one-way….) inzwischen 7.000 Euro kostet, werde ich wütend!
Birgitta, nur die Frage war an dich gerichtet, der andere Teil war mehr so allgemein gesprochen.
7000 Euro- Unsere Welt- mit allem wird ein Geschäft gemacht.
Ganz verständlich und angemessen finde ich die Reaktion in Deutschland auf diese atomare Katastrophe. Im Gegenteil ,ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass andernorts die Menschen, wie .b. in Frankreich, wo ja im allgemeinen ein ganz anderes Verhältnis zu den heimischen AKW gepflegt wird (legendär bei Urlaubsfahrten das Kraftwerk mit dem allerliebst aufgemalten Kind an der Rhone bei Cruas) nicht auch skeptisch werden. Vor 25 jahren konnte man sich ja noch wunderbar mit der schlechteren „Ost-“Technik ganz überheblich die eigene Sicherheit einreden.
Seltsam, ärgerlich in Deutschland finde ich nur diese Scheinheiligkeit, z.b. im Angesicht der bevorstehenden Wahlen. Aber genauso , wenn sich Leute jetzt in ihrer Betroffenheit mit anti-atomkraft logos etc schmücken, die sich aber sonst jeden blöden stromfressenden neuen (bilig-)elektronik-scheiß anschaffen (der dann vermutlich auch noch mit chinesischer Atomkraft hergestellt wurde !)
Dank unseres räumlichen Abstandes haben wir die Möglichkeit, uns abstraktere Gedanken über die Katastrophe zu machen, den Sinn und Nutzen von Kernkraft zu hinterfragen, darüber zu sinnieren, ob man selbst nicht schon längst aus Tokio geflohen wäre. (Wobei es ganz klar zögerlichere und entschlossenere Menschen gibt) Sich darüber wundern, dass überhaupt Menschen in der unmittelbar betroffenen Region um Fukushima verbleiben. Warum räumen die dort ihre Häuser wieder auf??? Wer will denn dort -selbst, wenn das Noch-Schlimmere hoffentlich verhindert werden kann- überhaupt noch wohnen bleiben.
Als unmittelbar Betroffener ist man -zumal auch unter einer Schockstarre- dagegen doch sicher mit „alltäglicheren“ Dingen beschäftigt, muß sich mit Nahrungsvorräten eindecken, Angehörige suchen etc. Außerdem, bei den oben erwähnten Ticketpreisen oder den leeren tankstellen etc., da bleibt dann irgendwie gezwungener Maßen nur ein sich in das Schicksal fügen…
Passt so am Rande in dieses Thema: Ich habe mal erzählt bekommen, dass Kinder in Bügerkriegsregionen bei Schulaufsätzen zum Thema „mein schlimmstes Erlebnis“ ähnliche Situationen beschreiben wie unsere „wohlbehüteten““ Kinder , z.b. den Verlust eines Lieblingsstofftiers.
Bei dem „demonstrativen Müßiggang“ habe ich ein Problem mit dem demonstrativen, dem nach außen getragenen. (oder habe ich eine falsche Vorstellung von der Wortbedeutung). Bei mir hat Handarbeit seit jeher etwas kontemplatives, in sich gekehrtes.
Deine Spitzenarbeiten sehen sehr vielversprechend aus. Ist „Occhi“ genau das gleiche wie „Tatting“? Ich dachte immer, dass „Tatting“ mit einer Nadel gearbeitet wird. So ein Schiffchen kenne ich gar nicht. Ich werde auch weiterhin ein paar Runden sticken. Monoton (obwohl deine Spitze dir eher feinmotorische Qualitaeten abverlangt) und rhythmisch. Deine Occhi Fortschritte wuerden mich sehr interessieren. Ich werde am Wochenende nach den ersten Blumen suchen.
[…] nun ins Buch hineingelesen habe, muss ich schnell mein Naserümpfen über den hier erwähnten Wikipedia-Eintrag zurücknehmen. Ich hatte keine Ahnung, dass der Begriff „Demonstrativer […]
[…] Occhi/Frivolitätenspitze wird in vielen alten Handarbeitsbüchern noch erklärt. Hier und hier hatte ich Occhi schon einmal probiert (und wusste noch nichts vom Knotenmachen des 18. […]