Wie versprochen nun etwas zu den türkischen Spitzenarbeiten, die ich zuerst im Netz und dann auch in Istanbul entdeckt habe. Diese Spitzen werden Oya (Oyasi, Oyala, Oyalari) genannt und wurden traditionell als Borten für Tücher oder Kleider hergestellt. Es gibt unendlich viele Muster, die je nach Zusammenstellung auch Hinweise auf Status und Stimmung der Trägerin gaben. Die mich interessierenden Muster sind gehäkelt, es gibt aber auch Ausführungen in vielen anderen Techniken, z.B. der Nadelspitze, so wie bei diesen Ohrringen:
Die Ohrringe und die Blütenbänder oben auf den Fotos habe ich in Istanbul gekauft. Interessanterweise fand ich sie nicht in den Touristengeschäften rund um die traditionellen Sehenswürdigkeiten, sondern im Stadtteil Beyoglu, in dem sich eine junge, trendige Szene trifft. Offenbar haben die Boutiqueninhaber um den Galata-Turm bereits erkannt, welches Potential in diesen Handarbeiten steckt.
Ich habe in den Geschäften nachgefragt, wer diese Bänder fertigt und was sie für eine Tradition haben. Bei den Antworten kann ich nicht ausschließen, dass sie „Touristenlegenden“ sind. Zum Beispiel sollen meist Mütter oder Tanten diese Bänder gehäkelt haben und jedes Band (4 Meter lang) soll zwei Tage Arbeit brauchen. Bei genauer Betrachtung der Einkäufe (aus verschiedenen Geschäften) wird aber deutlich, dass alle Bänder demselben Grundmuster entsprechen und nur unterschiedliche Blüten aufgesetzt wurden. Das Garn ist auch überall dasselbe. Es ist aus Kunstfaser und hat dadurch den großen Vorteil, dass die Fadenenden nicht vernäht werden müssen, sondern einfach verschmolzen werden können. Diese etwas glänzenden Garne habe ich auch schon auf dem Maybachmarkt in Kreuzberg gesehen.
Ich vermute mal, da findet irgendwo nah- oder fernöstlich von Istanbul eine Massenproduktion statt. Handarbeit ist es jedenfalls, und ich kann mir einiges abgucken. Insgesamt alles keine Hexerei: Es ist das in allen Ländern bekannte Zusammenspiel aus Luftmaschen, Kettmaschen, festen Maschen und Stäbchen, immer wieder neu arrangiert.
Die beste Beschreibung des kulturellen Hintergrundes von Oya habe ich hier gefunden (leider nur auf Englisch). Dort steht unter anderem, dass alte Frauen ihre Kopftücher vorrangig mit kleinen Wildblumen schmückten – als Symbol für die Wiederkehr des „Staub zu Staub“. Frischverliebte wählten lila Hyazinthen, gelbe Narzissen dagegen bedeuteten „unglücklich verliebt“. Frauen, die vierzig wurden, trugen gebogene Tulpen. Ging ihr Mann zur Arbeit ins Ausland, banden sie Oya mit wilden Rosen um ihren Kopf – das sind nur ein paar Beispiele für die Signale, die mit den Spitzenborten ausgesandt werden konnten.
Und heute? Die modernen Türkinnen in Beyoglu trugen solche Spitzen jedenfalls nicht. In Berlin gibt es ein Geschäft, das Oya-Tücher mit heutiger Kleidung kombiniert. Und, wie sollte es anders sein, die Japaner haben die türkischen Spitzen auch schon entdeckt. Hier zum Beispiel gibt es ein japanisches Buch über Oyalari. Das bestelle ich mir nicht – so weit kommt das noch. Da würde ich lieber einmal Frauen über die Schulter schauen, die diese Techniken noch beherrschen.
Falls jemand mehr zu dem Thema weiß, würde ich mich über Informationen sehr freuen. Es gibt eine Menge türkischer Blogs zu Oya, aber die kann ich ja leider überhaupt nicht lesen.
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Hallo Susanne,
einen Bekannte von mir hatte hier in Neukölln einen Laden in dem sie Ihre „Botschaftsblüten“ verkauft hat. Sie hat eine Website, vielleicht kannst Du sie mal anschreiben und mehr über das Thema erfahren.
http://www.ayferbelim.de/
Schöne Grüße, bis bal,
Miriam
Vielen Dank Miriam, das sieht schön aus. Dort ist die z.T. dreidimensionale Nadelspitze „Igne Olyalari“ zu sehen (habe inzwischen noch weiter recherchiert).
Eine schöne Geschichte, Suschna.
Solche traditionellen Techniken aus fernen Ländern sind wirklich faszinierend, auch wenn sie aus seltsamen Plastikgarn sind.
Türkische Häkelblümchen, indonesische Ikat-Stoffe, amerikanische Quilts- da gibt es so viel zu entdecken.
Ich frage mich, was fremde Besucher an textilen Techniken aus Deutschland mitnehmen kömnnten. Vielleicht die Klöppelarbeiten?
Hoffentlich gibt es immer wieder Leute, die das im Kleinen erhalten wollen. Es wäre schade, wenn die Vielfalt auf dem Altar von H&M geopfert werden würde.
Früher wurden diese Borten aus Seide gemacht (der Seidenstraße sei Dank).
Aus der Wegwerfkiste unserer Stadtbibliothek habe ich gerade ein Heft über Klöppeln gezogen – das scheint ja gar keine unerreichbare Fertigkeit zu sein. Leider habe ich aber irgendwie keinen Bezug (= keine gute Idee für eine Verwendungsmöglichkeit) dazu. Bei den bestickten Tischdecken mit den Adler- und Löwenmotiven erinnere ich mich auch an Bedeutungsinhalte die jedenfalls regional bezogen waren.
Ja der Altar von H&M, der hat mich auch gerade wieder deprimiert (Shoppingtour mit Vorpubertierenden).
Danke Susanne, so eine schöne Geschichte! Ich wusste bisher gar nichts darüber!
Ich glaub schon, dass man…Griselda fragt danach…in Deutschland auch textile Techniken „mit Bedeutungsanwendung“ finden kann. Zum Beispiel in allen Formen von alten Trachten.
Ich hab zwei Strickbücher, die sich mit Strickmustern bayrischer Trachten beschäftigen…ich geh mal stöbern!
und das gabs mal schnell beim suchen im Netz:
http://www.kleinezeitung.at/steiermark/weiz/anger/1742764/index.do
Das mit den Trachten wusste ich nun wieder nicht. Und dass es dann auch noch spezielle Strickmuster gibt – da lässt sich sicher noch viel finden, wenn man erstmal anfängt zu forschen.
Also die großen Spulen mit glänzendem Polyestergarn auf dem Markt sind für diese Arbeiten gedacht? Jetzt wird mir einiges klar – meine Nähmaschine wollte damit nämlich partout nicht sticken!
Den Artikel über die Kommunikationsmöglicheiten finde ich ja sehr interessant, das scheint eine ziemlich ausdifferenzierte Sprache zu sein. Die deutschen Trachten geben ja in erster Linie Auskuft über den sozialen Status, dass da auch auf aktuelle Befindlichkeiten Bezug genommen würde, ist mir noch nicht begegnet. Vielleicht ein Kennzeichen von Kulturen, in denen vor allem Frauen nicht offen äußern durften, was ihnen nicht passt? Das scheint ganz ähnlich abzulaufen, bei den Kanga-Tüchern beschrieben (ich bringe dir den Radiobeitrag mit).
Den Botschaftsblüten-Laden in der Bürknerstraße 11 gibt es nicht mehr – stattdessen wird dort jetzt Recyclingmode hergestellt und verkauft. Also gewissermaßen auch dein Thema!
Das Garn der Ketten sieht jedenfalls genauso aus wie das der Spulen auf dem Markt.
Mit dem Sprachersatz hast du sicher recht. In einem der Geschäfte erklärte die Verkäuferin mir mit ein paar Brocken Englisch „My mother, grandmother, women don’t talk“ und verschloss dazu ihren Mund mit Daumen und Zeigefinger. Die Frauen hätten stattdessen über die Blumenborten ihre Gefühle ausgedrückt.
Nach den Geschäften bei euch muss ich dann mal schauen – auch nach dem Flohmarkt, wo die Trödler die Nachlässe auf den Boden kippen.
Das ist ja eine interessante Kiste hier, Post genauso wie die Diskussion. Dankeschön! Die Ohrringe möchte ich ja mal gern im Original sehen.
Die Vorstellung, dass Handarbeiten, die Sprache der Gefühle von Frauen ist, ist tolle und traurig zugleich.
Der link mit dem Laden ist auch spannend und auf deinen nächsten Blütenkreationen hat der Istanbulbesuch mit Sicherheit Einfluss.
Schön, wenn solche Dinge nicht verloren gehen. In Japan ist es z.B.das Kumihimoflechten, auch mit Seidenbändern auf eine Art Holzhocker.
Klöppeln ist sicher weit bekannt geworden, aber es gibt sicher regional Techniken, von denen wir nichts wissen, die mit dem Tod der Könner verschwinden.
Es gibt aber schon diverse verrückte Leute, die Klöppeln anders einsetzen.
Probieren wollte ich das aber auch schon.
fädchengrüße von Karen
liebe Susanne,
zwei solcher Blütenborten liegen hier in einer Schublade. Mitgebracht von lieben Freunden aus einem Türkei-Urlaub. Vielleicht sollte ich auch wie du aus dem Fundus schöpfen und mir dabei überlegen, was ich mit den Blüten anstellen könnte. Die Idee mit den Ohrringen finde ich apart, als Zipper für Reißverschlüsse habe ich sie auch schon benutzt. Leider sind aber ihre Farben so gar nicht die meinen und das plastikverdächtige Garn hat mich bisher von einigen Einsatzmöglichkeiten abgeschreckt. Aber wenn alle so sind, dann versöhne ich mich nun mit ihnen und denke, spüre, fühle nach, was ich mit den Blütchen anstellen könnte.
lieben Gruß, Friederike
hallo susanne, ich liebe die türkisch spitze(oya)gehäkelt oder als nadelspitze (igne oya). Ja leider gib es keine richtigen zu diesem thema, das häng damit zusammen das keine arbeitsanleitung gebraucht werden um muster weiter zugeben. Ich weis das weil ich in der türkei lebe und oya häkle als auch mit der nadel arbeite. Wenn du fragen dazu hast kannst du mir gerne schreiben.
… in München gibts bald eine Ausstellung zum Thema Oya —> http://www.designchen.de/2011/05/14/volkerkunde-museum-munchen-zeigt-‘oya-–-von-osmanischer-mode-zu-turkischer-volkskunst‘/