Geheime Fähigkeiten

Jetzt kommt mal eben etwas anderes: Ich bin auf der Arte-Internetseite hängen geblieben und habe in einer Dokumentation über Chanel eine interessante Passage gefunden. Die Kamera begleitet eine 75 alte Dame, die auf ihrem Hof weit weg von Paris die Borten und Kordeln für Chanel herstellt – sie ist die einzige, die das kann.

Aus dieser Episode lässt sich einiges lernen über Originalität, Motivation, Angst vor Kopisten und Selbstbewusstsein.

Ich fasse mal aus dem Gedächtnis zusammen:

Seit 1947 webt Madam Pouzieux Borten auf ihrem Hof weit weg von Paris. Ihre Pferde und das Heu kommen aber zuerst dran. Chanel schickt immer wieder Fahrer mit Materialien zu ihr.

„Wer hat ihnen beigebracht, Borten zu machen?“

„Niemand. Ich hatte mit meinem Bruder einen Webstuhl gebaut, damit habe ich dann herumgespielt. Und weil ich etwas machte, das kein anderer machte, hat es Gefallen gefunden.“

„Wie ich es mache? Ich sage es Ihnen, weil Sie nett sind“.

„Ach, eigentlich ist  das zu kompliziert zu erklären“.

Sie zieht Fäden aus den Wollstoffen, dreht sie mit einer selbstgebauten Maschine zusammen und webt dann eine zu den Stoffen passende Borte. Chanel hat schon mehrmals Praktikanten geschickt, aber keiner konnte das Geheimnis ganz lüften.

„Ich habe das erfunden. Und in fünf oder zehn oder fünfzehn Jahren wird jemand kommen und etwas anderes erfinden. Das ist sicher.  Niemand auf dieser Welt ist unersetzlich“.

„Ich glaube, man setzt sich selbst seine Grenzen. Man kann immer weitermachen.“

Hier ist der Film auf arte zur Zeit noch abrufbar (ab der 13. Minute wird es interessant), oder auf youtube  hier  ab 3. Minute und Fortsetzung hier.

Nun denke ich zum einen über die Moral dieser Geschichte nach,  zum anderen habe ich aber auch große Lust bekommen, mir einen Webstuhl zu basteln und Borten zu machen – wir werden ja sehen.

 

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16 Kommentare

  1. Genial, die aus dem Stoffe genommenen Fäden zu nehmen!!!Es ist so mühsam das genaus Passende zu finden. Da hilft auch manchmal keine RAL-Karte.
    Das liebe ich an den Franzosen, dass sie Handwerk so belassen und trotzdem damit weiterarbeiten, egal wie sich der Rest verändert hat. So eine Situation wäre in Deutschland undenkbar!!!!Die Haute couture steht fest als nationales Kulturgut, egal welche ökonomischen „Zwänge“ sich andere Länder auferlegen. Ohje, darüber könnte ich… das ist ein weit schweifendes Thema und leider leider nicht mehr zurückzurudern.
    Über Perlensticker für die HC habe ich auch mal ne Reportgae gesehen, Wahnsinn.Übrigens ist der Kinofilm gleichen namens, der die Branche berührt, sehr sehenswert.
    Häklen und weben verbinden oder so, ergibt sicher verrückte Effekte. Ich merke schon dich treibt auch so ein Ausprobier-Experemntierfieber.
    Französische Grüße, Karen

    • Über die Haute Couture Stickerinnen habe ich auch mal etwas gesehen. Da war so eine Art Häkeln durch den Stoff hindurch dabei, wollte ich damals auch gleich probieren.
      Bei der Bortenmacherin habe ich nun noch überlegt: Sie hat ja offenbar vor, ihr Geheimnis mit ins Grab zu nehmen. Erst denkt man: Oh Gott. Aber viellleicht hat sie ja recht, vielleicht ist es besser, etwas verloren gehen zu lassen und dafür etwas Neues entstehen zu lassen.

  2. Ja, die Dame ist cool, und ich glaube auch, sie will ihr Geheimnis nicht so recht verraten. Warum bekommt die arme Frau nicht einfach die Fäden aus der Chanelweberei??
    Ich gebe es ja zu, im Studium hat mich die Weberei ganz irre gemacht, aber so langsam bekomme ich wieder Lust. Ich fürchte einen Webstuhl werden meine Nachbarn aber nicht akzeptieren…
    Ganz liebe Grüße und ein kreatives Wochenende!
    claudia

    • Das mit den Fäden finde ich auch irre. Und Karl Lagerferld hat überhaupt keine Ahnung, wie sie das macht, er fragt seine Mitarbeiter nur so beiläufig, ob sie denn einen Webstuhl benutzt. Das interessiert ihn nicht wirklich. Wenn ich KL wäre, wäre ich da schon längst hingefahren, aber aus der Sicht des Modehauses ist das und soll auch eine andere Welt bleiben, diese Zulieferanten. (Ebenso läuft es ja mit den Entwürfen: Er zeichnet irgendwas, die anderen setzen um. Jeder macht sein Fachgebiet).

      • Ich wäre auch schon längst hingefahren… Es ist erstaunlich wie die Weisheit so mancher Senioren unterschätzt (oder halt wenig geschätzt) wird, während andere apsurd viel Ruhm für weniger Leistung ernten… KL und Omilein sind doch ungefähr ähnliche Altersgruppe…
        Und ich finde ie besten Dinge entstehen wenn es teilweise Überschneidungen zwischen verschiedenen Fachgebieten gibt, davon gibt es aber immer noch zu wenige… Leider…
        Danke für den Beitrag, ganz toll…

  3. Ja, zum Weben fällt mir auch eine ganze Menge ein! Das passt hier allerdings nicht in einen Kommentar rein. Ich werde dann mündlich berichten. Dein Bericht ist klasse, ich hätte nicht gedacht, das es so ein „Original“ noch gibt – schon gar nicht für Chanel. (Ich dachte ich hätte mich mal wieder verlesen und du meinst Chanel 5/Kanal oder so…) Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich es toll finde, wenn die Madame ihr Geheimnis mit ins Grab nimmt… Ich stehe irgendwie auf Tradition und Überlieferungen.

  4. Als ich den Beitrag sah, war’s schon so spaet hier, aber ich hab dann natuerlich doch noch den gesamten Beitrag auf youtube gesehen. Und noch einen, und noch einen. Ein wunderbarer Fund. Ueber’s Bortenmachen weiss ich naemlich gar nichts. Es gibt eine Bandweberei in Wuppertal http://www.baenderei-kafka.de/ Die bieten sogar workshops an. Das Museum ist in der Naehe, wo meine Eltern wohnen, so dass ich vielleicht um den Jahreswechsel mal hinfahre…Schoenes Wochenende!

  5. Ja die Moral – beim Ansehen dieser Doku war das auch eine Episode, über die ich nachgegrübelt hatte, weil ja eigentlich kein richtiger Grund herauskommt, wieso bisher niemand das Bortenweben lernen konnte. „Eigentlich ist das zu kompliziert zu erklären“ – weil man es nicht erklären kann, denke ich, weil man seit Jahrzehnten experimentieren müsste und Jahrzehnte Erfahrung haben müsste, um zu ähnlichen Ergebnissen zu kommen wie Madame Pozieux. Weil es nicht damit getan ist, einen Praktikanten hinzuschicken, der sich das mal schnell abschaut. Aus der Sicht der Weberin kann ich das gut verstehen: Sie hat das Verfahren überhaupt erst entwickelt, und wenn dann da Leute ankommen, die denken, sie beschäftigen sich einmal kurz damit und wissen dann Bescheid, dann kann das nicht gutgehen. Da müsste sich schon jemand ein paar Jahre Zeit nehmen – man erwartet ja auch nicht, die Maßschneiderei z. B. in kurzer zeit zu lernen – und da niemand dazu bereit zu sein scheint, wird die Technik wohl mit der Madame untergehen. (Aber was sind Chanelkostüme ohne Borten?)
    Die ganze Episode ist jedenfalls mehr als schräg – ich weiß nicht, ob in dem verlinkten Teil auch vorkommt, dass sie die Borten noch am Küchentisch mit Perlen bestickt und dass sie jedes Mal auch zur Modenschau und Party eingeladen wird, wenn die neue Kollektion herauskommt – und auch hingeht, dort zwischen den Models herumläuft und von Lagerfeld begrüßt wird.
    Ich glaube es gibt die gesamte Dokuserie auf youtube, in den anderen Folgen geht es z. B. um den Schuhmacher Chanels und um Lesage, das ist die Firma, die die Perlenstickereien anfertigt. Sehr zu empfehlen.

    viele Grüße!

    • Nein, diese Teile sind nicht verlinkt, habe ich noch nicht gesehen. Danke für den Hinweis! Ich habe nur diesen Teil mehrmals gesehen, weil ich natürlich dachte, jetzt lüfte ich mal eben das Geheimnis, haha.
      Eine andere Moral ist für mich aber auch, dass man sich nicht abschrecken lassen soll, etwas zu tun, obwohl man es nicht von jemandem „richtig“ gelernt hat.

  6. Vielen Dank für diese bereichernde Anregung : welch wunderbare Dokumentation mit diesen schrillen Gegensätzen, die Stimmung im Atelier finde ich auch gut dargestellt.

  7. ich hab jetzt einen Tag drüber nachgedacht…trotzdem sind nicht mehr als Gedankenfetzen dabei heraus gekommen:
    Dank des virtuellen Netzes erleben wir es so oft, dass kreative Menschen feststellen, das die Dinge, die sie gestaltet haben schon oder parallel wo anders enstanden sind.
    Und dann beschäftigt man sich oft mehr mit Autorenschaft und Geschmacksmusterschutz als mit Kreativität und der Tatsache, dass es eben viele Kreative gibt…
    Da sitzt jetzt jemand und webt Borten und hat bestimmt nicht im Internet recherchiert, ob das schon mal jemand anders so gemacht hat…
    …und geht in seiner Sache auf, frei von „skrupeligen“ Gedanken…
    Das ist schön und …frei!

    Ist es arg, wenn eine Technik verlorengeht?
    Gibt es nicht Raum für jemanden, etwas Neues zu entwickeln….

    Was ich erstaunlich finde, ist der fehlende Blick der anderen Kreativen über ihren Tellerrand….wo doch am Ende alle zusammenarbeiten um etwas entsehen zu lassen…

    Wie gesagt…nur Fetzen…
    Danke für den Fokus!

    • Ich habe das auch gesehen und war fasziniert. Der Meinung, dass man diese Technik verlorengehen lassen sollte, stimme ich nicht zu. Ich will das schon können, leider ist Madame schon vor Jahren verstorben.

      Nun gut, ich bin ans Werk …. Zuerst einmal einen Kinderwebstuhl besorgt. Fäden aus dem Stoff gezogen, damit losgelegt. Immer wieder das Video angeschaut. Es wird nichts. Aber aus dem Kopf kriege ich das bis heute auch nicht….

      Ich habe mich dann wieder aufs häkeln und stricken verlegt um eine Borte für meine DIY-Chanel Jacke zu machen. Meine Stoffe habe ich aus der Chanel-Weberei in Carlisle übers Internet bekommen. Die Goldknöpfe dazu aus China, die sind wirklich gut nachgemacht, für einen Spottpreis. Die Kette für den Saum von OBI.

      Aber was ist eine Chanel Jacke ohne Borte. Sie muss einfach gut sein, aus den Fäden des Stoffes mit Wolle verstrickt, noch zusätzlich einen Goldfaden druntermengen. Dann wird ein Traum daraus.

      • Liebe Pixi,
        es ist zwar schon etwas her, dass du diesen Kommentar geschrieben hast aber vielleicht liest du es ja noch.
        Ich denke du hast bemerkt, dass Madame ihre Borten mit einzelnen Fäden und mit Kordeln (aus den Fäden des Stoffes hergestellt) Webt.
        Um solche Kordeln leichter Herzustellen ist mir die Technik meiner Oma eingefallen wie sie Kordeln herstellte.
        Um das nicht ausführlich erklären zu müssen ist hier ein Link: https://www.youtube.com/watch?v=ywzQiNDJyUo
        Für eine Borte sollte man meines Erachtens die Kordel allerdings so fest wie möglich drehen, da diese ja dann verflochten werden.

        Ich hatte noch keine Zeit es auszuprobieren aber wenn ddu schon Versuche gestartet hast, könntest du deine Tipps und was überhaupt nicht funktioniert mir mitteilen damit ich vielleicht wenigstens einen Ansatz haben mit dem ich beginnen kann.

        Lg Jumpropejojo

  8. Hallo,
    durch ZUfall habe ich deine Seite (und genau diese hier) gefunden
    Genau diese Szenen mit der alten Dame, die im Verborgenen Dachstübchen? die Borten näht, die dann für Tausende verkauft werden durch die Modelle, an denen sie vernäht sind, hat mich auch sehr berührt.
    Ich hoffe, sie wurde (wird) entsprechend bezahlt.

    Liebe Grüße,
    Claudia

  9. Vor einigen Jahren habe ich diesen Film auch gesehen. Schon damals dachte ich: Madam Pouzieux weiß genau was sie tut und könnte ihr so genanntes Geheimnis durchaus weitergeben. Weben ist ja keine Hexerei. Für eine Fachfrau wäre es auch schnell zu erkennen, ob sie auf einem einfachen Webstuhl webt oder auf einem Jaquard-Webstuhl. Insofern wäre die Technik auch erkennbar. In der Weberei gibt es verschiedene Bindungen, die dann für die typsiche Stoffstruktur sorgen. Ich vermute, das Geheimnis ist kein großes Geheimnis, sondern besteht schlicht darin, dass sich heute kaum noch jemand auf das Weben von Hand versteht. Ich jedenfalls habe mich nicht gewundert, dass die Praktikantin von der Modeschule da nichts erkennen konnte. Die hatte ja vermutlich noch nie zuvor im Leben einen Webstuhl gesehen.

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