Jeden Tag bis zum 24. Dezember Bonusmaterial zu meinem Buch „Verflixt und Zugenäht – Textile Redewendungen, gesammelt und erklärt„.
(Hier geht es zu Woche 1 und Woche 2)
Ist eine bessere Illustration des Wortes Umgarnen denkbar?
Das Spinnen, das Schneiden der Kette und das Weben, ein Bild von Isaac Claesz. van Swanenburg aus dem Museum de Lakenhal im niederländischen Leiden. Das Bild ist Teil eines Zyklus, der die Wollverarbeitung zeigt. Allein schon in diesem Gemälde sind die Ursprünge zahlreicher Redensarten vereint, zum Beispiel
anzetteln, verzetteln, den Bogen raus haben, gut in Schuss sein, Shuttle, nach Strich und Faden, kungeln, Klüngel, Spinner, spindeldürr, verhaspeln, alter Knacker…
Wenn man das Bild heranzoomt, finden sich viele interessante Details textiler Techniken, die bis heute ihre Spuren in der Sprache hinterlassen haben.
Mit welcher Redensart diese Frau zu tun hat, das wissen aufmerksame Buchleser:
Leine ziehen
Dieser Ausdruck kommt wahrscheinlich aus dem Lastenziehen in der Schifffahrt. Früher wurden Transportkähne auf Flüssen vom Ufer aus mit Menschenkraft vorwärts gezogen. Männer und Frauen schleppten das Boot an einem Seil, das sie meist um den Oberkörper gebunden hatten, gegen den Strom. Diese Fortbewegungsart wurde Treideln genannt. Der Treidelpfad am Fluss entlang hieß auch Leinpfad. Rief man »Zieh Leine!«, musste der Leinenzieher sich auf den Weg machen und das Schiff stromaufwärts ziehen. (S. 116)
Der rote Faden
Der rote Faden als Leitmotiv hat seinen Ursprung nicht nur im Faden der Ariadne, der durch ein Labyrinth führt. Goethe dachte in „Die Wahlverwandtschaften“ eher an das Tauwerk der britischen Marine, das als Erkennungszeichen einen roten Faden eingearbeitet hatte:
Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte sind dergestalt gesponnen, dass ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen, und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, dass sie der Krone gehören. Ebenso zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und Anhänglichkeit, der alles verbindet und das Ganze bezeichnet.
Seither ist das Bild des roten Faden als Grundthema nicht nur im Deutschen, sondern u.a. auch im Niederländischen, Französischen und Schwedischen bekannt. Dafür fehlt in der englischen Sprache ein red thread – stattdessen kann man dort aber leitmotif sagen.
Die beiden Wollbündel sind übrigens aus einem Musterbuch, in dem Mottenlarven mit eingescannt wurden. (Oder ist das hier ein anderes Insekt?)
Am Gängelband
Wer am Gängelband hängt, oder wer gegängelt wird, über den wird bestimmt. Das Gängelband war früher eine Art Laufgeschirr für Kinder. Auf vielen früheren Kinderbildnissen sieht man Kleinkinder, an deren Kleidung unterhalb der Arme lange Stoffbänder befestigt sind, die von der Amme oder den Eltern gehalten werden.
Rembrandt, 1646
(Auf der Zeichnung wird das Kind nicht nur am Gängelband geführt, es trägt auch einen Fallhut, der es vor Stoßverletzungen am Kopf bewahren soll).
Ruhm der Nadel
„Der Faden verdankt seinen Ruhm der Nadel.“
„Eine Nadel kann einen Schneider ernähren.“
„Wenn eine Nadel die andere sticht, so nähen sie nicht.“
(Die Anzeige preist leicht einzufädelnde Spezialnadeln für Junggesellen, Blinde, Im-Dunkeln-Näher, Seeleute… )
Weil ich mich etwas verzettelt* habe, schiebe ich dieses hübsche Bild aus einer Handschrift um 1460/70 ein:
Ein Mann ist einer Frau ins Netz gegangen!
Quelle UB Heidelberg, CC-BY-SA 3.0 DE
*verzetteln fehlt im Buch – es hätte zum Eintrag „Etwas anzetteln“ gehört. Wie das anzetteln kommt auch das verzetteln in der Webersprache vor. Grob gesagt: Wenn es mit dem Zettel, den Längsfäden beim Weben, Probleme gab, dann hatte man sich verzettelt. Die Ursprungsform verzetten bedeutete ausbreiten, verbreiten, etwas verlieren. (Kann man schön im Wörterbuch der Brüder Grimm nachlesen, eine meiner Lieblingsquellen).
Verheddern – noch ein Wort aus der Flachsverarbeitung.
Hede hießen die kurzen, wirren Fasern, die in der Hechel nach dem Durchziehen der Büschel zurückblieben. Hede wurde vor allem als Dämm- und Dichtungsmaterial benutzt. 1778 wird sogar berichtet, der Flachs werde für künstliche Haarknoten verkauft: »Ist es Ihnen unbekannt geblieben, dass jährlich über hundert Centner Hede zu Chignons verbraucht werden?*«
Von der Hede, die unordentlich und durcheinander in der Hechel zurückbleibt, kommt verheddern im Sinne von verwirrt sein. Wenn man sich im Text verheddert, so hat man den Faden verloren im Gewirr der Worte.
In einigen Tagen erhalten die Flüchtlingsinitiativen unseres Bezirks einen Integrationspreis. Statt großer Reden gibt es bei der Preisverleihung Fotos aus den Gruppen, verbunden mit einem „Gemeinsam…“-Spruch. Unser Nähatelier im Flüchtlingsheim ist jetzt seit zwei Monaten regelmäßig geöffnet. Wir sind neben dem praktischen Angebot der Kleidungsherstellung und -reparatur auch ein bisschen eine Anlaufstelle für Frauen geworden, die sonst ihre Zimmer nicht verlassen würden. So zeigen wir nicht nur, wie die Nähmaschinen funktionieren und wie man strickt, wir üben auch gemeinsam Deutsch und beschäftigen die Kinder.
Wer nicht glauben will, dass Helfer weiterhin helfen: Die Zeit hatte eine Onlineumfrage gestartet, „Wir schaffen das, immer noch„.
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Nachtrag
Hier ein paar Links zu Berichten von Handarbeitsaktionen in Flüchtlingsunterkünften:
Karlsruhe Nähen-Stricken-Häkel Nachmittag in der Flüchtlingsunterkunft
Berlin Ablauf einen Nähnachmittags – Nähen und Basteln mit Flüchtlingen
Berlin regelmäßiger Stricktreff -Stricken im KunstAsyl
Oberhavel Frauencafé im Begegnungshaus
Wer hat noch Links?
Ich bin begeistert, so konkret und wunderbar und wirklich Gemeinsamkeit fördernd, auf dass die Fremde ein klein wenig heimatlich wird. Und die Einsicht, dass Zukunft nur gemeinsam und nicht abgeschottet nur für einen kleinen Teil der Menschen gedacht werden kann, kommt bei euren „Gemeinsam“-Texten und Bildern so gut heraus. Wir leben in einer Umbruchzeit. Es hilft nicht, das nicht wahrhaben zu wollen sondern nur ihn mitzugestalten. Große Freude und Respekt, und liebe Adventsgrüße Ghislana
Das hört sich gut an! Tolle Idee mit den Fotos. In unserer Nachbarschaft ist grad ein neues Heim für Geflohene entstanden( extra für paare und Familien, 60% Kinder) und wir wollen etwas ähnliches dort etablieren. Die Räumlichkeiten sind ideal für gemeinsames Werkeln und Handarbeiten. Kann ich irgendwo weiterlesen, wie Ihr das Miteinander strukturiert habt?
Lieben Lisagruß durch den viel zu warmen Adventsmorgen
Liebe Lisa, dazu habe ich öffentlich nichts geschrieben, hängen ja zu viele andere mit drin, deren Privatsspähre es zu achten gilt (und es läuft auch nicht alles reibungslos, was beim derzeitigen Schwarz-Weißdenken sofort missbraucht würde).
Aber ich sammle mal heute ein paar Links von Berichten, hier war einer bei Muriel
http://nahtzugabe5cm.blogspot.de/2015/11/nahen-stricken-hakel-nachmittag-in-der.html
und sie hat mich hingewiesen auf
http://funkelfaden.de/index.php/naehen-und-basteln-mit-fluechtlingen-in-berlin/
https://hklmonster.wordpress.com/2015/10/21/stricken-im-kunstasyl/
Vielleicht hat ja jemand anderes noch Tipps/Links?
Danke! Ich denke auch, dass wir es schaffen – gerade auch dank Frauen wie Dir!
Dir eine restliche gute gesegnete Adventszeit,
Ines
Schau mal hier bei Anke mit dem Frauencafé im Begegnungshaus (Oberhavel): http://textiles-in-gransee.blogspot.de/2015/09/schafwolldecke-ii-spendenprojekt-ist.html
Danke, ich füge den Link oben noch ein.
Verzetteln, verheddern, verhaspeln – fürs große Durcheinander sind scheints immer die Textilen zuständig. Mir gefallen deine Anekdötchen zum Buch.
Herzliche Grüße,
Malou
Ja, und auch das Sprachliche (Text! Textur!) ist oft textil.
Vielen Dank für die weitere Sammelei auf allen Ebenen.
Auch in Köln gibt es ein entsprechendes Nähtreff (meines Wissens initiiert von „Willkommen in Agnes“); ich muss mal schauen, ob es irgendwo etwas „Offizielles“ dazu gibt.
Und nein, das ist keine Hülle einer Mottenlarve. Da die Probe aus Baumwolle ist, wäre das auch sehr ungewöhnlich. Bei der Insektenbestimmung muss ich allerdings passen (Entomologe anyone?). Lustig, was so alles eingescannt wird…
Herzliche Grüße, Bele
Danke dir für deine Mühe, hat großen Spaß gemacht zu lesen, Auch wenn noch nicht der 24. ist, aber sonst vergesse ich es vielleicht.
LG Karen
[…] Heute öffnet sich das letzte Türchen zum Buch “Verflixt und Zugenäht – Textile Redewendungen, gesammelt und erklärt“. (Für die anderen Türen aus dem Redensarten-Adventskalender siehe Woche 1 und Woche 2 und Woche 3) […]