Wenn Museen Teile aus ihren Kostümsammlungen ausstellen, sind selten große Größen dabei. Woran liegt das? Gab es früher weniger dicke Menschen, existiert ihre Kleidung nicht mehr, oder werden sie ungern gezeigt?
Der Frage geht Kitty Koma nach, weil die Kaltmamsell im Fashion Museum in Bath feststellte, dass nur Kleidung schlanker Frauen ausgestellt war. Einzige Ausnahme: Queen Victoria.
Hier waren runden Schönheiten, die heute als dick gelten würden, ja schon einmal Thema.
Aber ihre Kleidung? Eine Ausstellung in New York „Beyond Measure – Fashion and the Plus Size Woman“ vom Anfang des Jahres fragte nach dem Bild dicker Frauen in der Modegeschichte. Ausstellungsstücke waren schwer zu finden, weil, so berichten die Kuratoren in einem Artikel der New York Times, es weder gewichtige Figurinen gab, noch Mode, um sie zu kleiden.
Those are simply too hard to come by, as Ya’ara Keydar, a graduate student and an organizer of the show, explained. Ms. Keydar recalled that during a recent visit to an exhibition of historic evening dresses at the Sigal Museum in Easton, Pa., there was only one plus-size dress on display.
“Those garments don’t get shown unless you’re someone famous, like Queen Victoria,” Ms. Jenkins said. Even in museums with dedicated costume wings, there is a bias, she said.
Stimmt das? Sind die Sammlungen voreingenommen? Andere Stimmen dazu habe ich nicht gefunden. Wenn man beim Metmuseum online nach Kleidern sucht, findet man tatsächlich kaum stärkere Figuren. Allerdings ist man auf die Optik der Fotos angewiesen, außer der rückwärtigen Länge gibt es keine Maßangaben.
Tea Gown 1910-15, Met
Händler für Antikkleider haben offenbar auch nur wenig Kleider in großen Größen im Angebot. Antique Gown zeigt ein Abendkleid vom Ende letzten Jahrhunderts mit Taillenweite 82 (4.800 Euro). Bei Händlern halte ich es für wenig wahrscheinlich, dass sie große Größen diskriminieren. Die Kleider sind einfach zu viel wert.
Es könnte ja auch sein, dass es sowohl bei den Händlern als auch in den Museen nicht viele Kleider dicker Frauen gibt, weil es am Angebot mangelt. Vielleicht gilt, was das Met zu einem Straßenkleid sagt:
The women’s walking costume is one of the most difficult ensembles to find currently in pristine condition. Partially because few women felt compelled to include such a pedestrian costume in their trousseaus, and partially due to the natural deteriorations caused by light, moisture and old age, the well-kempt walking costume of the 1880s and 1890s can be found in few modern costume collections.
„Nur wenige Frauen sahen einen Anlass, so ein Straßenkleid aufzuheben“. Welche Kleidung hebt man denn selbst auf? Besonders schöne Stücke mit besonderen Erinnerungen vielleicht, die wahrscheinlich eher aus Jugendjahren stammen, als man noch nicht so in die Breite gegangen war – wer weiß. Das Fat-Shaming hat seine Wurzeln schließlich im 19. Jahrhundert. Vielleicht wurden große Kleider aber auch einfach nur länger getragen, weil sie leichter angepasst und umgearbeitet werden konnten, wie Kitty Koma überlegt.
Im Modemuseum Meyenburg, das ja ab 1900 eine riesigen Fundus zeigt, hatte ich nicht das Gefühl, nur Kleidung schlanker Frauen zu sehen. Es war eher ein Querschnitt durch alle möglichen Frauenformen. Ein Blick in den Katalog bestätigt den Eindruck.
Ich würde mich sehr freuen, dazu Meinungen oder Erfahrungen zu hören. Hattet ihr in Ausstellungen auch schon das Gefühl, nur schlanke Modelle vor euch zu sehen? Welche Größe haben Kleidungsstücke, die euch vererbt wurden? Nach welchen Kriterien wird gesammelt und ausgestellt? (Eine hier weiß bestimmt etwas dazu :)). Kittykoma geht der spannenden Frage auch noch nach. Wir werden sehen!
* An alle, die mit Englisch nicht so klarkommen: Diesmal hatte ich keine Energie für Übersetzungen, vielleicht hole ich das noch nach. Ansonsten ist Google Translator eine kleine Hilfe.
Wir sind öfter in Bauernhofmuseen. Dort sieht man manchmal auch Kleidung für kräftigere Figuren, manchmal auch deren Innenansichten und die Spuren der verschiedenen Größenanpassungen. In welchem Museum genau das war weiß ich leider nicht mehr. Sieht man denn bei „edleren“ Kleidern manchmal Spuren vom Umnähen? Wenn ja wäre das ja ein Zeichen dafür dass diese mehrere Trägerinnen hatten.
Ein weiterer Gedanke – die Menschen waren damals ja auch ein Stück kleiner als heute. Im Verhältniss waren sie dann vielleicht garnicht so dünn.
Wie ist das denn heute in den Kleiderkamern? Kommt dort plus-Size Mode an? Wenn die nicht benötigt wird, was passiert dann damit?
LG
Martina
Für die Kleiderkammern kann ich berichten, dass da jede Menge plus-Size ankommt, Männer und Frauenkleidung. Für die Obdachlosenunterkünfte ist das ok, da gibt es ähnliche Staturen. Für Flüchtlingsunterkünfte ist das dann weniger zu gebrauchen, aber bei uns in der Nähstube haben sich Frauen auch Sachen schon enger gemacht. Würde also zur Theorie passen, dass umgearbeitet wurde.
Also die älteste Kleidung die ich habe ist ein biederes Faltenrock-Kostüm aus den vierziger Jahren, dass meine Oma, der es irgendwann zu klein wurde, jeder ihrer Töchter andrehen wollte und dann ist es bei mir gelandet. Es war wohl ziemlich teuer damals und daher selten getragen. Sie war Anfang 20, ich war ein Teenager als es mir gepasst hat. Ich hebe es aus Prinzip auf, so wie mein erstes Ballkleid, Größe 36. Ich denke, dass jedes Kleid dass ich jetzt kaufe klassischer wäre, öfters getragen und mangels Platz und „Erstigkeit“ eher weitergegeben werden würde. Wobei ich irgendwie blöd an meinem Brautkleid hänge… Vielleicht freut sich in 100 Jahren jemand über ein Brautkleid für kurvige Frauen, ist doch das gängigste eine Größe 36, in das sich die Bräute reinhungern.
Ich kann mir aber vorstellen, dass sich große Kleider wegen der schieren Menge an Stoff hervorragend zum umnähen als Kinderkleidung oder eben erste Ballkleider für Töchter nutzen ließen, und von daher nicht mehr viele herumliegen. Außerdem waren sicher wenige Frauen wirklich dick, so wie heute der Durchschnitt auch ähm… durchschnittlich ist.
Ich vermute, dass es mehrere, miteinander verbundene Gründe gibt, warum Kleidung für dickere Frauen so selten in Ausstellungen zu sehen ist.
Einmal halte ich das Argument für wahrscheinlich, dass eher besondere Kleidung mit besonderen Erinnerungen aufgehoben wurde, also Verlobungskleider, Brautkleider (sofern es die schon gab), Ballkleider, die von jüngeren Frauen getragen wurden. Vielleicht stellen Museen auch lieber ein gut erhaltenes, buntes Ballkleid aus, das auf den ersten Blick richtig was hermacht, als ein schwarzes, graues oder dunkelbraunes, nicht so gut erhaltenes Alltagskleid einer älteren Frau? Also dass bei der Auswahl nicht unbedingt größere Kleidergrößen als unattraktiv aussortiert werden, sondern Kleider in gedeckteren Farben?
Das Argument von Martina, dass die Leute kleiner waren, und daher für uns dünn wirken, kommt mir auch plausibel vor – mir ist das in der Modeausstellung im Kulturforum bei den ausgestellten Schuhen und Handschuhen aufgefallen, dass das winzige Größen sind, die würden heute zehnjährigen Kindern passen, entsprechend klein dürften die Trägerinnen gewesen sein. Bei ausgestellten Kleidern fallen einem die Größenverhältnisse nicht so auf, finde ich, da man immer relativ weit weg steht und die Figurinen auf Podesten stehen. Wenn man dann mal gezielt darauf achtet, sieht man aber, dass die Kleider aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert wirklich für im Vergleich zu heute winzige Personen gemacht sind. Mir kam es so vor, als würde sich die Körpergröße im 20. Jahrhundert dann mehr und mehr an heutige Verhältnisse angleichen. Ab den 1920er Jahren hatte ich nicht mehr den Eindruck, dass es große Unterschiede gibt.
Ich habe hier gerade ein wunderhübsches Sommerkleid aus den 40ern liegen. Kaum getragen und immer wieder weitergegeben, weil es zu schade zum wegwerfen war. Aber niemand paßte rein, das Kleid hat 70 cm Taillenumfang und wäre wahrscheinlich heute eine 34 oder 36.
Auch die Kleider aus meiner businessfrauenzeit, die ich aus nostalgischen Gründen aufhebe, sind Größe 38.
Hmhm…vererbte Kleidungsstücke habe ich nicht, nur Flohmarktware, gerettet vor dem Untergang. ..sehr kleine Größen, durch die Schnittführung unmöglich es weiterzuarbeiten, ausser in Flickendecken. ..Ich habe mich das ja auch immer gefragt, wow sind all die Dicken früher gewesen? Auf den Fotos sind immer nur olle Matronen, Witwen oder sonstige Ruhmreiche die dick sind, aber jung und fesch ? Ich kann da nicht wirklich weiterhelfen, aber ich denke schon das es eher mit dem Materialvorkommen zu tun hat, Grösse 52 braucht einfach immens viel Stoff, das weiss ich aus Erfahrung. Durch die Hüftbreite kann ich oft nicht 2 Teile nebeneinander legen, sondern brauche die doppelte Länge, oder eher noch mehr…das sieht bei Grösse 44 ganz anders aus, wie mag das dann erst bei Gr. 36 sein ???… Ich habe ja mal gelesen das Magersucht erst durch die Erfindung der Kamera zustande kam…das hat zwar nichts mit dem Thema auf Anhieb zu tun…fällt mir aber zu deiner Bemerkung des fat-Shaming ein.Warum ist es eine Erfindung des 20 Jahrhunderts? ? Fragen über Fragen…und ich habe keine Antworten. ..
Interessant mal wieder ! Und passend zu meinem Tag und meinen Gedankengängen! Danke !
Liebe Grüsse Stella
Auf alten Gemälden und auch Fotos findet man durchaus korpulente und füllige Frauen, aber ich denke auch wie Lucy, dass es sicher ein Päckchen mehrerer Gründe gibt, die zusammenkommen, dass wir heute so wenig Kleidungsstücke von fülligen Figuren sehen. Der sentimentale Aspekt, selber Dinge aufzuheben aus der Lebensphase, wo man sich am besten gefiel oder positive Erinnerungen verknüpft , ist einer und der ist sicher im jugendlichen zarten Alter gewesen und nicht zu unterschätzen! Oft wurden dann aber auch Kleidung an Bedienstete verschenkt, die sie umgearbeitet und sicher bis zum Verschleiß getragen haben. In Not und Kriegszeiten wurden füllige Kleider und Mäntel sowieso neu geschneidert, weiß ich von meiner Oma, das liest man in Romanen und aus diesem Jht. zeigen Zeitschriften sogar Anleitungen dafür.
Es gibt sicher vereinzelte Modelle, die wir aber auch kaum zu Gesicht bekommen, da es tatsächlich
eher selten ist, dass füllige Puppen vorhanden sind. Im Zweifelsfall, bestellt man sicher nicht ein korpulentes Exemplar neu, sondern läßt eben das Modell der dicken Dame weg und nimmt eines mehr der anderen. Bei Filmkostümen scheint es ähnlich zu sein, die ich bisher sah im Filmmuseum am Potsdamer Platz, waren immer von ultrazarten Persönchen, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie so klein sind.(Wahrnehmung und Kamera/Filmgeschäft, bin ich gleich bei stella)
In Modemuseum Mayenburg war die Mischung wirklich gut oder eher realistisch, aber auch vielleicht, weil es eine ganz private Sammlerin ist, der man am Anfang ihrer Leidenschaft gern etwas geschenkt hat, ehe man es weggeworfen hat. Ehe man ein Museum kontaktiert, geht man doch eher in einen Laden und fragt mal fix, denn den hatte J. v.Krepl lange.
Es gibt noch viel zu klären!
LG Karen
Da haben Kitty und du ein interessantes Thema aufgebracht!
Zusätzlich zu den oben schon angeführten Gründen kann ich für unsere Museumssammlung (Fokus auf Gestaltung/Qualität/Design) sagen, dass wir meines Wissens noch nie ein Stück angeboten bekamen, dass jenseits einer heutigen Kleidergröße 44 gewesen wäre. Wir würden es vermutlich auch nur im Falle von „vor 1900“ oder Haute Couture nehmen. Das liegt nicht an unserer musealen Borniertheit, sondern daran, dass bei Prêt-à-Porter in den seltensten Fällen noch einmal in größeren Größen gemustert wird. Das hat zur Folge, dass beim Vergrössern leicht die Proportionen verloren gehen. (Die übliche Musterungsgröße ist 36.) Das Wesen der Haute Couture ist es, den Charakter des Entwurfes auf jeden Körper zu übertragen. Es wäre sehr spannend, ein entsprechendes Modell in großer Größe zu haben (am besten natürlich noch in zwei verschiedenen Größen!) und auch ausstellungstechnisch würden wir das hinkriegen. In Museen, die niemanden haben, der Figurinen baut, könnte das aber tatsächlich ein k.o.-Kriterium für die Ausstellung sein.
Ich nehme auch an, dass sich in Sammlungen mit historischem oder lokalem Schwerpunkt diversere Kleidungsgrößen finden lassen. Ebenso in ursprünglich höfischen Sammlungen. Ich frage bei Gelegenheit mal bei den Kolleginnen nach.
LG, Bele
Oje, da kommen ja immer mehr Aspekte hinzu, die man bedenken muss.
Wegen Haut Couture habe ich gerade gelesenen: „Balenciagas History of dressing fat women“
http://nymag.com/thecut/2013/01/balenciagas-history-of-dressing-fat-women.html
Seine Schnitte ware very forgiving – vielleicht sollte ich mich da noch einmal umgucken :)
(Am Rande fällt mir immer mehr auf, dass ‚Fat‘ als Bezeichnung im englischsprachigen Bereich inzwischen sehr viel akzeptierter zu sein scheint als bei uns das ‚Dick‘)
In der Nürnberger Ausstellung war eine Herrenhose zu sehen, die war richtig groß. Zwar wurde das oben wohl mit einem Gürtel etwas gezurrt, aber im Männerbereich sind trotzdem immer wieder Stücke von dickeren Menschen zu sehen.
Guck zum Beispiel mal das Titelbild des Kataloges an, das Wams mit dem extra ausgepolstertem Gämsbauch. Da wird der Wohlstandsbauch sogar noch durch Auspolsterungen hervorgehoben.
In der ständigen Ausstellung des GMN war glaube ich auch ein ziemlich dezentes Kleid jenseits der 44 zu sehen, im Bereich der Trachtenmode, soweit ich mich erinnere.
Aber ansonsten habt ihr Recht: Frauenkleidung in Sammlungen war eher für zierliche Personen. Oder für Frauen, die mit Miedern und Korsetts in Form gebracht wurden.
Am Wochenende haben wir ja die Führung durch das Heubacher Miedermuseum, da frag ich mal bei der Kuratorin nach.
Ja, das mit dem Gänsebauch hatte ich auch schon gedacht. Zu der Zeit durften ja auch Frauen ruhig rund sein. Und die Sache mit dem Korsett muss man ohnehin noch zusätzlich bedenken.
Viel Spaß bei der Führung, toll!
Danke allen für die Berichte und Überlegungen!
Leider habe ich diesen Artikel grad erst gelesen aber folgendes fällt mir dazu ein.
1)Ich habe in wien schon mehrmals Kleider von Kaiserin Elisabth (Sisi) gesehen, die war groß und sehr schlank. Sie hatte Magerwahn lange bevor das modern wurde. Sie hielt Diät und trieb Sport und machte lange Fußmärsche, das itst alles ja hinlänglich bekannt. Natürlich war sie auch geschnürt. Aber wahrscheinlich war sie zu ihrer Zeit eher ein Ausnahme in diesem Bestreben und alle anderen Damen konnten, verheiratet und nach Geburten , werden was sie waren Erwachsenen Frauen mit entsprechenden Figuren. Heißt das nicht Matronen?
2) Ich habe einige Kleider aus den 1960 und 1970 Jahren von meiner Tante.(Schwester meines Vater) sie galt in der Familie als schlank und groß (ca. 170 cm) und stand im Gegensatz zu meiner Mutter die zu dieser Zeit schon die pummelige war (im Krieg war sie auch mager) Meine Mutter war auch klein, keine 160 cm. Die Kleider sind Gr.38, probiere ich sie heute an sind sie mir locker. Leider passe ich in der heutigen Konfektion nicht mehr in Gr. 38. Es haben sich auch die Größenbezeichnungen geändert und die Wahrnehmung was schlank ist. Was leider auch ganz verschwunden ist ist der Begriff „gute Figur“ meine Mutter und meine Oma sprachen oft von der guten Figur…das meinte aber nie schlank/mager/ dünn. Sondern irgendwie proportioniert eben.
3) Ich habe selber aus einem Ballkleid das ich zum Opernball anhatte später ein Hochzeitsgastkleid gemacht (komplett umgearbeitet) und noch ein paar Jahre später ein Kleid für meine Tochter( damals noch Kind) auch als Kleid für eine Hochzeit. Irgendwie ist ja klar, dass beim Umarbeiten die Größe immer kleiner werden muß ausser man gibt anderen Stoff dazu.
Zum Schluß wie immer: Ich liebe Deine Artikel und ich lese sie wirklich gern und denke gerne darüber nach! Danke!
Liebe Grüße
Teresa