Handarbeiten in der Literatur, eine lose Reihe
Inzwischen kann ich leider kein Buch mehr lesen ohne bei der Erwähnung von Stoff, Nadel und Faden im Text hängen zu bleiben. Die Ergebnisse dieser selektiven Wahrnehmung vermerke ich nun hier mal im Blog. Quellen, aus denen sich der Stellenwert der Handarbeiten vor allem in früheren Zeiten ergibt, werden ja eher selten erfasst.
Heute:
“ Menschen im Hotel “ aus dem Jahre 1928, von Vicki Baum.
Zuerst geht es um Generaldirektor Preysing, seinen Kofferinhalt und sein Zuhause.
„Er stand also wieder auf, zog sich an, packte pedantisch seinen Koffer aus und hängte die Anzüge über die mitgebrachten Bügel. Jeder Stiefel, jedes Wäschepaket, jeder Gegenstand steckte in einem sauberen Leinenfutteral, und auf jedem Futteral stand ordentlich das rotgestickte Kreuzstichmonogramm K.P.“
(Bildquelle)
Am nächsten Morgen ruft der Generaldirektor zuhause an:
„Preysing konnte durch das Telephon die Krokusse sehen, er sah das Frühstückszimmer mit den Korbmöbeln, den Kaffeewärmer aus Bast, den gedeckten Tisch mit den gestrickten Mützchen über den Eierbechern. Auch Mulle sah er, sie trug den blauen Schlafrock und Pantoffel und hielt die Kakteengießkanne mit dem spitzen Schnabel in der Hand.
„Weißt du, Mulle, hier ist es ungemütlich“, sagte er; „du hättest mitkommen müssen. Jawohl, wirklich.“
Anders als der Generaldirektor Preysing hat der Kleinbürger Kringelein eine liederliche Ehefrau zuhause. So sieht es unter seinem Anzug aus:
„Klägliche Dinge treten zutage, Geheimnisse des Buchhalters Otto Kringelein aus Fredersdorf. Sein Hosenträger ist zerrissen, geflickt, wieder gerissen, zuletzt mit einem Bindfaden ungeschickt repariert. Die Weste, die viel zu weit geworden ist, hat Anna enger gemacht, indem sie am Rücken zwei dicke Wülste und Säume ins Futter steppte. Er trägt die Hemden seines Vaters auf, die ihm zu groß sind, er hat Gummistrippen über die Oberarme gezogen, um in den endlosen Ärmeln nicht zu ertrinken. Er besitzt Manschettenknöpfe von Anno dazumal, rund, groß wie die Ofenplatten, darauf sitzt eine Sphinx aus rotem Email vor einer Pyramide aus blauem Email. Das Riesenhemd ist aus einer dicken, mißfarbenen Wolle gewebt, nur vorn streckt es ein Stückchen gestreiften Zephir* hervor, ein kleines Schaufenster nach der Straßenfront gleichsam. Unter dem Wollhemd kommt nochmals etwas aus Wolle, ein verwaschenes, mit groben Gittern gestopftes Jäckchen. Darunter ein geschecktes Katzenfell, das gegen die Magenschmerzen und die Anfälle verheimlichter Schüttelfröste gut sein soll.“
*Zephir ist ein weiches,leinwandbindiges Baumwollgewebe; längsgestreift oder kariert.Bildquelle
Auch bei Suzette, einer Zofe, sind die Standesunterschiede am Zustand der Kleidung festzumachen:
„Die Suzette sah immer aus wie eine alte, verblichene Kopie ihrer Herrin, das kam daher, daß sie die alten Kleider und Hüte der Grusinskaja auftrug, nachdem sie längst unmodern geworden waren. Auch jetzt schlurfte sie in einem langen glockigen Rock durch den Hof und trug dazu einen verschossenen Mantel mit einer Art von Wertherkragen.“
…
„Suzette umklammert mit gestopften Zwirnhandschuhen den Koffergriff des suit-case“
.
Von all den Textstellen sind mir vor allem die Beutel mit den Monogrammen im Kopf geblieben und haben mich zu eigenen Taten angeregt. Davon aber mehr in einem anderen Beitrag.
EInfach herrlich. Mehr davon!
… und heutzutage tragen alle Gesellschaftsschichten am liebsten Jeans.
Kaffeewärmer? Manschettenknöpfe? Hosenträger?
Wenn es das noch gibt, dann höchstens als modisches Gimmick. Aus dem Alltag ist das verschwunden.
Deine Zitate sind so schön, ich bin ganz gerührt.
ICH trage manchmal Manschettenknöpfe. Kommentar der Kollegen: „Oh, hast du dich feingemacht…“
Solche passenden Beutel für mein Reisegepäck hätte ich auch gern! Das ist die wahre feine – aber trotzdem bodenständige! – Lebensart, wie Vicki Baum uns erklärt.
Bei den Kaffeewärmern und Eiermützen hingegen bin ich etwas zwiegespalten: einerseits kultivierte Häuslichkeit, ja sicher, aber bei der Fülle an Zier- und Schondeckchen, bestickten Überhandtüchern, Wäschekorbdecken, Untersetzern usw. usw. in den Handarbeitsbüchern, kein Gegenstand des Haushalts blieb unverziert, versteht man sehr gut den Ausgangspunkt von Adolf Loos‘ Aufsatz „Ornament und Verbrechen“ (von dem leider meistens nur plakativ der Titel zitiert wird), und seht sich nach etwas mehr „Form follows function“.
viele Grüße!
Ich freue mich, dass du diese Reihe beginnst.
Diese exkaten Beschreibungen verschwinden in späterer Literatur immer mehr, je mehr die Medien präsent werden, ist mein Eindruck..
Die Abbildung der Männderhemden ist sehr schön.
Wunderschöne Texte!
Man liest das wirklich nicht mehr so häufig, scheint mir, solche genauen Beschreibungen von Kleidung und deren Zustand (oder sie sind wesentlich schlechter geschrieben), vermutlich weil der Wert selbiger durch die Massenproduktion gesunken ist. Oder ist das nur Einbildung? Vermutlich lese ich inzwischen zu viele flache Krimis, da ist Schilderung ja meist nur leeres, plattes Füllmaterial.
Solche stofflichen Themen oder Gedanken in Literatur oder überhaupt bringen mich auch immer wieder zum Abdriften oder Spintisieren. Das ist bestimmt gut fürs Gehirn.
Schöne Idee, wenn ich mal was Literarisches finde, werde ich es auch vermerken.
Achso, danke auch noch mal für den Hinweis zu Herrndorfs blog. Manchmal bin ich konfus, wo ich jetzt die Antworten auf Kommentare eigentlich hinschreiben soll. Hach, diese kleinen Fallstricke moderner Kommunikation.
liebe Suschna, was für eine wunderbare idee! ganz köstlich!
herzliche grüße
sylvia
Schöne Idee, ich werde mich Frifris anschließen und auch beim Lesen aufpassen und wenn mir was auffällt es auch posten…
Unlängst habe ich Effie Briest gehört (Hörbuch) und da beginnt es schon damit, dass Mutter und Tochter Briest handarbeiten. Leider kann ich das jetzt nicht aus dem Stand zitieren…
Danke nochmal ich freue mich auf die Fortsetzung dieser Idee!
Liebe Grüße
Teresa
Das ist wirklich eine sehr schöne Idee – ich freue mich schon auf die Fortsetzung! Ich habe vor vielen Jahren einmal während des Studiums ein Seminar mit dem Titel „Mode als literarisches Motiv“ belegt. Noch heute lese ich viele Texte durch diese „Modebrille“ und es ist immer wieder interessant, dadurch Textstellen in den Mittelpunkt zu rücken, die eigentlich eher ein bisschen am Rande stehen, weil sie nicht zwingend zum plot beitragen.
[…] erste Beitrag zu dieser losen Reihe war “Menschen im Hotel”, weitere sind in […]
[…] ihr euch an die Sache mit den bestickten Leinenbeuteln aus “Menschen im Hotel”? Mir fiel sie wieder ein, als wir bei einem Abendessen bestickte Servietten neben […]