Übermaß

Ja, ich bin noch da. Mir ist nur einer meiner Neujahrs-Vorsätze zum Verhängnis geworden. Er lautete: Verbringe weniger Zeit im Internet. Ich hatte mir sogar eine Kindersicherung mit Zeitkontingent eingerichtet.  Natürlich wusste ich sie zu umgehen, und natürlich hatte das Selbstverbot den exzessivsten Internetrausch seit langem zur Folge. Ich bin endlos immer wieder rund um den Globus durch die kreativen Welten gesurft – und habe damit meine eigene Schaffenskraft erstmal zum Erliegen gebracht. 

So ziemlich alles, was ich machen wollte oder schon gemacht habe hat auch jemand anders schon gemacht – meist viel besser.  Dinge, von denen ich dachte, sie seien meine Idee und mein Blickwinkel sind auch Blickwinkel von vielen anderen.  Das Foto oben zum Beispiel habe ich im Herbst gemacht,  ganz begeistert, es als Stick- oder Applikationsvorlage zu verwenden.  Auf meiner Blogreise ist mir  so ein Foto nun gleich mehrmals begegnet.  Es stört mich gar nicht so sehr, dass andere dasselbe sehen und zeigen wie ich. Vielmehr stört mich der Verdacht, dass ich diese Blätter auf dem Wasser nur gesehen habe, weil es ein Blick ist, den ich vorher bei anderen gesehen habe.   Schlecht erklärt?  Ich muss eben noch ein wenig  darüber nachdenken.

15 Kommentare

  1. Ich kann dich zu gut verstehen. Sowohl den Rausch, als auch die nachfolgenden Frustrationen.
    Manchmal fühle ich mich übersättigt, alles schon da, alles viel zu viel.
    Manchmal gelähmt, weil es so viel (verschiedenes) ist, was ich alles gerne gleichzeitig in Angriff nehmen würde.
    Manchmal gelähmt, wenn ich eine eigene Idee bereits umgesetzt sehe. Dann komme ich mir wie eine Nachäfferin vor; wünschte mir, es gar nicht gesehen zu haben; fühle eine Verpflichtung der Verlinkung und die Defensität, erklären zu wollen, dass ich die Idee unabhängig hatte.
    Was bin ich froh, dass ich die textilen.monats.seiten spontan gestartet habe, ohne vorheriges Surfen dazu. Mittlerweile habe ich mehrere Projekte ähnlicher Art gesehen.

    Zum Glück lasse ich davon auch wieder los und freue mich an meinen Sachen. Nach Wochen habe ich sowieso häufig vergessen, dass ich was schon gesehen habe.
    Das führt nun zu deiner Sorge.
    Natürlich ist der persönliche Blick geprägt von dem, was er sonst so aufnimmt. Sei es am Bildschirm, sei es draußen.
    Meistens ist das ja ganz schön und auch Sinn der Sache: Sich inspirieren zu lassen, den Blickwinkel ändern, aufmerksam werden auf bislang nicht Wahrgenommenes.
    Weiterhin glaube ich an ein kollektives Etwas (in Anlehnung an C.G. Jung) und so etwas wie einen Zeitgeist, der nicht nur durch Werbung geprägt ist.
    Übrigens beeinflusst häufig Gesehenes durchaus unsere Prägung.

    So, bevor ich mich jetzt noch weiter mit diesen spannenden Gedanken beschäftige, muss ich los und mich der ganz realen Welt widmen.
    Tally

  2. Das ist ne spannende Frage! Meine Theorie dazu ist, dass uns Trends / bestimmte Ästhetiken, ansprechen, weil sie „neu“ sind, und uns einen frischen Blick auf die Dinge geben (deswegen lese ich kreative Blogs, Einrichtungs- und Modemagazine.) Das Netz, dass alles an einem einzigen Monitor zusammenführt, zeigt dann, wie ähnlich sich diese neuen, weiterentwickelten Ideen und Ästhetiken oftmals sind. Die besondere Art, wie durch das Foto der Blätter „Natur“ wahrgenommen, wertgeschätzt und weiterverarbeitet wird (oft in Form handgemachter Dinge, z.B. gestickt oder gestempelt), ist ein Beispiel für so eine Ästhetik, die uns umgibt und unsere Wahrnehmung prägt.
    Die zweite Idee ist: diese Blätter auf dem Wasser sind so elementar wie wunderschön, dass so ein Bild von vielen festgehalten wird. So in die Richtung wie Sonnenuntergänge und Regenbögen.
    Das „mich selber aus dem Internet aussperren“ hab ich auch schon mal erfolglos versucht. Mittlerweile lasse ich mich einfach – hoffend, dass ich nicht maßlos mit dem Medium umgehe und dass, falls es zuviel wird, die Erziehungsberechtigte in mir einschreiten wird. ;-)

  3. Liebe Suschna, geisterhaft- genau diese Gedanken habe ich auch seit einiger Zeit. Noch nicht einmal diesen Eindruck darf ich mein Eigen nennen ;).

    Ich denke ich versteh dich. Ganz gut sogar. Auf meine Weise.

    Lieben Gruß von Pilli

  4. Aus gegebenem Anlass ein holpriger Vergleich: Ähnlich verhält es sich doch bei der Namenssuche für unsere Kinder. Man ist doch sehr bemüht, einen Namen zu finden, der schön klingt, „wachsen“ kann, was-auch-immer. Was man in aller Regel nicht möchte: Dass die kleine Sabine später neben zwei anderen Sabines die Schulbank drückt, dass sich auf dem Spielplatz fünf Jungen umdrehen, wenn man den kleinen Michael ruft… So wählt man einen Namen, den man noch nicht so häufig gehört hat, der unbelastet ist… nur um dann ein halbes Jahr später festzustellen, dass der Vorname „plötzlich“ auf Platz 3 der Vornamencharts steht.
    Meine Eltern haben immer behauptet, sie hätten vor mir keine einzige andere Katharina gekannt. Sie hätten den Namen auf diversen Grabsteinen entdeckt, für schön befunden und in die Neuzeit importiert. Alle anderen Katharinas wären ja erst nach mir gekommen… Hm, ja! Klar! Nachdem ich allerdings letztens gesehen habe, wo der Name meiner Tochter im Vornamen-Ranking steht, glaube ich ihnen sogar.
    Warum ich das hier alles schreibe? Richtig: Ich wollte mal ein bisschen plaudern. ;-)
    Ich sehe aber eben auch einen Zusammenhang zu den Gedanken, die du oben schilderst. So manchen Vornamen, hat man sicherlich woanders gehört, für schön befunden und abgespeichert, ohne dass man den Ursprung im Gedächtnis behält. Aber das Gefühl dafür, welchen Namen man schön findet, entspringt auch einem … hm… kollektiven Schönheitsgefühl. Verstehste, was ich meine?
    Vielleicht hast du ein ähnliches Bild unbewusst kopiert. Vielleicht wurde auch dein Bild von anderen mehr oder weniger bewusst kopiert. Vielleicht habt Ihr aber einfach auch nur aus der gleichen Quelle getankt… Wichtig ist: Ein schönes Bild!
    So, ich brauche jetzt dringend noch einen Kaffee, sonst plaudert’s mich hier noch völlig weg… ;-)
    Liebe Grüße
    von Katharina,
    die deinen Namen nach wie vor alle 2-4 Tage preist, wenn sie ein neues frisches Brot aus dem Backofen zieht (und ja, ich weiß: die Rezeptidee stammte von jemand anderem! ;-) )

  5. Da wir alle ähnlichen Einflüssen ausgesetzt sind, weltweit zum Teil die gleichen Filme sehen, die gleiche Musik hören, in den gleichen schwedischen Möbelhäusern und Klamottenläden einkaufen, liegen einfach bestimmte Trends in der Luft. Wie Daniela geschrieben hat, wir springen auf Ästhetiken an, die für uns „neu“ und frisch sind, und stellen dann im Nachhinein fest, dass andere das ganz genauso empfinden – genauso wie mit den Vornamen. Das „Neue“ baut aber immer in irgendeiner Weise auf dem Bekannten auf – sei es als Weiterentwicklung, sei es als Widerspruch. Es hat immer irgendeinen Bezugspunkt zu dem, was wir kennen. Und da wir alle ähnlich kulturell vorgeprägt sind, sind auch Weiterentwicklungen und Widersprüche bis zu einem gewissen Grad vorgezeichnet, denke ich.

    Wie man sich davon nicht verrückt machen lässt, ist nochmal eine andere Frage. Karl Lagerfeld hat als Motto seiner Arbeit mal den Satz „Never compare, never compete“ gesagt, und nach etwas Nachdenken fand ich den Satz richtig klug. Nicht vergleichen und nicht in einen Wettbewerb treten. Wir sind ja so erzogen, dass alles ganz selbstverständlich dem Konkurrenzgedanken unterliegt, das wird überhaupt nicht hinterfragt, alles muss bewertet und benotet werden. Für Ingenieurleistungen wohl sinnvoll, aber verhängnisvoll wenn es um Kreatives geht, das führt direkt in die Selbstblockade. Den Lagerfeld-Satz rufe ich mir immer mal wieder ins Gedächtnis, befreit ungemein.

    viele Grüße, Lucy
    (von dem Brot bin ich übrigens auch ganz begeistert – und auch wenn ich das Rezept vorher schon mal hier und da in Blogs gelesen hatte, war es deine Rezeptmodifikation und dein Artikel, der mich erst zum Ausprobieren gebracht hat. Es ist also nichts umsonst, auch wenn es so ähnlich schon mal da war.)

  6. zunächst dachte ich: wow, was für ein toller Stoff – dann habe ich gelesen und habe erst beim zurückscrollen wieder dein Bild gesehen: Wow, was für ein schöner Blick. Ich wäre wahrscheinlich achtlos daran vorbei gegangen (oder hätte auf jeden Fall keine Kamera dabei gehabt). Das ist auch eine Kunst, zu sehen! Ideen abzuspeichern, die man woanders gesehen hat und eigenes daraus zu schöpfen. Muss, was dir gefällt, auch einzigartig sein? Und:Ist es das nicht auf seine Weise? Wenn nicht in der Idee – so doch in der Umsetzung! Deine Handschrift. (Oder: wenn zwei das gleiche tun ist es nicht das selbe.)
    So ziemlich alles, was du machen willst oder schon gemacht hast, hat auch jemand anders schon gemacht– „meist viel besser“ ist Quatsch (entschuldige). Anders gemacht trifft’s wohl wahrscheinlicher. Du brauchst dich nicht zu vergleichen. Warum denn? Mach was du machen willst so wie du es machen willst und es ist gut.
    Schau mal deine „Grazien“ an … Ich schaue sie auch an und stimme mir zu.
    Ganz liebe Grüße, Friederike

  7. Einen Kinderschutz zur Reduzierung der Onlineaktivität- das ist ja mal ne Idde. Die Kinder sind das immer lässig umgangen- frag mich nicht wie. :)

    Ist es denn so wichtig, etwas absolut Neues zu entdecken?
    Reicht es nicht, wenn es für einen selbst neu ist?
    Ich bin nicht allzu ergebnisorientiert, der Schaffensprozess an und für sich reizt mich. Und in dem kann man sich ja treiben lassen- bis dann tatsächlich oft etwas Unerwartetes und Neues entsteht.
    Oder auch nicht.
    Denn das ist dann egal- wenn der Weg das Ziel ist.

  8. Nun bin ich aber froh, dass ich über meinen Kreativkater gebloggt habe. Sonst hätte ich nun all eure weisen Worte nicht! Womit für mich der Kern des Problems inzwischen auch offen liegt: Ich kann nicht einerseits Gleichgesinnte suchen und finden und andererseits einen frischen Blick auf die Dinge bewahren wollen. Im stillen Kämmerlein ohne Anschluss an die Welt entstehen bestimmt ganz besondere, ganz eigene Sachen, aber das ist eben auch einsam. Als ich vor zwei Jahren die Kreativblogs entdeckte, war das eine Offenbarung, ein großes Glück für mich. Es gab da noch andere wie mich, und die gingen mit Stolz und Selbstbewusstsein an ihre Sachen heran, die Grenzen zwischen Kunst, Kunsthandwerk und Bastelei wurden fröhlich kreuz und quer verwischt. Auf diese Entdeckung würde ich niemals verzichten wollen, und wenn der Preis eine Vereinheitlichung des Geschmacks ist, dann sei es der Preis, ich zahle ihn.
    Danke fürs Teilen, ich werde bestimmt oft hierher zurückkommen und eure Beiträge nochmals lesen, wenn ich mal wieder verkatert bin!
    Never compare, never compete! In diesem Sinne,
    Eure Susanne (Platz 2 auf der Vornamensliste meines Geburtsjahrs)

  9. Ich kann Deine Gedanken schon ein wenig nachvollziehen. Letztendlich „mache ich auch nur nach“ was ich sehe – allerdings mit Farben und Abwandlungen die ich mag. Für mich persönlich ist das genug. Allerdings glaube ich auch, das man Dinge sieht, die man schön findet – so wie Dein Foto – das Internet gibt einem die Möglichkeit diese Dinge mit anderen zu teilen, die genauso denken. Du würdest die für Dich schönen Dinge sonst auch nicht im Netz finden. ich meine Du findest sie nur, weil es noch andere Menschen gibt, die ein ähnliches Empfinden für Schönheit haben wie Du. Hm, etwas verworren, aber vielleicht verstehst Du trotzdem was ich meine. Außerdem finde ich Deine „Kunst“ immer sehr kreativ und mit einer sehr eigenen Note – aber das habe ich wohl schon mal gesagt ;-) Gute Nacht.

  10. Oh, vielleicht hätte ich erst Deinen letzten Kommentar lesen sollen, bevor ich schreibe. Es war einfach ein langer Tag – ich hatte nur bis Griselda gelesen..

  11. Nun ist es spät und ich hätte die Zeit zu schreiben und sehe aber, dass viele Dinge, die ich jetzt geschrieben hätte schon die Zeilen füllen.
    Ich kann es gut nachfühlen, hat mich doch vor vielen jahren mein erstes Messerlebnis in München in ein tiefes Loch gestürzt. Jetzt kann ich darüber lachen uns sehe viel mehr und beurteile anders, aber das Thema ist so ausschweifend, darüber könnten wir beim Wein ne nacht philosophieren…
    Auch ohne Internet und Globalisierug gab es immer Dinge, Spiele, Erfindungen ähnlicher oder fast gleicher Art an entgegengesetzten Orten der Welt und trotzdem ist jedes anders einzigartig.
    Schlaf gut!

  12. Liebe Suschna,
    Ich kann mich auch nur den anderen anschließen und ergänzen. Ich verliere mich manchmal regelrecht in der virtuellen Welt. Mehr noch als über die Reizüberflutung ärgere ich mich über die Zeit, die darüber oft verstreicht. Ich hab mich im Wesentlichen auf meine Blogliste eingeschränkt und nehme schöne Blogs dort auf. Und ich versuche für jeden neuen einen alten rauszuschmeißen, damit es nicht zuviele werden. Je mehr ich lese, desto weniger schaffe ich es, auch nur einen kleinen Kommentar irgendwo zu lassen – dabei gefällt mir der regelmäßige und nicht der sporadische Kontakt besser.
    Es ist letztlich oft auch für mich eine Versuchung mich zu verlieren. Für mich hilft wirklich nur die Selbstbeschränkung und damit auch der Verzicht auf viele neue Eindrücke. (Abgesehen davon, dass es mir auch zu teuer ist, ich leide unter sehr starken Habenwillimpulsen)
    Alles Liebe von Catherine

    • Das mit dem Kontakt halten ist für mich auch ein großes Thema. Ich habe meinen Reader jetzt ganz radikal nur auf die Blogs beschränkt, mit denen sich eine Kommunikation ergeben hat. Bei sehr beliebten Blogs weiß ich, dass die Inhaberin das Kontakhalten gar nicht schaffen kann – und dann wird das Kommentieren so eine Einbahnstraße, aber anders geht es wohl nicht.

  13. Ich stimme Dir zu. Ich habe manchmal schon Angst den Computer aufzudrehen weil ich schon weis was kommt. All die schönen Seiten, die guten Ideen… so Alt kann ich nicht mehr werden das alles irgendwann auch zu machen. Ich habe mir auch vorgenommen weniger zu schauen und mehr zu tun!
    Liebe Grüße
    Teresa

  14. Ich habe meiner Tochter auch den Namen Susanne gegeben, aus dem in dem Jahrgang dann ein Allerweltsname geworden ist. Doch meine Tochter hat ihn bekommen, weil meine Mutter mich so nannte, wenn sie nur ganz wenig an mir auszusetzen hatte („Du bist mir eine Susanne“, sagte sie dann). Mit dem Namen sollte meine Tochter die bessere Hälfte von mir werden.
    Marie
    PS: Zum eigentlichen Thema hier passt: George Steiner „Warum Denken traurig macht“. Zehn (mögliche) Gründe.Suhrkamp.

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